Das große Interview

Verdient unser Heer einen Oscar, Herr Ruzowitzky?

Adabei
25.10.2020 06:00

Der Nationalfeiertag als virtuelles Ereignis: Da setzt ein preisgekrönter Regisseur unser Bundesheer in ein völlig neues Licht. Mit der „Krone“ spricht Stefan Ruzowitzky (59) über Krieg und Frieden, Propaganda und Corona und wie der Oscar sein Leben verändert hat.

Ein lichtdurchfluteter Bungalow im Zentrum von Klosterneuburg. Vom Tisch im Wohnzimmer fällt der Blick auf einen Garten mit Pool und großzügigen Sitz- und Liegelandschaften mit vielen bunten Kissen. Stefan Ruzowitzky serviert japanischen Sencha-Tee, seine Maske im Camouflage-Look baumelt um den Hals. Kater „Fidibus“ blickt etwas mürrisch, aber sobald Herrchen ihn auf den Arm nimmt, schnurrt er doch. An den Wänden hängen Werke zeitgenössischer Maler, aber auch Collagen der Vorarlberger Künstlerin Barbara Vögel, die viele Jahre lang seine Filme gecastet hat. Am Nationalfeiertag krönen sieben Kurzfilme des Oscar-Preisträgers die Bundesheer-Leistungsschau (reale Angelobung ohne Publikum am Heldenplatz, virtuell ab 9.05 Uhr im ORF und auf nationalfeiertag2020.jetzt).

Krone“: Herr Ruzowitzky, werden Sie sich am Montag die Ansprache des Bundespräsidenten anhören?
Stefan Ruzowitzky: Dieses Mal schon. Wir haben ja durch Corona doch eine besondere Situation. Der Präsident hat bisher immer sehr gut den richtigen Ton gefunden. Ich denke, er wird an das Gemeinschaftsgefühl appellieren, die Bürger um Disziplin bitten. Wenn ich mir anschaue, was manche Leute auf Facebook schreiben … Da glauben tatsächlich einige, die Politik stecke mit der Wissenschaft und den Medien unter einer Decke, um dem Volk zu schaden. Also da komme ich nicht mehr mit.

Was bedeutet Ihnen der Nationalfeiertag persönlich?
Ich finde es gut, sich wenigstens einmal im Jahr darauf zu besinnen, dass wir in einem guten Land leben. Bei aller berechtigten Kritik haben wir es mit unserer Heimat nicht schlecht getroffen. Wir können dankbar sein, hier zu leben.

Am Vormittag gibt es eine virtuelle Heeresschau, der Sie mit sieben Filmen Oscar-Glanz verleihen. Wie kam es dazu?
Das war alles sehr kurzfristig. Ich glaube, der virtuelle Heldenplatz wurde überhaupt erst vor 20 Tagen beschlossen. Und mich hat man vor zweieinhalb Wochen gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, dafür Filme zu drehen.

Haben Sie sofort zugesagt?
Ja. Weil ich meine Freiheiten hatte und Aspekte betonen konnte, die mir wichtig und wertvoll erschienen sind. Erst gestern hat sich Generalmajor Hofbauer meine Arbeiten angeschaut und war begeistert.

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Ich finde so was spannender und wirkungsvoller, als wenn ich in meiner Blase über den Militarismus auf der Welt schimpfe.

Stefan Ruzowitzky

Warum machen Sie Propaganda fürs Heer?
Ich würde nicht sagen, dass meine Filme Propaganda sind. Höchstens Propaganda für eine Richtung, in die sich das Bundesheer bewegt und in die es sich meiner Meinung nach noch mehr bewegen sollte. Ich finde so was spannender und wirkungsvoller, als wenn ich in meiner Blase über den Militarismus auf der Welt schimpfe. Ich habe das Gefühl, das wird zur Kenntnis genommen, das schauen sich jetzt Generäle an und die Ministerin, ich möchte ja auch etwas bewirken.

Müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, Krieg zu verherrlichen?
Wir wollen alle keinen Krieg, sondern würden uns eine Welt wünschen, in der man kein Militär braucht. Das ist aber nicht so. Deshalb sollten wir alles tun für ein bestmögliches Heer, denn für unsere jungen Leute ist das eine prägende Zeit, wenn sie dort dienen. Das Heer kann sehr viel für die Gesellschaft leisten, und diese integrative Kraft ist eigentlich auch der Kern meiner Filme.

