Bischof Krautwaschl:

„Ich frage mich selbst, wozu uns das passiert“

Steiermark
24.12.2020 18:00

Pandemie, Terror, Armut - diese Themen haben das heurige Jahr geprägt. Und auch den steirischen Bischof Wilhelm Krautwaschl nachdenklich gemacht, wie er im großen Weihnachts-Interview mit der „Krone“ verrät.

Tief ins Gebet versunken sitzt der steirische Bischof auf einer Kirchenbank im Grazer Dom. Er denkt an fast 1200 Corona-Tote in der Steiermark und deren Angehörige. Eine Pandemie, die viele an Gott hat zweifeln lassen. „Doch Weihnachten ist ein Fest der Hoffnung“, spricht er uns Mut zu.

Die Heilige Schrift vermittelt Gläubigen folgende Logik: Passiert in meinem Leben etwas Gutes, dann ist dies Gottes Lohn für meine guten Taten. Passiert aber eine Katastrophe, dann ist dies die Strafe Gottes für meine Sünden. Wie groß müssen unsere Sünden gewesen sein, dass Gott uns mit einer so harten Pandemie straft?
Ich denke bei dieser Frage an eine Blindenheilung von Jesus. Bei Johannes wird genau diese Frage gestellt: Hat der Erblindete gesündigt oder seine Vorfahren? Jesus antwortet: Niemand. Es geht darum, dass an diesem Menschen die Großtaten Christi sichtbar werden. Ich glaube, dass dieser zweite Aspekt der entscheidendere ist: Dass mich Gott - auf gut Steirisch gesagt - in den deppertsten Situationen net allanig losst. Das ist die eigentliche Botschaft. Der Schlusspunkt des Lebens Jesu ist sein Sterben am Kreuz, sein elendigliches Verrecken. Selbst da lässt Gott den Menschen nicht allein, es kommt zur Auferstehung - und das gibt mir Hoffnung. Ich kann die rückwärts gerichtete Frage nach den Sünden, nach dem Warum nachvollziehen. Mir ist die zukunftsgerichtete Frage nach dem Wozu lieber.

Die Frage nach dem Warum sei dennoch erlaubt. Warum die Pandemie? Sind Globalisierung, weltweite Lieferketten, offene Grenzen, Verdrängung des Regionalen, Heischen nach Billigem und das Heil des Kapitalismus schuld an der Krise?
Diese Frage habe ich mir gestellt, als am Beginn des ersten Lockdowns im Frühjahr bei uns in Europa die Massen an Schutzmasken aus China angekommen sind. Da habe ich gedacht: Wie deppert führen wir uns eigentlich auf? Und ich denke: Wie deppert führe auch ich mich auf? Zum Beispiel all das viele Reisen, einen Tag bin ich hier, am nächsten Tag dort - mir musste einmal bei einer Reise ein zweiter Koffer nachgebracht werden, damit ich weiterreisen konnte. Was ist denn das für ein Lebensstil? Da gibt es wohl weltweit viele Dinge, die alle nicht wirklich so notwendig sind.

Werden wir aus der Krise unsere Lehren ziehen und den Lebensstil ändern?
Da bin ich mir nicht sicher. Jetzt gilt es, sich ein Stück zurückzunehmen. Man muss aber auch die guten Seiten sehen, es ist nicht alles nur schlecht. Die Globalisierung zum Beispiel erleben wir nun auf eine ganz andere, neue Art: Da gibt es ein kleines, unscheinbares Ding, das wir Virus nennen, das keiner sieht - und das die Welt in gewisser Weise auch zusammenhält. Denn wie besessen stürzen sich Wissenschafter rund um den Globus darauf, dem Leid, das dieses Virus hervorbringt, Abhilfe zu verschaffen. Da wird also gerade eine ganz andere Dynamik der Welt geschaffen. Es ist auch eine Welt der Geschwisterlichkeit.

Haben Sie etwas an Ihrem Lebensstil verändert?
Zwangsweise habe ich vor allem Dienstreisen reduziert. Da werde ich auch nach der Corona-Krise bewusster hinschauen: Braucht es jede Reise, oder kann man sich nicht auch über Videokonferenzen austauschen?

Verstehen Sie, dass Menschen angesichts der Krise mit Gott hadern?
Ja. „Was soll das Ganze?“ - das ist eine berechtigte Frage. Es ist eine ganz normale Reaktion, wenn wir angesichts der Pandemie irritiert sind. Bei den Corona-Fällen in meiner Bekanntschaft frage ich mich auch, wozu passiert das gerade uns? Es wird schon irgendeinen Sinn geben, obwohl er gerade nicht greifbar ist. Vielleicht haben wir vom Leben fälschlicherweise oft nur zuckersüße, rosarote Vorstellungen. Ich kenne aber niemanden, der sich angesichts all der aktuellen Unsicherheit und Zweifel von Gott abgewandt hat. Das hebräische „Warum“ kann auch mit „Wozu“ übersetzt werden. „Wozu hast du mich verlassen?“, das ist die Frage. Bei Petrus steht die Erkenntnis: „Trotzdem glaube ich an dich!“ Auch daher lautet mein bischöflicher Wahlspruch „Gott ist Liebe“.

