Soundtrack & Buch

Die Toten Hosen: Mersey Beat statt Deutschpunk

Musik
16.11.2020 06:00

Die Toten Hosen haben sich, inspiriert von Sänger Campinos Arbeit an seinem ersten Buch, dem Sound von Liverpool gewidmet. Dieser Tage erschien das (in physikalischer Form limitierte) Album „Learning English Lesson 3: Mersey Beat!“ mit Coverversionen von Stücken aus jener Ära von Ende der 50er bis Mitte der 60er. „Diese Beat-Musik ist gar nicht so weit weg vom Punk. Wir konnten in einigen Stücken durchaus unsere Wurzeln erkennen“, sagte Campino im APA-Interview.

(Bild: kmm)

„So wie die Beatles den Song ‘Slow Down‘ heruntergehämmert haben, ist das, im zeitlichen Kontext gesehen, Anfang der 60er-Jahre nichts anderes als Punkrock gewesen - sehr raue, vom Rock‘n‘Roll beeinflusste Musik“, betonte Campino. Die Nummer ist auf dem Coveralbum ebenso enthalten wie Hits der Sorte „Needles And Pins“ und „Hippy Hippy Shake“, aber auch weniger bekannte Perlen des Genres. „Die Herausforderung war, das Album im Sinne der 60er zu gestalten, den Sound also möglichst beizubehalten, nur mit ein bisschen mehr Punch, wie man ihn heute durch die bessere Aufnahmetechnik einbringen kann.“

Idee entfaltete sich
In seinem Buch „Hope Street - Wie ich einmal englischer Meister wurde“ erzählt der Musiker in einer Art literarischem Roadmovie von seiner Leidenschaft für den Fußballclub Liverpool FC, über seine Familie und seine Liebe zu England. „Ich wusste, dass ich damit auf Lesereise gehen würde“, sagte Campino. Also hat der Sänger seinen Freund Kuddel, den Gitarristen der Toten Hosen, gefragt, ob er Lust habe, ihn zu begleiten. „Wir wollten die Abende mit Musik auflockern und auch mit Liedern gestalten, die mit Liverpool zusammenhängen.“ Im Proberaum war schnell klar: „Mensch, das würde sich auch als Bandversion total gut anhören!“ Also wurde der Rest der Gruppe dazugeholt.

„Die Magie des Mersey Beats lag darin, dass man die Rock‘n‘Roll-Nummern aus den USA in einen Vier-Viertel-Takt umgewandelt und mit Harmoniegesängen ausgestattet hat. Dadurch bekam das Ganze teils einen aggressiveren Touch“, erzählt Campino. „Die Lieder gingen in der abgewandelten Form zurück in die USA und regierten dort die Top-10. Damals war von ‘the british invasion‘ die Rede. Anfang der 60er-Jahre gab es weit über 300 Bands nur in Liverpool. Das muss man sich so vorstellen wie dieses Phänomen Neue Deutsche Welle - das war ein, zwei Jahre der letzte Schrei, ist dann plötzlich implodiert und war dann die Musik von gestern.“

Identifikationssache
Der Mersey Beat war auch eine Reaktion der Jugend auf Arbeitslosigkeit und Tristesse. Campino: „Liverpool hat alles durchlebt - großen Wohlstand, als die Hafenstadt im Welthandel mitmischte, und auch große Armut. Viele Menschen aus Irland sind zur Zeit der dortigen Hungersnot in Liverpool gelandet mit der Hoffnung, weiter nach Amerika zu kommen. Sie sind dort aber hängengeblieben. Armut und Rauheit der Stadt prägten die Identität der Bürger, die sehr zusammenhalten und eine Identifikation gegen Restengland aufgebaut haben. Alkoholismus war stark verbreitet, aber auch die Sangesfreude, der irisch-walisische Geist beim gemeinsamen Feiern.“

So sei es auch kein Wunder, dass von Liverpool und seinem FC aus die Fangesänge Einzug in die Fußballwelt hielten: „Das war schon eine andere Sache als ‘Werder vor, noch ein Tor‘ zu rufen, da ging‘s um richtige Songs“, so Campino. „Sobald heute ein neuer Spieler zum FC Liverpool kommt, wird ihm ein Lied gewidmet. Das machen die Fans mit großer Liebe. Das ist trotz aller Entwicklungen im Fußball nicht totzukriegen.“

Harte Arbeit
Am 17. November hätte Campino im Wiener Burgtheater aus seinem Buch lesen sollen. Trost gibt es nach der Corona-bedingten Absage: Er könne es sich durchaus vorstellen, nach der Pandemie auf Lesereise in größerem Rahmen zu gehen, wie der Musiker und Neo-Autor sagte. Und es gibt ein Hörbuch von „Hope Street“, das Campino selbst eingelesen hat: „Neuneinhalb Stunden! Ich habe dafür dreieinhalb Tage gebraucht. Irgendwann musst du anerkennen, dass dein Unterkiefer müde und dein Ausdruck schlechter wird. Dann muss man abbrechen. Vor allem nach dem ersten Tag bin ich mir leer und auserzählt vorgekommen.“ Den Lese-Marathon hat der Künstler allerdings gut gemeistert, selbst wenn er gestand: „Ich habe noch nicht den Mut gehabt, mir das anzuhören. Vielleicht im nächsten Jahr...“

APA/Wolfgang Hauptmann

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