Im Wr. Haus der Musik

The Ocelots: Der letzte Livegig vor dem Lockdown

Musik
04.11.2020 06:00

Livekonzerte sind in Zeiten wie diesen längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Vergangenen Sonntag, exakt zu Allerheiligen, waren die Ocelots wohl eine der allerletzten Bands, die zumindest in Wien eine Bühne betreten haben. Wir baten sie zum Gespräch.

(Bild: kmm)

Der Gig der Ocelots im Haus der Musik war offiziell ausverkauft, doch nicht jeder Kartenkäufer ist schlussendlich erschienen. „Danke an die, die hier sind und schade, dass die anderen nicht da sind. Es ist aber wohl beides die richtige Entscheidung“, betonte Ashley Watson auf der Bühne. Gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Brandon zog er vor vier Jahren aus dem beschaulichen irischen Dörfchen Wexford aus, um als folkiges Singer/Songwriter-Duo die gesamte Welt zu bereisen. Nicht nur, um überall zu spielen, sondern auch, um Eindrücke und Erlebnisse zu sammeln, die in den fein ziselierten Songs der beiden 23-Jährigen Niederschlag finden.

Erst diesen März, zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, veröffentlichten die im deutschen Leipzig sesshaft gewordenen Musiker ihr Debütalbum „Started To Wonder“, lassen sich von all den vielen Widrigkeiten im Musikbusiness aber nicht unterkriegen. Für den Wien-Gig nur etwas mehr als 24 Stunden vor dem neuerlichen „Lockdown Light“ nahmen die Watsons auch eine zehnstündige Zugfahrt in Kauf, schließlich ist die Leidenschaft größer als alle Mühen und Hindernisse, die sich einem in den Weg stellen. Im Interview sprachen die beiden nicht nur über die Überlegungen, ob man sich Reise und Konzert unter diesen Umständen wirklich antun sollte, sondern auch darüber, dass sie aus den österreichischen Maßnahmen nicht immer ganz schlau werden und was es bedeutet, als nomadenhaft lebende Musiker plötzlich an einen Ort gebunden zu sein.

„Krone“: Brandon, Ashley, ihr wart mit eurem Auftritt am 1. November im Wiener Haus der Musik eine der allerletzten Bands, die vor dem neuerlichen Lockdown bei uns live auftreten durfte. Dann seid ihr auch noch gute zehn Stunden per Zug aus Leipzig angereist. Wie hat sich das angefühlt?
Brandon Watson:
Wir waren sehr überrascht, dass das noch geklappt hat. Viele Konzerte davor wurden abgesagt, weil es den Veranstaltern zu gefährlich war. In Wien hatten wir wirklich das Gefühl, dass wir das allerletzte Mal auf der Bühne stehen würden und das war extrem aufregend. (lacht)

Habt ihr eigentlich darüber nachgedacht, den Wien-Gig doch lieber nicht zu machen?
Ashley Watson:
Die Situation war lustig. Unser Manager hätte das Konzert absagen können, die Booking-Agentur, das Haus der Musik und schlussendlich wir selbst. Noch wenige Tage zuvor hatten wir das Gefühl, dass in jeder Ecke eine dieser Parteien lauert und nur darauf wartet, wer als erster aufgibt. (lacht) Ich persönlich hätte das Konzert nie abgesagt. Ich fühle mich dort wesentlich sicherer als in Supermärkten oder dicht besuchten Einkaufsstraßen, die dann doch wieder offenhaben dürfen. In Österreich gibt es ziemlich viele Widersprühe, wo man sich sicher fühlen kann und wo nicht. So ganz blicken wir da auch nicht durch. Aber bei unseren Konzerten könntest du am offenen Herzen operieren, so sauber und sicher sind sie. (lacht)