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Ich habe es nicht als schöne Zeit in Erinnerung, ich habe es ehrlich gesagt gehasst.

Stefan Ruzowitzky

Haben Sie auch gedient?
Ja, in Hörsching beim Fliegerabwehrbataillon. Ich habe es nicht als schöne Zeit in Erinnerung, ich habe es ehrlich gesagt gehasst. Trotzdem habe ich dort gelernt, was es heißt, sich selbst zurückzunehmen, die Gemeinschaft als etwas Höherstehendes zu erleben. Mit 18 habe ich in einer Blase von Maturanten gelebt und geglaubt, das ist die Welt. In der Schule war ich Klassensprecher, Schulsprecher, ein Alphatier. Beim Bundesheer war ich auf einmal gar nichts mehr, das war eine wichtige Erfahrung. Ich erinnere mich, dass ein Zimmerkollege gesagt hat, man sollte den Mistkübel ausleeren. „Warum sprichst du im Konjunktiv und machst es nicht einfach?“, war meine Antwort. Der Kollege hat sich beschwert, warum ich Fremdwörter verwende, der hat das gar nicht verstanden. Seither bemühe ich mich, einfach zu formulieren. Fremdwörter können für manche Menschen eine Demütigung sein.

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Es sind tatsächlich zwei Dinge, an die sich fast jeder negativ erinnert. Einerseits sich nicht wie ein Mensch behandelt zu fühlen und andererseits die Leerläufe.

Stefan Ruzowitzky

Hannes Androsch, der für ein Berufsheer gekämpft hat, beschrieb seine Bundesheer-Zeit so: „Alles grüßen, was sich bewegt, alles putzen, was sich nicht bewegt.“ Stehen Unterwürfigkeit und Dienen zu sehr im Vordergrund?
Es sind tatsächlich zwei Dinge, an die sich fast jeder negativ erinnert. Einerseits sich nicht wie ein Mensch behandelt zu fühlen und andererseits die Leerläufe. Dass man manchmal im Dreck liegt, an seine Leistungsgrenzen geführt wird und müde ist, dafür zahlen andere Leute ja viel Geld in sogenannten Survival Camps, also das ist okay. Wichtig wäre es, einen guten Ausgleich zwischen Hierarchie und Teamwork unter mündigen Bürgern zu finden. Es geht eben nicht darum, Menschen zu demütigen oder zu brechen, sondern ihnen ein sinnvolles Angebot zu machen. Das habe ich in meinen Filmen versucht herauszuarbeiten.

Was war der berührendste Moment während der Dreharbeiten?
Das Interview mit Philipp. Oberösterreicher, ganz breiter Dialekt. Er erzählt, dass er immer, wenn er vom Urlaub zurückkommt, merkt, wie sehr er Österreich vermisst hat. Am Ende sagt Philipp: „Es is mei Land hoit.“ Philipp ist schwarz, seine Eltern sind aus Ghana.

Haben Sie bewusst Rekruten mit Migrationshintergrund ausgewählt?
Nein. Der Migrationsanteil beim Bundesheer ist relativ hoch. Da war es ganz natürlich, dass sie auch repräsentiert sind. Ich habe auch eine „Frau Hauptmann“ porträtiert, die trotzdem nicht „Hauptfrau“ heißt. Naja, sie kommandiert hauptsächlich Männer. (Lacht.)

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Wir sind vom Old-School-Militarismus mit Leni-Riefenstahl-Ästhetik schon weit entfernt.

Stefan Ruzowitzky

Zwischen Militarismus und Pazifismus, wo stehen Sie da?
Hundertprozentig beim Pazifismus. Wobei sich auch das Militär gewandelt hat. Wir sind vom Old-School-Militarismus mit Leni-Riefenstahl-Ästhetik schon weit entfernt. Ich habe das Gefühl, dass es viele jüngere Offiziere gibt, die verstanden haben, dass wir im 21. Jahrhundert sind, dass es in unserer Gesellschaft egal ist, woher jemand kommt, welcher Religion man angehört oder ob man schwul ist. Die Idee des Krieges ist ja auch nicht mehr, dass ein Land oder Gebiet erobert wird, weil es reich ist. Das reichste Land der Welt ist das Silicon Valley, aufgrund der geistigen Kapazitäten, die dort konzentriert sind, und nicht wegen seiner fruchtbaren Felder, die man erobern könnte. Beim Heer geht es heute darum, in Krisen einzuspringen, zum Beispiel, als ein paar Hundert Leute die Infrastruktur im Postverteilerzentrum aufrechterhalten haben.

