Aus dem Land der Bären

Echt bärig: Doku als Eintritt in unberührte Natur

Kino
22.10.2020 12:03

Der Mensch im Land der Bären. Filmemacher Roman Droux und Molekularbiologe David Bittner waren im Sommer 2013 drei Monate lang zu Gast bei den Grizzly-Bären im Süden Alaskas - und sind mit beeindruckenden Bildern zurückgekehrt. In der bildgewaltigen Dokumentation „Der Bär in mir“ (ab 23.10. im Kino) geleiten sie den Zuseher hautnah an die mächtigen Tiere heran.

Meister Petz, der große Bär. Ein pompöses Wesen, das uns in Fabeln, Märchen oder bei Zoobesuchen zwischen Respekt und Erstaunen zurücklässt. Der Bär ist das animalische Sinnbild für Stärke und Erhabenheit, aber auch für das Ungezähmte in einer immer enger werdenden Naturlandschaft.

Den Schweizer Geograf und Filmemacher Roman Droux faszinieren Bären schon seit seiner Kindheit. 2013 reiste er mit dem bekannten Schweizer Molekularbiologen David Bittner für drei Monate im Sommer an die Südküste Alaskas, um mit einem High-Tech-Equipment noch nie dagewesene Bilder über das Leben und Sein der mächtigen Säugetiere einzufangen. Dort, wo einst Timothy Treadwell und seine Freundin 2003 von Bären getötet wurden. Der große Werner Herzog hat die tragische Geschichte 2005 in „Grizzly Man“ verfilmt.

Social Distancing
Forscher Bittner wählt einen anderen Ansatz, der auf Abstand und Respekt beruht. 15 Jahre lang ist er jeden Sommer in den pittoresken Naturlandschaften Alaskas unterwegs, und hat mit der Bärin Luna und dem Bären Balu bereits eine einzigartige Beziehung aufgebaut. Abstand mit Maß und Ziel sind das wichtigste Credo, mehr als zwei Meter geht Bittner nicht an die pompösen Tiere ran, außer sie nähern sich ihm aus Neugierde oder Hunger, weil das alljährliche Eintreffen der Lachse an der Küste sich wieder einmal verzögert und die Bärenfamilien dadurch weder sich, noch ihre Jungen adäquat ernähren können. Bittner redet beruhigend auf die Bären ein und verspürt auch keine Angst, wenn sich ihm nicht so vertraute Zeitgenossen nähern.

Es ist das Zwischenspiel aus dem erfahrenen Bärenforscher und dem interessierten, aber unbedarften Regisseur, welche den Film einzigartig gestalten und aus dem Universum-Kanon hervorstechen lassen. Hier der abgebrühte und im sympathischen Schwyzerdütsch erzählende Fachmann, dort der Filmemacher mit der großen Liebe zur Natur und einer verständlichen Unsicherheit, wenn ihm aus mangelnder Erfahrung ein Bär bis auf wenige Meter auf den Leib rückt oder das Zeltlager von der Bärenschar nur durch einen dünnen Elektrozaun getrennt ist.

Wundervolle Naturaufnahmen wechseln sich mit gefährlichen Szenen ab. Etwa wenn sich Bittner in eine noch warme Bärenhöhle legt und von der Schönheit der Umgebung sinniert, oder wenn die beiden auf eine vergrabene Bärenleiche stoßen und sich nicht sicher sind, ob der Angreifer nicht noch aufgebracht in der Nähe lauert.

Für die Schulbildung
„Prinzipiell ging es mir darum, unser grundsätzliches Verhalten gegenüber der Natur abzubilden“, erzählt Droux der „Krone“ im Interview vor der Filmpremiere im Wiener CineCenter, „man sollte reflektiert genug sein, um sich der Natur und dem Tier in angemessener Art und Weise zu nähern. Es ist mir auch wichtig zu zeigen, dass kein Tourismus nach Alaska stattfinden sollte, sondern man sich der Natur und ihrer Unberührtheit gewahr sein soll.“ Besonders eindrucksvoll gelingt dem geduldigen Duo jene Szene, die aus bewusst postierten Kameras entsteht, durch die man die Bären nicht nur bei ihrer familiären Aufzucht begleitet, sondern auch mal Lustiges und Tragisches erlebt.

Etwa wenn ein zu schwaches Jungtier den Überlebenskampf in seiner Gattung verliert und der erfahrene Biologe Bittner sichtlich tief vom Naturschicksal berührt ist. „Wir haben das Bild des Grizzlys als menschenzerfleischende Bestie, aber es gibt jährlich sehr wenige letale Schicksale zwischen Mensch und Braunbär. Meist ruft das Fehlverhalten des Menschen die Aggression des Bärs hervor.“ Da der Film auch in Schulen gezeigt wird, musste ihn Droux für den österreichischen und deutschen Markt um einige explizite Szenen kürzen.

Angenehm hervorgehoben wird vor allem die ehrliche Tatsache, dass der Mensch in so einem Gebiet „immer ein Störfaktor“ ist, wie Bittner während der atemberaubenden Dokumentation erwähnt. Droux gelingt es geschickt, nur mit den Bildern einen moralischen Kompass über den Umgang des Menschen mit der dortigen Natur zu vermitteln, ohne allzu brüsk mit dem Zeigefinger zu wedeln. Der Zuseher kann sich während der 90 Minuten zu jeder Zeit selbst ein Bild über das Dasein der Bären und ihren täglichen Kampf ums Überleben machen, die ihnen schlussendlich auch die zahlreichen Lachs-Fischer erschweren, die den Bären als größte Nahrungskonkurrenten erscheinen.

Einen Sommer lang wird man förmlich leibhaftig Zeuge des Bärenalltags, der sich von jenem des Menschen gar nicht immer so stark unterscheidet, wie Droux während der Dokumentation bemerkt. Die Einflechtung seiner persönlichen Kindheitserinnerungen (samt Videomaterial) oder Erzählungen des „Kleinen Prinz“ hätten nicht sein müssen, waren dem Regisseur aber merkbar ein Anliegen.

Schonungslos wird gezeigt, wie sich neugierige Bären den Kameras nähern und diese mehr als nur einmal einem durchaus humorigen Belastungstest unterziehen. Doch nur durch diese Nähe war es Droux möglich, derart fantastische Bilder von der Lachsjagd, des Paarungsverhaltens, der familiären Kämpfe und der Unsicherheit der Menschen in Gegenwart „halbstarker“ Teenager-Bären abzubilden. Mehrmals fühlt man sich den anmutigen Tieren näher als man glaubt, was nicht zuletzt an der Macht der breitbandigen Kinoleinwand liegt.

Für Droux haben sich seit diesem unvergesslichen Sommer auch persönlich neue Perspektiven aufgetan: „Wenn ich heute im Zoo an ein Bärengehege gehe, merke ich erst, dass keines ausreichend groß wäre, um so ein Tier irgendwo in Gefangenschaft zu halten. Wenn man den Bären in der wilden Natur erlebt hat und man seine charakteristische Vielfalt erkennt, dann sieht man viele Dinge ganz anders.“

Kinostart von „Der Bär in mir“: 23. Oktober!

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