Ihr habt aber in diesem Jahr ohnehin schon viel mitgemacht…
Brandon:
Das kann man so sagen. 2020 ist das schönste und schlimmste Jahr zugleich. Exakt im März erschien unser Debütalbum „Started To Wonder“ und wir hatten unzählige Gigs gebucht, die alle abgesagt wurden. Zuerst wurden sie in den Herbst verschoben, aber daraus wurde auch wenig. Jetzt geht es eben Richtung Frühling 2021. Man kann es leider nicht ändern. Zudem hatten wir mehr als 40 Konzerte in Australien gebucht und wurden dort Opfer der großen Brände und mussten einige Shows absagen. In Melbourne ging ich mit einem weißen T-Shirt ins Freie und es war in wenigen Sekunden grau. Wir sind vor etwas mehr als einem Jahr nach Leipzig gezogen und sehr glücklich darüber, denn in unserer Heimat Irland sind die Leute seit März ziemlich eingesperrt. Es gab ein paar Open-Air-Konzerte, aber das war’s auch schon wieder. Heuer fühlen wir uns wie Mäuse, die den Käse in der Falle sehen. Man greift danach, auch wenn es gefährlich ist - so wie es dieses Konzert hier in Wien war. (lacht) Vielleicht ist es aber auch gesund für uns, denn seit wir Irland 2016 verlassen haben, hatten wir nie eine Pause.

Im besten Fall eine Zeit, in der man reflektieren und sich über gewisse Dinge des Lebens bewusstwerden kann.
Brandon:
Exakt. Wir haben Online-Konzerte gespielt und uns so zumindest die Miete reingespielt. Zudem hatten wir viel Zeit, um an neuen Songs zu feilen und Ideen umzusetzen. Nach den letzten Jahren brauchten wir diese Entschleunigung. So schlimm viele Dinge heuer auch sind, ich hatte noch nie so viel Zeit, mich selbst zu finden und meinen Zugang zur Musik analysieren zu können. Egal, ob du Bananenbrot machst oder ein Bild malst, es hat jeder die Zeit und die Möglichkeit, seinen Instinkten zu folgen. Das Virus ist größer als wir alle und Arbeit ist nicht alles. Wir müssen nicht wie die Wahnsinnigen tagtäglich im Hamsterrad strampeln, nur um die Miete zu bezahlen. Das habe ich zwischenzeitlich vergessen und viele andere sicher auch.

Gerade für Menschen wie euch, die einen nomadenhaften Lebensstil gewohnt sind, muss diese Lage extrem schwierig sein. Keine großen Reisen, keine spontanen Ausflüge, nichts.
Ashley:
Unsere größte Sicherheit war immer, keine Sicherheit zu haben. Wir sind sogar aktiv davor weggelaufen, aber das Corona-Virus hat uns in den Hintern getreten und uns gelehrt, dass man auch mal länger an einem Platz bleiben kann. Ich glaube, dass wir in diesem Jahr extrem gereift sind. Leipzig ist in einem neuen Land. Es ist eine neue Stadt, eine neue Kultur für uns und wir konnten dann nicht mehr weg. Wir haben in diesem Jahr ungemein viel dazugelernt.
Brandon: Von Jänner bis April waren wir in Australien. Ein Monat länger als geplant, wegen der Brände. Letztes Jahr waren wir zwei Monate in Irland und deshalb hatten wir noch nie die Chance, Leipzig kennenzulernen und gut Deutsch zu lernen. Auch wenn wir uns da stark verbessern. Wir haben uns alle Staffeln von „Stromberg“ und dem „Tatortreiniger“ angesehen, das war ein guter Crashkurs. (lacht)

Habt ihr vor Leipzig in anderen Städten gelebt? Wie ging das vor sich, als ihr euer irisches Heimatdorf Wexford 2016 im Alter von 18 verlassen habt?
Ashley:
Wir haben viel Zeit in Dublin, München, Berlin und Paris verbracht, aber eigentlich waren wir so gut wie überall.
Brandon: In Wexford wohnten wir vier Jahre in einem Apartment, aber es wurde irgendwie zu einem Lager, weil wir eh nie da waren. Wir wollten immer weg und reisen. Deutschland ist einfach perfekt, weil man nicht mehr dauernd fliegen muss, um ein Konzert spielen zu können. Es war schon auch eine wirtschaftliche Entscheidung. In Wexford war unsere Geschichte einfach fertiggeschrieben. Als Songwriter musst du Dinge erleben und erfahren, um darüber schreiben zu können. Wir sind immer auf der Jagd und in Wexford gab es nichts mehr zu jagen.
Ashley: Wir steckten lange in einer Art Identitätskrise, als wir daheim wohnten. Wir sind jetzt knapp 23 Jahre alt, haben keine College-Ausbildung und mussten einen Weg finden, wie wir mit einer Art von Straßenweisheit aufwachsen. Wir sind intelligent, aber nicht im Sinne eines College-Absolventen.

