Interview & Album

Müßig Gang: „Wir betreiben keine Blasphemie“

Musik
03.11.2020 06:00

Sechs lange Jahre nach ihrem Debütalbum „Aller Laster Anfang“ meldet sich das international tickende und klingende „Wienerlied“-Kollektiv Müßig Gang mit „Massenlethargie“ zurück. Darauf hat das Quintett nicht nur seinen eigenen Sound gefunden, sondern changiert auch geschickt zwischen Humor und Gesellschaftskritik. Die Frontmänner Rudi Gratzl und Skero geben uns einen näheren Einblick in ihr Schaffen.

(Bild: kmm)

Nomen est Omen - wer sich Müßig Gang nennt, der darf sich keinesfalls von der Hast des Lebens treiben lassen. Einst als „neues Wienerlied-Projekt“ des Rappers Skero angekündigt, hat sich die musikalisch als auch inhaltlich bunt aufgestellte Truppe natürlich längst von allen vorbestimmten Klischees etabliert und eine eigene Farbe auf die Musiklandkarte getupft. Dass seit dem Debütalbum „Aller Laster Anfang“ ganze sechs Jahre vergangen sind, ist auch für ein in aller Freundschaft gemütlich geführtes Projekt nicht wenig. Zwischen 2014 und 2016 haben Müßig Gang viel gespielt, dazu ist es den fünf Bandmitgliedern, die sich zwischen Rap und Reggae, House Of Freedom und der Musikuni, Paris und den Kap Verden befinden, auch außerhalb nicht fad gewesen. „Uns kam die Krise sogar zugute“, erzählt Frontmann Rudi Gratzl im Gespräch mit der „Krone“, „normalerweise reisen einige von uns mit ihren Hauptprojekten das ganze Jahr quer durch die Welt, jetzt ging das nicht.“ Skero ergänzt mit süffisantem Lächeln: „Zudem sind wir ja dem Namen verpflichtet.“

Sound gefunden
Herz und Leidenschaft sind wichtige Parameter für eine Band unter Freunden, die dann halt doch etwas mehr ist, als nur eine lustige Spielwiese neben dem rauen Ernst des Lebens. Bandname und auch der Albumtitel „Massenlethargie“ passen überraschend gut in diese dunkle und unvorhersagbare Zeit, obwohl die Intention dahinter nicht das grassierende Coronavirus war. „Mit ,Verhatschter Samstag‘ gibt es eigentlich nur einen Song, der darauf entspricht“, erklärt Gratzl, „wir haben ihn an einem Abend geschrieben und am Vormittag aufgenommen - fertig.“ „Er entstand als allerletztes, gab uns aber trotzdem die musikalische Richtung vor“, erinnert sich Skero, „wir wollten nach dem Debüt endgültig unseren eigenen Sound finden und haben mehr in Richtung Soul probiert. Ich bin jetzt kein Al Green, aber wir haben einen Weg gefunden.“ Das traditionelle Wienerlied in einer modernen Version dient der Müßig Gang als Korpus, darin schichtet man frech Pop, Reggae, Hip-Hop, Ska, Soul, Balkan-Beats und etwas Weltmusik. All das klingt leichtfüßig und aus einem Guss, was nicht zuletzt den Fertigkeiten der einzelnen Bandmitglieder zu verdanken ist.

Musikalität und Spaß sind ein nicht unwesentlicher Faktor für die meist mit Humor durchzogenen Texte, die unweigerlich nostalgische Gefühle hervorrufen - etwa beim flotten „Klassenfoto“, wo es darum geht, dass schon die bloße Organisation eines Klassentreffens großer Mühe bedarf und man im Vorfeld stets der Unsicherheit harrt, wie ein solches Wiedersehen denn überhaupt wird. „Genau diese Ambivalenzen haben uns interessiert“, betont Gratzl, „manchmal weißt du ja gar nicht mehr, ob jemand, den du aus den Augen verloren hast, überhaupt noch lebt. Manchmal triffst du Leute nach zehn Jahren wieder und es ist so, als wäre keine Sekunde vergangen. Bei anderen weißt du nicht mal, was du überhaupt mit ihnen reden sollst - all das haben wir in dem Lied eingefangen.“ Skero ging dafür auf tiefe Recherche: „Ich habe alle alten Schulfreunde gegoogelt und bis auf einen keinen gefunden. Am meisten überrascht hat mich, dass gewisse Leute im Internet gar nicht zu existieren scheinen.“

