Interview

„Man lässt keinen Widerspruch mehr zu“

Vorarlberg
15.11.2020 10:56

In der Interviewserie „Das alte Tier“ spricht Robert Schneider mit ganz unterschiedlichen Menschen über „Corona“. Diesmal ist der international erfolgreiche Autor und Kabarettist Stefan Vögel sein Gegenüber.

Was für ein Jahr! Die Kultur-Branche wurde besonders hart abgestraft. Ist Humor nicht systemrelevant?

Es scheint so. Die Unterhaltung, das Ausgehen wird am wenigsten gebraucht und daher als erstes gestrichen. Das ist aber nicht sonderlich neu. Das hat es immer schon gegeben. Wir Künstler sind immer die Ersten, die das zu spüren kriegen. Meine Freunde, Schauspieler zum Beispiel, sitzen zuhause rum und können rein gar nichts tun. Was sie noch mehr schmerzt, neben der existenziellen Angst, ist die Tatsache der völligen Missachtung. Nicht einmal Missachtung. Wir sind gar nicht aufgefallen, wurden einfach nicht wahrgenommen, wohingegen andere Branchen sehr schnell mit Riesengeldern gerettet wurden. Wenn sich die Kunstschaffenden nicht selbst zu Wort gemeldet hätten, wäre kein Kulturpolitiker auf sie zugegangen und hätte gefragt: „Wie geht’s eigentlich euch?“

Hatten Sie jemals Angst vor einer Ansteckung durch Corona?

Ich habe bis heute nicht wirklich Angst davor. Ich weiß, es ist eine reale Krankheit, die auch einen schweren Verlauf nehmen kann. Wenn ich mir jedoch die Zahlen ansehe, ja, dann ist es halt eine Gefahr von vielen. Ich wache am Morgen nicht mit der Angst auf, hoffentlich stecke ich mich heute nicht an. Sowas ging mir nie durch den Kopf.

Der erste Lockdown fiel in ein sagenhaft schönes Frühjahr. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ich bin da völlig naiv in diese Zeit gerutscht, wie die meisten, schätze ich mal. Ich dachte, okay, da muss man jetzt Obacht geben, aber es wird relativ schnell vorbei sein. Bis zum Sommer ist das gelaufen. Ich hatte die Folgewirkungen gar nicht so recht präsent gehabt. Ich wusste zwar, dass mir jobmäßig einiges flöten geht, was ärgerlich war, hab’s aber auf die leichte Schulter genommen. Eigentlich habe ich die Zeit am Anfang sehr genossen. Dieses Entkoppeltsein vom Hamsterrad, in dem ich mich sonst drehe - Theaterbesuche, Stücke schreiben, Familie. Das muss man ja alles unter einen Hut kriegen. Bis sich abzeichnete, dass das eine bleibende Geschichte wird, und dann wurde es natürlich existenzbedrohend. In unserer Branche redet man inzwischen von einem Normalbetrieb frühestens ab Frühling 2022. Das sind also noch eineinhalb Jahre. Da muss ich mir schon überlegen: Stehe ich das durch? Und wie? Ich mache jetzt andere Sachen als früher. Ich muss.

Ist es nicht merkwürdig, dass es zu Corona noch immer keine einheitliche Meinung gibt? Warum spaltet dieses Thema so viele Geister?

Mir ist erstens sehr schnell aufgefallen, wie groß die Anzahl der Virologen ist und wie unterschiedlich ihre Meinungen. Von „Es ist gefährlich, aber das Risiko, dass jemand daran stirbt, ist nicht sonderlich groß“ bis zu „Wir taumeln in die zweite spanische Grippe hinein.“ So. Du als Nichtmediziner und Nichtvirologe suchst dir jetzt deine Wahrheit in diesem Gebrüll. Unfassbar auch, wie das die Leute in den Social Media spaltet. Das ist ein Phänomen der Social Media überhaupt, nicht nur bei diesem Thema. Man lässt keinen Widerspruch mehr zu. Es gibt keine Brücken, miteinander zu kommunizieren, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Ein zweiter Punkt ist die Ansteckungsgefahr anderer. Wenn die Krankheit nur dich treffen würde, du sie aber nicht verbreiten könntest, wäre auch der Umgang damit ein ganz anderer. Bei Corona ist es aber so, dass du potenziell dein Gegenüber ansteckst, und das macht dich zu einem schlechten Menschen. Darum wird auch jeder Virologe, der diese Möglichkeit in Kauf nimmt - nennen wir es so - sofort zum Menschenfeind deklariert. Interessant ist auch, dass gerade die schützenswerteste Gruppe, also alte Menschen, mit fortlaufendem Lockdown rebelliert haben, indem sie sagten: Ich bin sowieso alt und will die nächsten zwei Jahre nicht so leben.

Zitat Icon

Gerade alte Menschen haben mit fortlaufendem Lockdown rebelliert, sie sagten: Ich bin sowieso alt und will die nächsten zwei Jahre nicht so leben.

Stefan Vögel

Hat diese Zeit etwas in Ihnen ausgelöst? Sehen sie die Welt jetzt mit anderen Augen?

Die Sicht auf die Welt hat sich nicht verändert, eher die Sicht auf andere Menschen. Ich habe mich sehr über Freunde von mir gewundert, die ich als sehr kräftig und mutvoll empfand, und die plötzlich eine totale Angst vor dem Virus bekamen. Andere wiederum, von denen ich dachte, sie seien eher ängstlich, liefen zur Höchstform auf, was die Furchtlosigkeit betrifft. Interessant auch: Bei einem Gespräch mit einem unbekannten Menschen - ohne über Corona zu reden - kann ich Ihnen aus dem Stand heraus sagen, ob diese Person jobmäßig vom Virus betroffen ist oder nicht.

Also Beamte oder Selbstständiger?

Wenn Sie so wollen. Was mich selbst betrifft, überwiegt mehr die Enttäuschung, um etwas betrogen worden zu sein.

Kommt ein neuer Frühling, ein neues, wiedergefundenes Leben?

Das hoffe ich doch sehr. Ich will das nicht die nächsten zwanzig Jahre lang mitziehen müssen. Man will doch nach einer Krise nicht den Rest des Lebens mit der Verarbeitung derselbigen zubringen. Wir können nicht jeden Morgen mit einem Buch voller Gefahren aufstehen. So kann niemand leben. So will auch niemand leben.

Robert Schneider

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