Ist das Bundesheer bald oscarreif?
Es hat in meinen Augen großes Potenzial, eine zeitgemäße, sinnstiftende Organisation zu werden.

War die Gage auch oscarreif?
Ich kriege tatäschlich eine Gage, also ich arbeite für Geld. Ich habe eine Familie zu ernähren. Ich werde gut bezahlt.

Am Nationalfeiertag geht es viel um Identität: Wie würden Sie Ihr Österreich-Bild beschreiben?
Es ist wie zwei Seiten einer Medaille. Die eine ist das Land, in dem es schön ist, das Land von Mozart und Franz Klammer, um das uns die ganze Welt beneidet. Die andere sind unsere Fehler und Sünden, die wir gerne unter den Teppich kehren. Den Herrn Fritzl im Keller, der Nationalsozialismus, an den wir uns eigentlich kaum erinnern können. Genauso wie ich stolz auf Mozart und Klammer bin, schäme ich mich für Hitler und die vielen österreichischen Nazibonzen. Und trotz der beiden Seiten bin ich stolz, Österreicher zu sein. Es ist ein gutes Land. Gerade wenn man nach Amerika blickt, mit seinen aktuellen sozialen Verwerfungen, wird einem das wieder bewusst.

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Im Konkurrenzkampf gegen die Streaming-Dienste war die Corona-Krise das Schlimmste, was passieren konnte. Auch begeisterte Kinogeher haben mittlerweile Netflix und Sky und wie sie alle heißen abonniert.

Stefan Ruzowitzky

Sie sind gemeinsam mit Ursula Strauss auch Präsident der Akademie des österreichischen Films: Wie schwer ist die Filmbranche von Corona getroffen?
Wirklich schwer getroffen ist die Kino-Branche, wie alle Veranstalter. Gerade im Konkurrenzkampf gegen die Streaming-Dienste war die Corona-Krise das Schlimmste, was passieren konnte. Auch begeisterte Kinogeher haben mittlerweile Netflix und Sky und wie sie alle heißen abonniert. Man muss wirklich beten, dass sich das Kino wieder erholen kann. Die Filmbranche an sich produziert eifrig, natürlich mit großen Corona-bedingten Sicherheitsmaßnahmen. Es gibt in Österreich - um jetzt auch einmal die Regierung zu loben - eine Ausfallshaftung. Weil die Versicherungen dieses Risiko nicht tragen wollen, macht das jetzt die öffentliche Hand. Das ist etwas, worum wir in anderen Ländern beneidet werden. Sonst würde die Filmbranche darniederliegen, da geht es doch um sehr viele Arbeitsplätze.

Hätten Sie den Auftrag des Verteidigungsministeriums auch angenommen, wenn nicht Corona gewesen wäre?
Ich muss gestehen, dass mich die Corona-Krise nicht so hart getroffen hat. Ich bin gerade in der Postproduktion für meinen letzten Film und schreibe bereits am nächsten. Und dazwischen war es eine schöne Abwechslung, ich drehe ja so fürchterlich gerne. Ich liebe es, am Set zu stehen.

Sie haben auch diesen Film über ein Virus gedreht, das die Menschen zu Bestien werden lässt. „Patient Zero“. Sehen Sie Parallelen zum SARS-CoV-2-Virus?
„Patient Zero“ war ein Horror-Thriller oder wie meine Eltern gesagt hätten: „ein Dsching-Bumm-Film“. Aber die Idee, dass wir einem Virus hilflos ausgeliefert sind, weil man es nicht sieht, weil es so schwer zu greifen ist, weil wir uns anstecken, ist natürlich Stoff für einen Horrorfilm. Dagegen helfen keine Tricks, keine Waffengewalt, nicht einmal die maximale Intelligenz.

Könnte es sein, dass Corona Sie zu einem neuen Film inspiriert?
Corona selbst nicht, aber was das mit unserer Gesellschaft macht, das schon.

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Man kann beobachten, wie immer mehr Menschen alle staatlichen Institutionen ablehnen.