Platz für Humor
In „Zerbrochen“ wird ein kaputtes Handy beweint, die „Klingelpartie“ geht auf Türstreiche in der Jugendzeit zurück, „Herwig und Hermine“ sind ein fiktives Paar, das sich durch eine langjährige und erkältete Beziehung ruppig und besserwisserisch zueinander verhält, aber trotz allem etwas Liebevolles vermittelt. Selbstverständlich auch hier wieder mit viel Wortwitz und Spaß an der Sache. „In zwei Stunden stand die Nummer“, lacht Gratzl, „es geht um eine Beziehung, die einem die Luft abzuschnüren scheint und aus der man nicht mehr rauskommt. Man erträgt das alles, hat sich aber eigentlich aufgegeben. Die letzte Textzeile ,aus zwei geknickten Stielen wird nie ein Blumenstrauß‘ sagt eigentlich alles aus.“ Musikalisch hat die Müßig Gang im letzten Moment von einem Drum’n’Bass-Beat auf Zirkusmusik umgeschwenkt. „Inhalt und Melodie sind sehr monoton, aber das wollten wir bewusst so gestalten.“

Bei politisch und gesellschaftskritisch tickenden Menschen wie den Musikern der Müßig Gang bleibt genug Raum, um sich auch kritisch zu äußern. „Heilen“ etwa spielt auf die fehlende Diskursbereitschaft von Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und Ansichten an. „Es geht darum, den anderen in seiner Andersartigkeit zu respektieren und ihn trotz allem zu schätzen. Man muss diese Schwarz-Weiß-Welt endlich aufbrechen und an anderen Meinungen wachsen, sie als Gewinn betrachten und nicht immer von oben herab draufhauen.“ Die fehlende Diskussionskultur werde von der Politik vorgelebt. „Politiker gehen in Nachrichtensendungen gar nicht mehr auf Fragen ein, sondern reden einfach das, was sie loswerden wollen.“ Der „Herrgott“ kritisiert subtil die Religion und endet damit, dass der Protagonist am Ende doch lieber Atheist bleibt. „Wir betreiben hier aber keine Blasphemie“, bekräftigt Gratzl, „Wolfgang Teuschl wurde mit seinem Lied ,Da Jesus und seine Hawara‘ vorgeworfen, alles ins Lächerliche zu ziehen, aber wir hinterfragen. Jeder kann und soll sich seinen Gott so machen, wie er will - nur Ausgrenzung darf nicht sein. Religion war oft der Motor für Hass und Konflikte. Wir üben also nicht Religionskritik, sondern kritisieren, was der Mensch aus dem Glauben so alles macht.“

Auf zum Abgrund
Wie ist denn die angesprochene „Massenlethargie“ nun zu verstehen? „Es ist das unreflektierte Mittun“, holt Gratzl aus, „man will überall dabei sein, denkt aber nicht darüber nach. Das passiert gleichermaßen beim Shoppen und wenn man auf Demonstrationen geht. Es geht um diese Lemmingskultur, wo keiner mehr selbst denkt und alle brav dem Abgrund entgegenlaufen ohne aber zu verstehen, dass man in Kürze daran krepiert.“ Ursprünglich war der Albumtitel als Konsumkritik zu verstehen gewesen, erst die Corona-Krise hat der Bedeutung des Titels eine ganz neue Kolorierung verpasst. „Das Wort ist genausogut auf Corona anwendbar. Was ist wahr und was nicht? Wo mache ich blind mit, nur weil es mir gesagt wird? Heute wird viel zu wenig hinterfragt und man will, ohne sich darüber einen Kopf zu machen, alles haben und überall mitmachen.“ Skero geht dahingehend mit sich selbst hart ins Gericht. „Irgendwie ist der Titel gescheitert“, lacht er, „ich wollte ein Wort als Symbol für die derzeitige Stimmung, aber mir fiel da nix Gescheites ein.“ Nun ja - Mission trotzdem gelungen, denn mit der „Massenlethargie“ trifft die Müßig Gang nach sechsjähriger Abwesenheit inhaltlich als auch musikalisch durchaus ins Volle.

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