Album & Interview

Yungblud: Die Stimme einer ganzen Generation

Musik
03.12.2020 06:00

Mit seinem zweiten Album „Weird!“ schwingt sich der erst 23-jährige Dominic Harrison aka Yungblud endgültig an die Spitze jener jungen Wilden, die nicht nur den Rock‘n‘Roll, sondern am besten gleich die ganze Welt retten möchten. Wie das gelingen könnte, erzählt uns der redselige Brite im „Krone“-Gespräch.

(Bild: kmm)

Grenzenlosigkeit in- und außerhalb der Musik, das sind die wichtigsten Prämissen von Yungblud. Hinter dem kecken Pseudonym steckt der 23-jährige Dominic Harrison aus dem südlichen Yorkshire in Mittelengland. Ein „Pop-Punk-Rebell auf einer Mission“, wie die Branchenmagazinfibel „Rolling Stone“ unlängst großspurig titelte, insgeheim aber ein Post-Teenager voller Ängste und Unsicherheiten in einer Welt, die sich nicht mehr in Schwarz/Weiß-Metaphern erklären lässt. Mit seinem Debütalbum „21st Century Liability“ eroberte er vor zwei Jahren Silber in seiner Heimat Großbritannien, wurde aber vor allem zu einem Sprachrohr einer neuen Generation, deren Werte weit über all das hinausragen, was ihnen die Älteren oft viel zu kurzsichtig anheften möchten: Sorgen bezüglich des nicht aufzuhalten scheinenden Klimawandels, der Drang nach Gleichberechtigung und fairen Chancen für alle Geschlechter, Hautfarben und sexuellen Ausrichtungen und der stete Wunsch, sich frei zu entfalten und eine aus den Fugen geratene Gesellschaft wieder zurechtbiegen zu können.

Ehrlich und authentisch
Die eher konservative Enge seiner 100.000-Seelen-Einwohnerstadt Doncaster wurde Harrison schnell zu eng. Opa Rick spielte einst bei Marc Bolans Glam-Legenden T.Rex mit und der junge Dominic probierte sich früh an den verschiedensten Instrumenten wie Gitarre, Schlagzeug, Klavier und Tamburin. Der an ADHS leidende Derwisch wurde unter Ritalin gesetzt, seine Mutter setzte sich vehement für die Absetzung des Medikaments ein, weil darunter Dominics Persönlichkeit leiden würde. Im Endeffekt war die Mischung aus künstlerischer Familienhistorie und mütterlicher Liebe ein Glücksfall für den zeit seines Lebens an Ängsten und Depressionen leidenden Burschen, der in den ehrlichen und authentischen Texten von Nirvana, Soundgarden, Marilyn Manson, Eminem, The Cure oder Lady Gaga die Unterlage für sein eigenes Schaffen fand. Brutale Ehrlichkeit ohne prekäre Dinge zu beschönigen. Das praktizierte er auf seinem eingangs erwähnten Debüt so gut, dass er damit einer ganzen Generation aus der Seele sprach. Und ähnlich wie sein Freund Machine Gun Kelly springt Yungblud munter durch alle Genres ohne sich eingrenzen zu lassen: Rap, Pop-Punk, 2000er Emo, Ska, Hip-Hop, Bubblegum-Pop und Indie-Rock - absolut alles ist erlaubt.

Doch erst nach seinem Debüt bemerkte Yungblud im Zuge seiner vielen Konzertreisen, wie sehr sich Kids auch außerhalb Nordamerikas mit ihm identifizieren konnten. „Der einzige Grund, warum Yungblud überhaupt existiert ist der, dass wir jungen Leuten eine Stimme verschaffen“, erzählt er der „Krone“ im Videointerview, „steht auf und schreit euren Frust hinaus. Macht Gebrauch von eurem Stimmrecht, denn ihr könnt etwas verändern. Yungblud bin nicht ich, Yungblud sind wir.“ Sein dieser Tage erscheinendes Zweitwerk „Weird!“ spiegelt schon im Titel wider, womit Harrison nach dem fulminanten Erfolg des Debüts zu kämpfen hatte. „Natürlich kommt Druck durch Erfolg und auch Druck von der Plattenfirma. Mir war es aber immer wichtig, ich selbst zu bleiben. Auf dem Debüt war ich sehr wütend, weil ich mich nicht akzeptiert fühlte. Meine Fans haben mir aber gezeigt, dass es okay ist, widersprüchlich zu sein. Viele Kids haben mir ihre Probleme geschrieben und sie decken sich mit meinen. Das Gefühl, sich schlecht zu fühlen. Sich seiner Sexualität nicht sicher zu sein oder seine Ängste mit Drogen betäuben zu wollen. Wenn wir miteinander drüber reden, wird alles besser.“

