Doppelalbum „Cyr“

The Smashing Pumpkins: Mutig in die neuen Zeiten

Musik
02.12.2020 06:00

Billy Corgan hat (fast) wieder die Originalbesetzung seiner 90er-Alternative-Rockkultband The Smashing Pumpkins um sich geschart, versucht sich auf dem brandneuen Doppelalbum „Cyr“ aber lieber als altersloser und zeitgeistiger Klangtüftler im elektronischen Segment. Ein bemühter, aber letztlich schwer gescheiterter Versuch einer persönlichen Neuerfindung.

(Bild: kmm)

Man erinnert sich noch ein bisschen leidvoll an die gar nicht so lang vergangene Zeit, als Sommer, Sonne und Festivalspaß noch Usus waren. Beim Nova Rock 2019 kreuzten die 90er-Alternative-Rock-Helden The Smashing Pumpkins wieder einmal um die Ecke und hinterließen bei Fans und Kritikern einen bittersüßen Beigeschmack. Die einen waren nach sechsjähriger Österreich-Abwesenheit schon froh darüber, Billy Corgan endlich wieder mit Jimmy Chamberlin und dem lange abkömmlichen James Iha auf der Bühne zu sehen, andere waren erschrocken von der blutleeren und auch optisch dürftigen Show der einst so schillernden Combo aus Chicago. Da konnte man aber noch nicht ahnen, in welch klangliche Gewässer Exzentriker Corgan das einst so stolze Projekt steuern würde, das mit „Siamese Dream“ (1993) Musikgeschichte schrieb. Zum ewigen Leidwesen Corgans wurde es aber von der Presse ungerecht in die so populäre Grunge-Sparte gestopft, woraufhin er zwei Jahre später mit dem Doppeldecker „Mellon Collie And The Infinite Sadness“ antwortete, das auch 25 Jahre nach seiner Entstehung zu den wuchtigsten und wichtigsten Stücken Rockmusik der Dekade gerechnet werden muss.

Holprige Rückkehr
Man musste damit rechnen, dass es von da an nur mehr bergab gehen konnte. Ein paar gutklassige Alben später schloss Corgan das Kapitel 2000 das erste Mal, nur um fünf Jahre später mit einer ganzseitigen, selbstgeschalteten Anzeige in der „Chicago Tribune“ wieder um eine Reunion zu betteln. So richtig ging es dann erst 2018 wieder los, als nicht nur Weggefährte Chamberlin, sondern auch Gitarrist James Iha wieder Bereitschaft zeigte, das Nostalgiepferd zu reiten. Bassistin D’arcy Wretzky ließ sämtliche Angebote verstreichen und zerstörte dabei die große Hoffnung einer wirklich wertigen Wiedervereinigung, mokierte sich Corgan. Wretzky sah das freilich anders, ein würdevoller Friedenshandschlag scheint gegenwärtig aber weiter entfernt denn je zuvor. Das offizielle Comebackalbum „Shiny And Oh So Bright, Vol. 1 / LP: No Past. No Future. No Sun.“ deutete schon im Titel eine fragwürdige Großspurigkeit an. Die immerhin noch gut in alten Gewässern fischenden Songs machten bei treuen Hardcore-Fans aber stets Hoffnung, dass man mit vereinten Kräften und Liebe zum Spiel noch die Kurze zu den Großtaten kratzen könnte.

Diese Hoffnung zerschlägt sich aber spätestens mit dem neuen Doppeldecker „Cyr“. Das erste Doppelalbum seit „Mellon Collie…“ hat freilich nichts mehr mit dem Jahrhundertwerk von damals gemein. Der schon vor Jahren in die kruden Welten des Tarot und Hexenwerks abgedriftete Corgan schafft es zwar irgendwie, seine alten Weggefährten bei Laune zu halten, musikalisch lässt sich der kreative Wirrkopf allerdings nicht mehr in die Suppe spucken. 35 Songfragmente habe er Drummer Chamberlin 2019 zur Ausarbeitung geschickt, erzählte dieser in frühen Interviews. Auf 20 Songs und 72 Minuten hat man den ganzen Spaß schlussendlich gedrosselt und anfangs hätte sich Chamberlin wohl noch nicht gedacht, dass er dabei kaum eine Rolle spielen würde. „Cyr“ hat nämlich weder etwas mit dem von Corgan so verhassten Post-Grunge, noch mit Alternative Rock oder experimentellen Gitarrenklängen zu tun. Der Frontmann sieht das Heil seiner Band in elektronischen Gefilden und landet damit einen veritablen Bauchfleck.

