Grazer Institution

Aus wegen Corona: „Die Werkstatt war mein Leben“

Steiermark
18.10.2020 08:00

Werner Kunster ist eine Legende in Graz: Er ist der letzte gelernte Fahrradmechaniker, hat in seiner Miniwerkstatt viele Aufgaben meistern müssen. Aber in die Knie gezwungen hat ihn nur Corona. Eine Ära ist zu Ende. Die „Krone“ war bei seinem sehr traurigen Abschied dabei.

Er ist gerade 77 geworden, längst hätte er den wohlverdienten Ruhestand genießen können. Stattdessen schraubte, drehte und polierte er fast täglich weiter an seinen geliebten Rädern. Um sich ein bissl was dazuzuverdienen zur Pension, klar, das natürlich auch. Aber hauptsächlich deswegen: „Wissen S’, die Werkstatt, die war mein Leben“, schildert der Senior. „Ich hab‘ immer gesagt: Hier herinnen arbeite ich bis zum allerletzten Atemzug, von da müssen S’ mich raustragen.“

Jetzt musste Werner Kunster die letzten Schritte selber tun. Und selbst wenn er sich sehr zusammenreißt - wir merken, wir sehr es ihn angeht, dass er immer wieder die Tränen zurückhält. Rad um Rad, Werkzeug um Werkzeug tragen Helfer aus dem Raum. Ganz schlimm ist es, als der Nostalgiekompressor, ein uraltes und schweres Gerät, hinausgeschleppt wird bei der Tür. Und Werner Kunster diese Tür dann hinter sich ins Schloss zieht. Zum allerletzten Mal.

„Ich habe nie etwas verändert“
Er selbst und seine Werkstatt in der Mondscheingasse sind Legende - ein Besuch bei ihm war wie eine Zeitreise. Im Jahr 1900 wurde die Werkstatt zum ersten Mal erwähnt, einiges sieht aus, als stamme es noch direkt aus dieser alten Zeit. Die historisch anmutenden Werkbänke, „nie hab’ ich was an denen verändert“. Die dicken Wände, der unebene Boden, das alte Gewölbe darüber. Die Tür zum Innenhof, „da braucht man kein Radl absperren, bei uns stiehlt keiner etwas“.

Luxus hat Werner Kunster hier nie gehabt, nie gebraucht, sein Glück lag in der Arbeit selbst. Wenn er sich mal kurz ausruhen wollte, war da nur der alte, ausgebeulte Plastiksessel, der auch schon sehr viele Jahre auf dem Buckel hat. Im Winter, in diesem uralten Gemäuer, war es nur ein futzelkleiner Elektroofen, der etwas Wärme abgab. Trotzdem war es für Werner: Zuhause. Herzensplatz.

Die Tochter als Stütze
Seine Tochter ist viel hier aufgewachsen, „ich habe meine Sommerferien immer da verbracht“, erzählt sie, die ihren Papa an diesem schweren Tag begleitet. „Da hab’ ich halt Jause gerichtet, ich kann aber auch Glocken an den Rädern anbringen und neue Bremsklötze.“ Papa und Tochter lächeln in der Erinnerung, so oft sind sie zusammengesessen und haben an den Rädern gedreht, der Senior war immer sehr bestrebt, dass Danja sich interessiert, ihre Passion so zu wecken, wie er sie hat. Dass sie stattdessen einfühlsame Psychologin wurde und ein liebevoller Mensch, das hilft an diesem schwarzen Tag. Bei Papas letztem Arbeitstag.

Dass er selbst Fahrradmechaniker wurde, ist seinem eigenen Vater zu verdanken. Nach einem Schock, den Herr Kunster als Bub erlitten hat, redet er nämlich etwas schwer. „Und der Papa hat überlegt, wo ich gut arbeiten kann, ohne viel reden zu müssen.“ Also wurde er Fahrradmechaniker. Und das mit Leidenschaft.

1961 hat alles begonnen
Seit Jahrzehnten war er in den Gemäuern. 1961 ist er, über seine Freunde Ronni und Fritz, die hier schon Lehrlinge waren, als Geselle in die Werkstatt in die Mondscheingasse gekommen. „Morgen um 8 fangst an“, hatte ihm der Chef beschieden. „Und wenn’s dir taugt, kannst bleiben.“

Werner blieb. 1983 übernahm er das Geschäft, 33 Räder standen an manchen Tagen in seinem Geschäft, erzählt er stolz, und seine Augen glänzen dabei. Später sind Puch-Mopeds dazu gekommen. Neue Technologie machte ihm nie Sorgen, „ich bin da reingewachsen“.

Corona war nicht mehr zu meistern
So viele Herausforderungen. So viele Aufgaben. Alles hat der Grazer gemeistert. Aber jetzt hat Corona ihn zur Aufgabe gezwungen. „Zuerst der Lockdown. Dann ist das Geschäft nur langsam angelaufen.“

Hinter ihm fällt die Tür ins Schloss. Eine Ära ist zu Ende. Corona hat dem alten Herrn sein großes Glück genommen.

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