Interessant ist vor allem, dass eigentlich jeder in Deutschland nach Berlin will, weil dort die Kreativszene pulsiert. Trotzdem hat es euch ins schöne Leipzig verschlagen…
Brandon:
Wir haben viele Freunde aus der Musikszene in Berlin und sie alle kämpfen, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Es gibt dort so viele Musiker, dass man davon förmlich überrollt wird. Wir waren sechs Monate in Berlin, fanden nirgends wirklich Anschluss und hingen meist im Park herum, wo wir nichts taten, außer Bier zu trinken. (lacht)
Ashley: Wir sind jetzt keine Arbeitstiere, aber wir hatten zunehmend das Gefühl, dass wir unsere 20er dort versauern würden. Es gibt so viele Albtraumgeschichten von Musikerin in Berlin, die auftreten, kaum oder gar kein Geld dafür sehen und niemand vorbeischaut. Weil der Mitbewerb dort so hoch ist, sind die Venues nicht darauf angewiesen, jeden zu bezahlen. Ich finde, es gibt dort keine richtige Konzertkultur. Man zahlt am Kiosk ein Euro für ein Bier und sieht den Wert der guten Künstler nicht. Das Talent wird verschwendet und man reicht den Hut herum und steigt vielleicht mit 40 Euro aus, wenn es gut geht. Davon kann niemand leben.
Brandon: Wir sind aus einem kleinem Dorf in Irland und hatten schon in Dublin Probleme, in den Pubs unterzukommen. Berlin war dahingehend noch schlimmer. Man kann dort jeden Tag wo spielen, aber es kommt meanchmal niemand und man spielt gratis. Es ist wie ein Wurmloch, aus dem man sich nicht mehr befreien kann. In Leipzig kann man auch günstig wohnen, es gibt noch keine Wohnungskrise und die Gentrifizierung hat noch nicht überhandgenommen.

War euch schon in den späten Teenagerjahren klar, dass ihr mit 18 von daheim ausbrechen und die Welt sehen müsst?
Ashley:
Es hatte schon viel mit Rebellion zu tun. Ich habe die Schule nie gemocht und war ein sehr anstrengender Teenager, dem alles am Nerv ging. Ich hasste die Institutionen und das ganze System. (lacht) Autorität ist nichts, mit dem ich klarkomme. Damals dachte ich, ich wäre erwachsen, aber das war nicht der Fall. Ich liebe das Lernen und beneide die College-Studenten, aber das starre System behagte mir nicht. Also dachte ich, ich will die Welt sehen und reisen.
Brandon: Das verbindet uns als Zwillinge, denn ich war bei Weitem nicht so ein Rebell wie Ashley. (lacht) Ich wollte aufs College und vorher ein Jahr Auszeit nehmen, um zu reisen. Nur haben wir dann nie damit aufgehört und befinden uns auf der niemals endenden Mission, jede Stadt der Welt mit unserer Musik zu besuchen.
Ashley: Anstatt in der Schule zu sitzen habe ich Gregory Roberts‘ Roman „Shantaram“ gelesen, wo ein Australier sein Land verlässt, um nach Indien zu gehen. Wir haben bislang selbst „nur“ Europa und Australien gesehen, aber wir sind noch lange nicht am Ende. Ich hatte immer die Vorstellung, dass wenn ich aufs College gehen würde, wäre ich ein Stoner, der ohnehin nie Vorlesungen besucht. Hätte ich mich damals beworben, wäre das mein Schicksal gewesen. Sie hätten mich rausgeschmissen und ich hätte einen Job gemacht, der mich nervt.
Brandon: Wir sind im Endeffekt anders aufgewachsen als andere. Es ist auch gar nicht so abnormal, denn viele wissen mit 18 nicht, wohin sie im Leben gehen sollen. Zudem ist es in Irland unüblich, einfach mal ein Jahr Auszeit zu nehmen, um zu reisen. Das ist hier bei euch viel akzeptierter.

