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Martin Grubinger: „Nichts bleibt so, wie es war“

Salzburg
01.11.2020 00:02
Das Jahr 2020 ist kein gutes Jahr. Für uns Künstler könnte man es dramatischer auch ein verlorenes Jahr nennen. Denn uns droht durch die Verordnungen der Bundesregierung schon ab Dienstag ein erneutes Berufsverbot. Obwohl alle Konzertveranstalter geradezu radikal ihre Hygiene-Konzepte erarbeitet und umgesetzt haben, reicht es in diesem November schon wieder nicht, das Ruder in unserem Sinne herumzureißen.

Viele meiner Künstlerfreunde sind völlig verzweifelt. Ich kann gut verstehen, dass bei vielen die Scham groß ist, offen über die verheerende persönliche Lage zu sprechen. Und doch beschleicht mich ein Gefühl, dass die wirtschaftliche Situation diesmal noch dramatischer wird.

Das heurige Jahr markiert für die gesamte Veranstaltungsbranche eine Zäsur. Und noch in Jahrzehnten wird man die Welt der Kunst in eine Zeitrechnung vor und nach Corona einteilen. Denn nichts wird bleiben, wie es war. Und lange nachdem diese Pandemie hoffentlich überwunden sein wird, wird man die inhaltlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Krise spüren.

Ich habe in dieser Kolumne schon ein paarmal über die Situation der Künstler geschrieben. Über das Problem der oftmals fehlenden Relevanz verpasster Chancen, unsere wirtschaftliche Situation auf eine breitere Basis zu stellen, die Notwendigkeit, mit einer geeinten Stimme die Interessen aller in dieser Branche, die zu einem der größten Wirtschaftszweige in diesem Land gehört, zu vertreten. Dazu eventuell in einigen Wochen nochmals ein paar Worte mehr dazu. Für heute soll hier kein weiteres Wort der Klage über den Berufsstand der Künstler fallen. Wir, die wir von unserer Arbeit leben müssen, sitzen alle in einem Boot.

In diesen Tagen geht es um noch viel mehr. Um den Schutz unserer Gesundheit, um die Chance, die sich uns allen jetzt bietet, uns selbst, Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten das Leben zu retten. Die vom Virus verursachte Lage duldet keinen weiteren Aufschub. Denn folgt man der Wissenschaft, muss die Zahl der Infizierten sehr schnell gesenkt werden.

Nun ist es völlig egal, ob wir der Meinung sind, die Regierung hätte richtig gehandelt, ob wir die Arbeit der türkis-grünen Koalition in der Pandemie schätzen, ob möglicherweise der vergangene Sommer besser zur Vorbereitung auf die zweite Welle hätte genutzt werden können, die Informationspolitik transparent und auf Augenhöhe war und parteipolitische Überlegungen zu oft eine Rolle spielten. Das alles zu beklagen oder gar dagegen aus Protest die verordneten Maßnahmen zu ignorieren, wäre grob fahrlässig und ein grosser Unfug. Denn nur mit schnellem, entschlossenem Handeln lässt sich die Situation wieder in den Griff bekommen. Schlaflosigkeit und eine gewisse Unruhe begleiten mich in dieser Zeit.

Diese Kolumne schreibe ich um vier Uhr früh. In diesen Tagen verbinde ich meine Unruhe mit der Hoffnung, morgen, Montag, bei unseren Konzerten im Wiener Konzerthaus noch einmal Bühnenluft schnuppern zu können. Das Gefühl, Musik mit anderen Menschen teilen zu dürfen, das Kribbeln vor dem Auftritt, die aufgestauten Emotionen dieses Jahres nochmals in ein paar Takte Musik gießen zu dürfen.

80 Konzerte musste ich heuer bereits absagen. Schmerzhafte Gedanken rauben mir so manches Mal den Schlaf. Doch befreie ich meinen unruhigen Geist mit einem Gedanken: Wenn mit diesen Absagen ein einziges Menschenleben gerettet werden konnte, war es jede einzelne Konzertabsage wert.

Bitte tragen Sie die Maske, halten Sie Abstand und bleiben's gesund.

Ihr Martin Grubinger

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