Opfer oder Mittäterin?

Die brave Ehefrau des ICE-Terroristen Qaeser A.

Wien
18.10.2020 17:19

Sie galten in Wien als unauffällige Einwanderer: die Iraker Qaeser und Shehrazad A. 2019 wurde das Paar verhaftet. Der Mann soll im Namen des IS Zuganschläge in Deutschland verübt, seine Gattin ihn dabei unterstützt haben. Kurz vor dem Prozess gegen die beiden spricht die Frau nun in der „Krone“ - über ihr Leben an der Seite eines Fanatikers.

Seit eineinhalb Jahren sitzt Shehrazad A. mittlerweile in der Justizanstalt Josefstadt in Untersuchungshaft. „Die Frau“, sagt ihre Anwältin Astrid Wagner, „hat sich während dieser Zeit sehr verändert.“ Extrem schüchtern habe die 33-Jährige einst, bei ersten Gesprächen mit der Verteidigerin, gewirkt: „Aber wenn ich damals mit ihr über die bösen Seiten ihres Gatten, über die ihm angelasteten Taten und ihre eventuelle Beteiligung daran reden wollte, wurde sie mitunter ziemlich aufbrausend.“

Zunächst sagte sie: „Mein Mann ist nur gut“
Ihr Mann sei ein besonders aufrichtiger und gutmütiger Mensch, behauptete sie dann; er habe für sie und die gemeinsamen vier Kinder immer bestens gesorgt - und er sei „mit Sicherheit kein IS-Terrorist“. Die zahlreichen „ungerechten Anschuldigungen“ gegen ihn würden sie daher „wütend machen“. Die Irakerin hielt also - zunächst - fest zu Qaeser A.

Weil sie, davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, von seinen Verbrechen gewusst, diese für „richtig“ empfunden und ihn schließlich sogar bei deren Ausführung unterstützt habe. Fest steht: Bis zu der Festnahme des Ehepaars im März 2019 führten die beiden mit ihrem Sohn (er ist jetzt 15) und den drei Töchtern (sie sind heute 13, sechs und vier Jahre alt) ein nach außen hin völlig unauffälliges Dasein.

Die Familie galt als bestens integriert
2012 hatte Qaeser A. für sich und seine Familie in Österreich einen Asylantrag gestellt, nach einer kurzen Unterbringung in einem Flüchtlingsheim bekamen die angeblich in ihrer Heimat politisch Verfolgten bald eine eigene Wohnung zugewiesen. Zuletzt lebten sie auf 80 Quadratmetern mit Balkon in einem Gemeindebau in Wien-Simmering.

Seit 2013 hatte der Mann fixe Jobs, anfangs in einem Bäckereibetrieb, dann bei einer Security-Firma, später in der Kühlabteilung eines Supermarkts. Bei allen seinen Dienstgebern galt er als zuverlässig und fleißig. In seiner Freizeit kümmerte er sich ehrenamtlich um die Bewohner eines Altenheims, und er bastelte bunte Plakate für Kirchenfeste. Der 44-Jährige schien demnach ein Paradebeispiel für gelungene Integration.

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Meine Mandantin ist in der U-Haft zu einer selbstbewussten Frau geworden. Sie versteht jetzt, dass ihr Mann fürchterliche Dinge getan hat. Sie wusste nichts von seinen Verbrechen. Darum werde ich für sie einen Freispruch beantragen.

Top-Anwältin Astrid Wagner über ihre Klientin Shehrazad A.

„Ich war wie eine Gefangene“
Und seine Frau? Keiner ihrer früheren Nachbarn weiß viel über sie zu berichten. Mit Shehrazad A. in näheren Kontakt zu treten, sei nämlich unmöglich gewesen, da sie - selbst nach mehreren Jahren in unserem Land - bloß Arabisch gesprochen habe. Und sonst? Sie habe die Tage großteils daheim verbracht; gekocht, geputzt. Wenn sie nach draußen ging, um Lebensmittel einzukaufen oder ihren Buben und die Mädchen in die Schule und in den Kindergarten zu bringen beziehungsweise von dort abzuholen, sei ihr Blick zu Boden gerichtet und ihre Mimik kaum zu erkennen gewesen; wegen eines Kopftuchs, das sie stets tief ins Gesicht gezogen getragen habe.

„Ich war eine Gefangene meiner Umstände“, sagt die 33-Jährige nun über ihr Früher. In ziemlich gutem Deutsch. „Mitinsassinnen“, so ihre Anwältin Astrid Wagner, „haben meine Klientin unsere Sprache gelehrt. Und ihr klargemacht, was Emanzipation bedeutet. Meine Klientin wurde dadurch fähig zu reflektieren.“ Sich, die Beziehung zu ihrem Mann, ihr ganzes bisheriges Leben. Shehrazad A. - was ist ihre Geschichte? Sie wurde am 27. März 1987 in Bagdad geboren, ihr Vater war Beamter, die Mutter kümmerte sich um den Haushalt.