Zu hohe Ziele
Allein schon die Verschwendung Chamberlins als einen der profundesten und tightesten Rock-Schlagzeuger zuungunsten eines inflationär eingesetzten Drumcomputers ist zwischen wagemutig und infantil zu einzuordnen, wirklich enervierend ist aber Corgans ständige Anbiederung an die Großen. Depeche Mode leuchtet in Songs wie „Purple Blood“ oder „Telegenix“ mehr als deutlich hervor, nur dass dem quäkenden Corgan die eindringliche Tiefe von Gahans majestätischer Stimme und das leichtfüßige Songwriting von Martin Gore fehlt. Der Titeltrack entfacht beinahe die Opulenz eines Jean-Michel Jarre-Tracks, versandet mit Fortdauer aber traurig in hitparadentauglichen EDM-Gefilden. Nur selten lässt Corgan die Gitarren von Iha und dem nicht minder kompetenten Jeff Schroeder in den Vordergrund rücken. Das lyrisch abstruse „Wyttch“ ist so ein immens seltenes Beispiel und auch auf „The Colour Of Love“ vermischt er seine überbordende Liebe zur Elektronik mit hemdsärmeligen Rockzitaten.

Wie man unterschiedliche Genre-Welten nachhaltig und kurzweilig vermischt, gelingt einer jüngeren Generation wesentlich geschickter. Sei es die famose Verquerung von Psychedelic Rock mit Elektronik (Tame Impala) oder auch das bewusste Mäandern in unterschiedlichen Stilen, ohne sich dabei peinlich zu alterieren (Post Malone, Machine Gun Kelly, Yungblud). Es wäre freilich nicht fair, die Durchschnittlichkeit von „Cyr“ mit dem gesetzten Alter des Mittfünfzigers Corgan zu korrelieren, doch es fehlt ihm an der Zeitgeistigkeit, um diesen klanglich gewagten Spagat wirklich erfolgreich hinzukriegen. Dabei hat das Doppelalbum durchaus starke Ansätze. In manchen Momenten wie etwa im angenehm repetitiven „Starrcraft“ oder dem Dancefloor-Track „Adrennalynne“ gelingen ihm die besten Melodien seit Jahren. Leider hält sich diese partiell hohe Qualität nicht auf Langstrecke und hinterlässt somit einen faden Beigeschmack. Zudem verwurstelt sich Corgan in seinen Texten mehr denn je in seine ganze eigene, undurchdringliche Welt der magischen Hexerei. Kein einfaches Unterfangen als Hörer, wenn man Spiritualität nicht automatisch mit dem Abstrakten gleichsetzt.

Es geht weiter
Inspiriert wurde Corgan zu dieser Platte unverkennbar stark von seinen Jugendheroen wie Joy Division, The Sister Of Mercy, Siouxsee And The Banshees oder The Human League. Nur in den seltensten Momenten erreicht das viel zu opulent aufgetischte „Cyr“ die Dringlichkeit der Idole und im Endeffekt können Corgan und Co. die Tatsache, dass sie nun einmal eine mehr als geschickte Rockband sind, nicht einfach so wegleugnen. Während man die hemdsärmeligen Instrumente nur mehr mit viel Konzentration ausmacht, geben die Backgroundstimmen von Sierra Swan und Tourbassistin Katie Cole dem Treiben doch noch eine angenehme, weil nachvollziehbare Klangfarbe. Man darf gespannt, wo die Reise der Smashing Pumpkins im (hoffentlich) Post-Corona-Jahr 2021 hingeht, denn der Kreativkopf hat angeblich schon wieder genügend Material für ein weiteres Doppelalbum. Weniger wäre meist aber doch mehr…

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