Habt ihr dieselbe Vision bezüglich eurer Zukunft und wie ihr die Karriere als Musiker im weiteren Verlauf seht, auch wenn ihr beide sehr unterschiedlich tickt?
Ashley:
In erster Linie geht es uns darum, gute Songs zu schreiben. Das Debütalbum auf Vinyl rauszubringen war ein großes Lebensziel, das wir uns erfüllen konnten. Wir haben schon genug Songs für den Nachfolger, aber bis so ein Produkt fertig ist, vergeht immer sehr viel Zeit. Songs schreiben und sie aufnehmen ist noch der leichteste Part. Unsere Ziele müssen wir der neuen Realität anpassen, die das Corona-Virus mit sich bringt.
Brandon: Die Dinge werden wieder besser werden, wir sind da absolut optimistisch. Wir hatten auch noch nie das Gefühl, dass wir als Künstler jetzt untergehen werden. Es gibt immer gute Gründe, um nach vorne zu schauen.

Gab es für euch eigentlich jemals einen Plan B? Oder gibt es den vielleicht heute noch, falls die Dinge noch länger schwierig bleiben?
Ashley:
Ich schreibe gerne. Brandon ist in der Filmwelt leidenschaftlich unterwegs, aber das sind alles Hobbys von uns. In der Musik können wir die sein, die wir sind. Wir können unserer Leidenschaft folgen und sind generell an Kunst und Kultur interessiert. Ich glaube nicht, dass etwas anderes für uns in Frage käme.
Brandon: Und falls es mal kracht, gibt es ja andere Bands. Vielleicht brauchen die Oasis-Gallaghers mal einen neuen Bruder, mit dem sie zurechtkommen können. (lacht)

Zwillinge haben bekanntlich eine sehr besondere Bindung zueinander, aber hat sich eure Beziehung zueinander durch die vielen Reisen und Erlebnisse in den letzten Jahren stark verändert?
Brandon:
Wir selbst haben uns verändert, weniger unsere Beziehung zueinander. Als Brüder haben wir immer dieselben Probleme, aber teilen uns auch dieselben Leidenschaften. Bis 15 hatten wir die exakt gleichen Interessen und man kannte uns kaum auseinander. Es gab immer nur Brandon und Ashley im Gespann, doch mit steigendem Alter wurden die unterschiedlichen Charaktereigenschaften deutlicher. Wenn du eine Freundin hast, kann sie dich stark verändern, ohne dass du das selbst mitkriegst. Das kennen wir beide mittlerweile zur Genüge. (lacht) Man lernt neue Menschen kennen und passt sich unbewusst an. Wir sind heute sicher interessantere Charaktere.
Ashley: Brandon ist außerdem der größere Radiohead-Fan. Meine Meinung zu ihnen ist eher schmal gehalten, um freundlich zu bleiben. (lacht) Ich mag Bill Callahan viel lieber, den mag Brandon dafür nicht. Ich mag seine Musik, weil er meinen Zugang zur Popstruktur völlig verändert hat. Er klingt wie Leonard Cohen wenn Leonard Cohen noch nie einen Song gehört hätte. (lacht) Callahan sind die Texte egal, aber sie sind trotzdem sehr poetisch.
Brandon: Was uns als Songwriter ausmacht ist die Ehrlichkeit. Dadurch, dass wir uns so nahestehen, können wir dem anderen auch einmal sagen, dass seine Idee scheiße ist, wenn wir das so meinen. Das ist im Prinzip ein großer Gewinn für die Songs.

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