"Krone"-Reportage

Letzte Ruhestätte für die Ärmsten der Armen in Mautern

Steiermark
31.10.2010 16:33
Selbst am Allerheiligentag bleiben viele steirische Gräber einsam und vergessen. Beim Armenfriedhof in Mautern ist das nicht der Fall.

Die Hektik hat selbst im idyllischen Mautern eine Adresse: Sie lautet Pfarrheim, zumindest an diesem strahlenden Herbsttag. Gut zwanzig Frauen wuseln hier herum, schneiden mit flinken Händen Latschen und binden sie mit x-fach geübten Handgriffen zu Gestecken. Selbst vom "Steirerkrone"-Fotografen lassen sich die Damen nicht beirren. Ein kurzes Aufblicken, wenn es Klick macht, die Hände arbeiten weiter.

Der Ort, an den die Gestecke gebracht werden, liegt nur fünf Autominuten entfernt - und ist doch eine ganz andere Welt. Die pure Ruhe, ein wunderschönes Gebirgspanorama als Kulisse. Holzkreuze stehen in akkuraten Reihen und machen die Besucher sofort ein wenig demütig. Zwei Szenen, aber nur eine Geschichte - jene des fast vergessenen Armenfriedhofs bei Schloss Ehrnau.

"Früher war im Schloss ein Siechen- und Armenheim", erzählt Ortschronist Sepp Orasche beim Dorfwirt. "Hierher kamen alte, kranke und behinderte Menschen. Mägde, Knechte, Gesinde - die Ärmsten der Armen." Nach ihrem Tod wurden die meisten auf einer Wiese nahe dem Schloss beerdigt, ein richtiges Begräbnis war unerschwinglich. So blieb auch im Tod die Menschenwürde gewahrt. Orasche: "Als 1980 im Ort ein neues Pflegeheim eröffnet wurde, verkam der Friedhof zu einer Gstättn." Bis die resolute Karla Weinzierl kam. Jeden Tag fuhr sie mit dem Fahrrad nach Ehrnau und machte den Friedhof zu dem, was er heute ist: ein Kleinod.

Karla Weinzierl war es auch, die einmal im Jahr, kurz vor Allerheiligen, eine Damenrunde zusammentrommelte, um gemeinsam ein Gesteck für jedes Grab zu fertigen. "Wenn sie etwas wollte, konnte keiner nein sagen", erinnert sich Bürgermeister Andreas Kühberger. Erinnern? Ja, Weinzierl ist vor zwei Jahren verstorben. Ihr Werk wird aber in Mautern weitergeführt.

"Ohne sie würde es den Friedhof nicht geben"
So wurden auch heuer über 200 Gestecke hergezaubert. In schnellem Tempo, aber dennoch mit viel Liebe. "In diesem Jahr kamen so viele Leute wie noch nie", freut sich Erika Planitzer. Sie und ihr Mann Anton sind sozusagen die Nachfolger von Karla Weinzierl. Das würden sie natürlich nie zugeben. Die Mauterner wissen das aber wohl. Eine schüchterne, ältere Frau zieht den Reporter zur Seite. "Ohne die beiden würde es am Friedhof nicht so schön ausschauen", flüstert sie. "Sie sind das ganze Jahr dort, putzen Gräber, setzen Blumen an, der Mann kümmert sich um die Kreuze."

Berührende Geschichten und ein Kerzenmeer
Es sieht wirklich nicht wie eine Gstättn aus in Ehrnau. Ganz im Gegenteil. Wir streifen zwischen den Holzkreuzen - und stocken bei den Sterbedaten: 2008, 2009, 2010! "Ja, auch heute gibt es noch arme Menschen", seufzt Margit Gumpold, die sich ebenfalls rührend um den Ort kümmert. Anton Planitzer hat sich mittlerweile zu uns gesellt. Viel weiß er zu erzählen. Er verweist auf ein Grab: "Die Verwandten wohnen südlich von Belgrad. Zweimal im Jahr fahren sie 400 Kilometer hierher, zu Muttertag und zu Allerheiligen." Es ist eine Geschichte, die berührt. Eine von sehr vielen hier in Ehrnau. Berührend ist auch die Selbstverständlichkeit, mit der in Mautern angepackt wird. Und die Bescheidenheit. "Die Gärtnerei Liechtenstein müssen Sie in Ihrem Bericht erwähnen, die hilft nämlich auch", wird aus der Runde eingeworfen. "Und die Bestattungsfirma Fiausch macht die Taferl."

Am Allerseelentag zeigt sich jedes Jahr, dass sich die Arbeit gelohnt hat. Nach einem Gottesdienst in der Pfarrkirche werden in Ehrnau Hunderte Kerzen angezündet. "Es ist ein wunderschöner Anblick", schwärmt Gumpold. Ein Anblick, auf den auch Karla Weinzierl stolz wäre.

von Jakob Traby, "Steirerkrone"

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