„Entschlossen handeln“

Forscher fordern geeinte EU-Strategie gegen Corona

Wissenschaft
19.12.2020 15:46

Koordiniertes Handeln und gemeinsame Ziele, um die weitere Verbreitung des Erregers SARS-CoV-2 in Europa einzudämmen, fordert nun eine Gruppe von Wissenschaftlern im Fachjournal „The Lancet“. Die Forscher, darunter auch einige namhafte Vertreter aus Österreich, glauben, dass bei raschem „entschlossenen Handeln“ die Fallzahlen massiv reduziert werden könnten, sonst drohe die nächste Welle. Gelinge eine einheitliche Reduktion, könnten auch die Grenzen geöffnet bleiben.

Schaffen es die Staaten nicht, „eine gemeinsame Vision zum Pandemie-Management“ zu entwickeln, sei mit weiteren Covid-19-Wellen, mit ebenso großen Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit, die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt zu rechnen, schreiben die Autoren des Positionspapiers, zu denen auch die österreichischen Forscher Eva Schernhammer, Thomas Czypionka und Peter Klimek zählen. Das sei unter anderem deshalb jetzt notwendig, weil Impfungen laut der Einschätzung erst gegen Ende 2021 eine echte Kontrolle der Situation ermöglichen werden.

Warten auf Herdenimmunität „keinen Option“
Das Zurücknehmen von Maßnahmen, während gleichzeitig höhere Fallzahlen geduldet werden, sei eine „kurzsichtige Strategie“, die in eine weitere Welle führen werde. Das Warten auf die bei einer Durchseuchung von rund 60 bis 70 Prozent auftretende Herdenimmunität sei „keine Option“. Es sei wissenschaftlicher Konsens, dass das nicht funktioniere und man habe auch keinen belegbaren Vorteil des Zulassens höherer Fallzahlen gefunden. „Wir haben bei niedrigen Fallzahlen mehr Freiheiten“, betonte etwa Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation im deutschen Göttingen: „Wir haben den ‘Lockdown light‘ versucht, er hat aber nicht zum Ziel geführt.“

Dass ein „halber Lockdown“ nicht funktioniere, zeigten auch im deutschen Sprachraum weiter hohe Todeszahlen, die bis Jahresende erwartbar kaum niedriger würden. Man sehe momentan sehr klar, dass, solange die Fallzahlen niedrig waren, auch ältere Menschen deutlich besser geschützt waren.

Es brauche daher möglichst das gesamte Bündel an zur Verfügung stehenden Maßnahmen, um der Covid-19-Pandemie länderübergreifend Herr zu werden. Denn, wenn in einem Land oder einer Region die Infektionszahlen zu hoch sind, und es entsprechenden Austausch gibt, komme es zu einem gefährlichen Effekt des Überschwappens. „Das Virus stoppt nicht an Grenzen, es ist eine gesamteuropäische Herausforderung“, betonte Priesemann. Man müsse Übertragungswege effizient abschneiden.

Bisher „zu wenig Koordinierung“ in Europa
Zeitversetzte Einzelaktionen von Ländern zur Eindämmung bergen die Gefahr eines „Ping-Pong-Effekts“ mit wechselseitigen Einschleppungen und Exporten von Fällen. Bisher gab es hier „zu wenig europäische Koordinierung“, so der Koautor des Papiers, Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien, der in einer Online-Pressekonferenz ein „entschlosseneres Vorgehen zur Senkung der Fallzahlen“ forderte.

Als Ziel bringen die Forscher zehn neue Infektionen pro Million Einwohner und Tag ins Spiel. Umgerechnet auf die hierzulande gängige Vergleichszahl der 7-Tage-Inzidenz wäre das ein Wert von lediglich sieben. In Österreich lag die aktuelle Inzidenz am Freitag bei 206. Das heißt, dass sich binnen einer Woche durchschnittlich 206 Personen pro 100.000 Einwohner neu mit Corona infiziert haben.

Schon bei 300 neuen Fällen - allerdings pro Million Einwohnern, zehn angenommenen Kontakten pro infizierter Person und zehn Quarantäne-Tagen, seien rasch drei Prozent der Gesamtbevölkerung in Quarantäne. Das bringe bereits große Beeinträchtigungen des (Wirtschafts)-lebens mit sich, rechnen die Wissenschaftler vor. Lägen alle europäischen Länder bei dem vorgeschlagenen Zielwert, „wird es viel, viel einfacher“, so Priesemann.

Lockdowns derzeit als einziges Mittel
Es sei insgesamt ein „Trugschluss“, dass man mit höheren Zahlen zurechtkommen könne, sagte auch Peter Klimek vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) und der Medizinischen Universität Wien. In solchen Situationen könne man dann leider nur mit Lockdowns agieren. Erst wenn die Fallzahlen niedrig sind, ändere sich das Bild. Dann könne man ein Monitoring-System etablieren, mit dem lokale Anstiege rasch erkannt und darauf sinnvoll reagiert werden kann.

Momentan helfe es leider nur, „ganz massive Aktionen“ zu setzen, so auch Eva Schernhammer von der Medizinischen Universität Wien. Daher brauche es das Aufrechterhalten von Eindämmungsmaßnahmen über die Feiertage und den gemeinsamen Versuch, die Zahlen in ganz Europa niedrig zu halten.

Letztlich müsse ganz klar kommuniziert werden, warum derartige Anstrengungen notwendig sind. Es brauche klare, konkrete und transparente Zielvorgaben, sagte die Politikwissenschafterin Barbara Prainsack von der Uni Wien. So könne auch die merkbar krisenmüde Bevölkerung am ehesten wieder besser mitgenommen werden. Einen Weg vorbei an einem „Maßnahmenbündel, das relativ streng ist“, klaren Worten und einer gemeinsamen europäischen Anstrengung, sehe sie momentan nicht, so Prainsack, die eine der Unterzeichnerinnen des Aufrufes ist.

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