Es liegt an uns
Für Yungblud ist die bunte, nicht fassbare Musik auf flotten Tracks wie „Strawberry Lipstick“, „Mars“, „Cotton Candy“ oder „Super Dead Friends“ nur ein Ventil für etwas viel Größeres. So war er im Juni nach der ersten Corona-Quarantäne in Los Angeles auf der Straße, um mit den „Black Lives Matter“-Demonstranten ein Statement zu setzen. Mit dabei: u.a. Machine Gun Kelly und Blink-182-Drummer Travis Barker. Beides auch musikalisch treue Weggefährten von Harrison. „Jeder Mensch hat den gleichen Wert, völlig egal, wer er ist oder wie er aussieht. Die schwarze Gemeinschaft in den USA mit noch immer mit so viel Hass und Unterdrückung klarkommen, dass man dringend etwas tun muss. Meine Generation ist jene, die Dinge verändern kann. Akzeptanz, Toleranz, Gleichberechtigung - das sind die Schlüsselwörter. Viele glauben, wir wären alle verheulte Millennials und hätten keine Ahnung von der Welt, aber das ist absoluter Blödsinn. Wir nehmen nichts mehr einfach so hin. Wir sind die Veränderung. Es liegt an uns und ich werde alles dafür tun, die Kids darauf aufmerksam zu machen, dass sie aktiv zu einer besseren Gesellschaft beitragen können.“

Yungblud ist ein wichtiger Teil des neuen Rock’n’Rolls. Dass so viele Menschen den Untergang der Rockmusik prophezeien, kann der 23-Jährige nicht nachvollziehen. „Der Grund, warum der Rock’n’Roll heute scheinbar im Sterben liegt ist, weil ihn alle totreden. Er war aber nie weg, das vergessen die Leute immer. Oasis haben nicht wie die Rolling Stones oder die Beatles geklungen, aber wie eine Entwicklung aus diesen Bands. Die Beatles und die Stones haben nicht wie Chuck Berry oder Bo Diddley geklungen, aber wie eine Entwicklung aus deren Klängen. Wir alle retten den Rock’n’Roll automatisch, indem wir ihn in die Gegenwart transferieren und Musik machen. Wir müssen aber eine Gemeinschaft sein, so hat es schlussendlich auch im Hip-Hop geklappt. Die Leute haben sich verbunden und ihre Stärken in die Waagschale geworden. Dieses Gemeinschaftliche vermisse ich im Rock-Business. Ich habe in Los Angeles mit Machine Gun Kelly, Travis Barker oder 24kGoldn an meinen Songs gearbeitet. Alles hat sich vermischt und heraus kam ,Weird!‘. Die Rockmusik ist heute verdammt lebendig.“

Am Rande der Klippe
Für das große Ganze und die Botschaft der Gemeinschaft verzichtet Harrison angeblich sogar auf Hits. „Ich hatte einige Songs in der Hinterhand, die möglicherweise große Hits gewesen wären, aber sie waren mir zu leer. Ich habe mir beim Albumprozess drei Fragen gestellt: Was ist die Wahrheit? Kann sich jemand anders damit identifizieren, über das ich singe? Spiegelt das, was ich mache, zu 100 Prozent meine derzeitige Gefühlslage wider oder nicht? Wenn ich auch nur hinter einer dieser Fragen nicht voll stehen konnte, wurden die Songs rigoros verworfen. Ich will mit jedem Song am Rand der Klippe stehen. Der lange Weg mag der härtere sein, aber am Ende ist er allemal befriedigender.“ Dass die Songs auf „Weird!“ natürlich den großen Idolen Yungbluds ähneln und er klanglich den Rock’n’Roll nicht neu erfindet, ist Fakt. Doch dem jungen Harrison geht es mit seiner Yungblud-Vision um viel mehr. Er steht an der Speerspitze einer Generation, die ihre Zukunft selbst schreiben möchte. Und solche Vorbilder braucht die Welt mehr denn je.

Live in Wien
Bleibt zu hoffen, dass wir den sympathischen Youngster Yungblud 2021 live sehen können. Geplant wäre ein Konzert am 5. November im Wiener Gasometer. Alle weiteren Infos und Tickets unter www.oeticket.com

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