Oper Graz, Premiere:

„Anatevka“: Ein Koffer voller Erinnerungen

Steiermark
18.10.2020 17:56

„Anatevka“ ist kein gewöhnliches Musical, denn selten liegen Lachen und Weinen so nah beieinander wie im 1964 am Broadway uraufgeführten „Fiddler on the Roof“. Für Graz hat Christian Thausing eine mitreißende Version frei von Kitsch geschaffen, von Marius Burkert und dem Orchester schwungvoll umgesetzt.

Das zaristische Russland anno 1905, wo Juden aus ihren Schtetln - und ein solches ist Anatevka - vertrieben werden, wo sich der Umbruch der Zeit schon ankündigt und die alten Traditionen aufgebrochen werden, ist wohl nicht der typische Musical-Stoff. Und doch ist dem Komponisten Jerry Boch, seinem Librettisten Joseph Stein und dem Autor der Gesangstexte Sheldon Harnick mit „Fiddler on the Roof “ (so der Originaltitel) ein Welterfolg gelungen.

Anrührend, nicht rührselig
Sieht man die Grazer Fassung, wundert einen das nicht. Denn wenn man Kitsch, Sentimentalitäten sowie zwanghafte Aktualisierungsversuche außen vor lässt und sich auf die Zeitlosigkeit des Themas konzentriert, so wie das Regisseur Christian Thausing in seiner ersten Arbeit für die große Bühne vorexerziert, kommt ein tief anrührendes Stück heraus, bei dem man oft nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll - und sich dann für beides gleichzeitig entscheidet.

Starkes Bild
Als Bühnenbild dient ein überdimensionaler Koffer. So wie die Kostüme ist auch er in Sepiafarben gehalten (Ausstattung Okarina Pert und Timo Dentler). Man fühlt sich an einen alten Koffer erinnert, den man auf dem Dachboden findet, und in dem alte Fotoalben und Schriftstücke eine Geschichte aus längst vergangener Zeit erzählen, die dennoch gegenwärtig ist. Zugleich erinnert der Koffer gegen Ende unausweichlich an Vertriebene. Ein starkes Bild!

Vater mit fünf Töchtern
Erzählt wird die Geschichte von Tevje, dem Milchmann, dem Ivan Oreščanin nicht nur viel Stimme, sondern auch darstellerisch viel Tiefe verleiht, seiner Frau Golde (Susan Rigvava-Dumas ist sein perfektes Gegenstück) und ihren fünf Töchtern. Drei davon sind im heiratsfähigen Alter und suchen sich Männer aus, mit denen die Eltern wenig bis gar nicht einverstanden sind.

Herausragende Leistungen
Es ist auch die wunderbare Gesamtleistung des Ensembles, die diesen Abend so besonders macht. Von den Töchtern Josephine Renelt, Sieglinde Feldhofer, Eva-Maria Schmid, ihren Männern Matthias Störmer, Benjamin Plautz und Mario Lerchenberger über die Dorfbewohner (Thomas Essel, Uschi Plautz, David McShane) bis hin zum russischen Wachtmeister (Johann Wolfgang Lampl), vom bestens disponierten Chor unter Georgi Mladenov bis zum von Evamaria Mayer einstudierten Ballett - hier sind alle in ihrem Element. So wie auch die Grazer Philharmoniker unter Marius Burkert, die mit Elan Musicalsongs, Klezmer, Synagogengesang und russische Volksmusik zu einer Einheit verschmelzen.

Eine überaus gelungene Produktion, bei der nicht nur Musical-Fans auf ihre Kosten kommen. Infos und Tickets findet man hier.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Steiermark



Kostenlose Spiele