Stefan Ruzowitzky

Was macht es mit unserer Gesellschaft?
Es befeuert eine gewisse Hysterie. Man kann beobachten, wie immer mehr Menschen alle staatlichen Institutionen ablehnen. Bei aller Kritik, die ich auch an Politik und Medien habe, verstehe ich nicht, woher das kommt. Dieser Gedanke, dass Bill Gates uns alle töten will, oder zumindest zwangsimpfen oder chippen. Da stecken völlig irrationale Ängste dahinter und die Frage für mich ist: Wozu? Wozu will man uns angeblich alle umbringen? Darauf gibt es keine Antwort. Diese Verschwörungstheoretiker nehmen auch für sich in Anspruch, keinerlei Beweise, nicht einmal Indizien zu brauchen, sie behaupten einfach irgendetwas, weil sie es glauben. Dabei hat uns wissenschaftliches Denken doch in den vergangenen 200 Jahren gut weitergebracht. Diese Entwicklung ist auch sehr gefährlich für eine Demokratie.

Was wird in fünf Jahren sein?
Ich hoffe, nein ich glaube, dass dieser Alptraum dann vorbei ist. Ich hoffe, dass wir die große Vertrauenskrise überwunden haben: dass wir einander wieder die Hand geben, Freunde umarmen, gemeinsam zusammensitzen und essen können.

Werden wir etwas gelernt haben?
Ja, wir werden rückblickend schlauer sein. Und hoffentlich gelernt haben, dass es nicht immer sofort einfache Antworten gibt. Dass auch die Politiker jeden Tag dazulernen. Deshalb wäre mehr Verständnis für diese Prozesse wünschenswert. Verständnis auch für Maßnahmen, die erst richtig erschienen sind und sich dann als falsch herausstellen. Da gibt es Menschen, denen das zu kompliziert ist, die glauben dann lieber dem Xavier Naidoo, der irgendeinen Schwachsinn verbreitet, weil dieser Schwachsinn wenigstens eindeutig und klar ist.

Herr Ruzowitzky, nach dem Oscar für „Die Fälscher“ haben Sie gesagt, dass „Oscarpreisträger“ ab jetzt Teil Ihres Namens sein werde. Steht das jetzt auf Ihrer Visitenkarte?
Nein. In Österreich weiß das ohnehin jeder, da kann ich sehr bescheiden auftreten. Wir haben auch unseren Kindern gesagt: Einfach nicht darüber reden, es ist peinlich, damit hausieren zu gehen.

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Was den sogenannten Promi-Status betrifft, ist das in Österreich Gott sei Dank ja nicht so, dass zehn Paparazzi lauern, wenn ich hier zur Tür rausgehe.

Stefan Ruzowitzky

Inwiefern hat der Preis Ihr Leben verändert?
Ich habe beruflich ein besseres Standing, tue mir leichter, gute Schauspieler und interessante Projekte zu bekommen. Was den sogenannten Promi-Status betrifft, ist das in Österreich Gott sei Dank ja nicht so, dass zehn Paparazzi lauern, wenn ich hier zur Tür rausgehe. Ich freue mich schon, wenn mich beim Billa jemand erkennt und mir freundlich zunickt. Und wenn ich, da ich ein politischer Mensch bin, hin und wieder etwas sagen kann, was mir wichtig ist, was dann auch Gewicht hat, dann sehe ich das als Privileg, aber auch als Verantwortung. Auch bei diesen Filmen fürs Heer. Der Oscar hatte eigentlich nur positive Auswirkungen auf mein Leben. Also kann ich es wirklich nur allen empfehlen, auch einen Oscar zu gewinnen. (Lacht.)

Zur Person: Geboren am 25. Dezember 1961 in Wien. Studium der Theaterwissenschaft und Geschichte. In den 80er-Jahren begann Ruzowitzky als Gestalter beim ORF. Er dreht auch Werbespots (zum Beispiel die „Ja! Natürlich“-Kampagne mit dem Schweinderl) und Musikvideos. Kinodebüt 1996. Sein KZ-Drama „Die Fälscher“ wird 2007 mit dem Oscar als „bester fremdsprachiger Film“ ausgezeichnet. Am Nationalfeiertag bringen ORF und Privatsender die Heeresschau mit sieben Kurzfilmen des preisgekrönten Regisseurs in die Wohnzimmer. Ruzowitzky lebt mit seiner Frau Birgit, die ein Second-Hand-Geschäft führt, in Klosterneuburg. Das Paar hat zwei Töchter (Emma, 23, und Anna, 20) und einen afghanischen Pflegesohn (Masud, 22).

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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(Bild: kmm)



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