Corona hat gezeigt, dass Menschen sehr rasch ausgegrenzt werden. Sind Corona-Kranke die Aussätzigen des 21. Jahrhunderts?
Ich kann mich an drei konkrete Situationen erinnern, wo bei Corona-Erkrankten, mit denen ich Kontakt hatte, Schuldgefühle da waren. Schuldgefühle, dass sie mich angesteckt haben könnten. Meine Schwägerin zum Beispiel hat sehr rasch und laut nach Absonderung gerufen. Bei Absonderung denke ich vor allem an die älteren Menschen in den Pflegeheimen. So wichtig es ist, dass man die sogenannten „verwundbaren Gruppen“ schützt, so dringend ist auch die Frage, wie man diese Mitmenschen begleiten kann. Wegsperren allein kann keine Lösung sein. Noch ein Gedanke dazu: Das ganze Leben ist ein Risiko, das ganze Leben ist lebensbedrohlich - weil wir alle irgendwann sterben werden.

Sie mussten als Kontaktperson in Quarantäne. Wie hat sich diese Absonderung angefühlt?
Ich habe in Ruhe wieder beten können. Ich konnte in Ruhe meine Arbeiten erledigen. Das war zum Teil ein Segen. Nicht wie sonst, wo wir uns immer ins eigene Hamsterrad hineindrängen. Nur viel unterwegs sein konnte ich in dieser zehntägigen Quarantäne nicht - aber ich bewege mich, siehe meine Figur, eh nicht allzu gerne. Ich darf also nicht jammern.

Der Terroranschlag in Wien hat uns alle erschüttert. Wieso wird die Religion, egal ob Christentum, Judentum oder der Islam, so oft für derart furchtbare Taten instrumentalisiert?
Ich glaube, weil Gott das Intimste ist, was im Menschen vorhanden ist. Die Beziehung zu Gott ist das Innerste, sie ist in vielen Menschen ganz tief drinnen, sie ist kein Kinderspiel. Und daher kann man mit dieser Beziehung zu Gott das meiste bewegen. Sie ist aber auch die Achillesferse des Menschen. Wenn ich zum Beispiel ein Mensch bin, der für sich keine Zukunft sieht, dann bin ich offen für alles Mögliche - auch für Gewalt und Terror. Dann wird Religion leider instrumentalisiert.

Heftig diskutiert wird aktuell das Urteil des Verfassungsgerichtshofs zu Lockerungen der Sterbehilfe. Ein gerechtes Urteil?
Es hat mich sehr betroffen gemacht, weil damit der Grundkonsens der Solidarität mit dem Argument der Selbstbestimmung außer Kraft gesetzt wird. Die Selbstbestimmung aber ist in der Realität so nicht gegeben. Ich habe auch nicht selbst bestimmt, dass ich auf der Welt bin. Wann urteile ich schon selbstbestimmt? Gerade in Grenzsituationen ist das schwierig. Wir müssen lieben - auch Menschen am Ende ihres Daseins. Leiden und Sterben werden aus der Gesellschaft hinausgedrängt statt hereingeholt. Das Leben darf aber nicht verhandelbar sein. Für Mediziner gesagt: Der Tod ist kein Betriebsunfall des Lebens!

Zählt das Wort der Kirche in Politik und Gesellschaft nichts mehr?
Wir sind eine freie Kirche in einem freien Staat. Manchmal wird unser Wort gehört, manchmal nicht. Wir werden jedenfalls weiter einmahnen. Mit dem Sterbehilfe-Urteil wurde eine erste Tür geöffnet. Was kommt als nächstes? Erzbischof Lackner hat zurecht gesagt: „Ein Dammbruch wurde eingeleitet!“ Werden Ärzte jetzt immer mehr zu Lebens-Beendern? Es ist pervers: Da werden gerade Milliarden Euro in die Entwicklung des Corona-Impfstoffs investiert, um Leben zu retten - und gleichzeitig wird der Selbstmord gefördert. Das passt nicht zusammen.

Sind Sie für eine Corona-Impfpflicht?
Mein innerer Auftrag ist es zu helfen. Da brauche ich keine Pflicht. Jetzt heißt es Abstand halten, Maske tragen, testen und impfen lassen. Das ist logisch, da brauche ich keine Verordnung.

Wie verbringen Sie den Heiligen Abend? Werden Sie Ihre 90 Jahre alte Mutter, die auch an Corona erkrankt war und sich in einem Pflegeheim befindet, sehen können?
Wir werden telefonieren und uns über das Handy Fotos schicken. Es wird weniger Termine geben, was ich aber immer zu Weihnachten mache: Ich schaue mir mein Testament an. Passt es? Steht das Richtige drinnen? Kann ich mein Leben Gott anvertrauen? Zum Leben gehört auch das Lebensende.

Was ist Ihre Botschaft?
Zu Weihnachten feiern wir, dass Gott in Jesus zu uns Menschen kam und dass uns Gnade und Hoffnung zuteil ist. Lassen Sie sich nicht entmutigen und bleiben Sie hoffnungsvoll und zuversichtlich. Gott ist da, er hört zu und steht uns bei.

Interview: Oliver Pokorny & Gerald Schwaiger

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