„Die Traditionen im Irak sind eben anders“
„Was bedeutete: Meine Mama hatte die Aufgabe, mich und meine vier Schwestern zu erziehen, unsere Wohnung sauber zu halten und die Lieblingsspeisen meines Vaters zuzubereiten. Die Traditionen und Vorgaben im Irak sind eben anders als in der westlichen Welt.“

Als Shehrazad neun war, „starb meine Mutter an Nierenversagen. Danach hat sich mein Papa recht schnell eine neue Frau gesucht - und sie geheiratet.“ Mit ihr bekam er weitere zwei Mädchen und einen Buben. „Um mich und meine leiblichen Geschwister kümmerte sich fortan hauptsächlich einer meiner Opas.“

Die brave Ehefrau des ICE-Terroristen
Früh schon hätten die Mädchen von ihm eingebläut bekommen, dass Bildung für sie nicht wichtig wäre, weil Frauen sowieso einzig den Auftrag hätten, Männern zu dienen. „Darum durfte ich auch nur sieben Schulklassen besuchen.“

Und dann? „Bin ich von meiner Familie auf eine Hochzeit vorbereitet worden. Und ich fand nichts Schlimmes dabei, als mir mit 17 Qaeser vorgestellt wurde und ich mitgeteilt bekam, dass ich ihn in ein paar Wochen heiraten müsse.“

„Die Zwangsheirat brachte mir kein Glück“
Nach der Verehelichung übersiedelte die junge Frau mit dem um elf Jahre älteren Gemahl zu dessen Familie in die knapp 100 Kilometer von Bagdad entfernte Gemeinde Diyala. „Wir blieben nur ein paar Monate, denn mein Mann hielt es dort nicht lange aus. Wie auch später an keinem anderen Ort.“

Immer wieder zog das Paar um, „manchmal“, erinnert sich Shehrazad A., „wohnten wir in Städten, manchmal in Dörfern. Ich mochte dieses Vagabundenleben nicht. Doch ich hätte mich niemals getraut, Qaeser zu bitten, endlich sesshaft zu werden; nicht einmal, als wir bereits unser erstes Kind bekommen hatten. Eine Frau hat sich den Wünschen ihres Mannes zu fügen - dieses Gesetz hatte ich von klein an verinnerlicht bekommen. Und natürlich hielt ich mich daran.“

Womit ihr Gatte Geld verdiente? „Er arbeitete meistens als Lkw-Fahrer.“ Auch noch in Syrien, wohin die kleine Familie 2007 - bald nach Saddam Husseins Hinrichtung; „Qaeser und ich sind Sunniten und somit Anhänger von ihm gewesen“ - übersiedelte: „Weil wir Angst hatten, die Schiiten würden uns umbringen, sollten wir in unserer Heimat bleiben.“ 2008 die Flucht in die Türkei, „wo mein Mann als Schlosser tätig war“, von dort aus ging es weiter nach Griechenland. „Österreich war 2012 unsere Endstation. Wo es uns sehr gut ging. Auch finanziell.“

Inklusive des Gehalts des 44-Jährigen, diverser Sozialunterstützungen und der Kinderbeihilfe hatte die Familie zuletzt etwa 3000 Euro netto pro Monat zur Verfügung. „Trotzdem: Qaeser konnte nicht zufrieden sein.“

Ständig habe er seiner Frau gedroht, sie zu verlassen, zurück nach Syrien zu gehen und dort eine Witwe zu heiraten. „Und wenn ihm irgendetwas an mir nicht passte, verprügelte er mich mit Elektrokabeln. So stark, dass ich mich danach oft tagelang vor Schmerzen kaum bewegen konnte.“

„Ich habe beschlossen, mich scheiden zu lassen“
Seine vielen Reisen ins Ausland, „ich habe sie akzeptiert, nicht nachgefragt. Denn sonst hätte er mich ja nur wieder geschlagen“, beteuert die 33-Jährige.
Ihre DNA-Spuren auf Qaeser A.s Tatwerkzeugen erklärt sie damit, „dass ich sie wahrscheinlich unabsichtlich berührt habe“. An belastende WhatsApp-Nachrichten zwischen ihr und ihrem Mann, kurz vor und nach den Anschlägen, will sie sich nicht erinnern.

Und die Irakerin versichert standhaft, sie habe nie geahnt, ihr Gatte könnte ein gesuchter Terrorist sein. Spricht Shehrazad A. die Wahrheit? Oder war sie ihrem Gemahl - selbst bei seinen Taten - eine brave, helfende Ehefrau? Geschworene werden diese Frage zu beantworten haben, Anfang Dezember, beim Prozess gegen das Ehepaar. „Meine Mandantin“, berichtet Astrid Wagner, “ist im Gefängnis zu einer selbstbewussten Frau geworden.“

Bei der Verhandlung wird die Irakerin ohne Kopftuch erscheinen. Außerdem will sie sich von ihrem Mann, „der mir so viel Unglück gebracht hat, wegen dem ich seit einer Ewigkeit von meinen geliebten Kindern getrennt bin“, scheiden lassen.

„Ich will bloß noch ein friedliches Leben haben“
„Der Sohn und die drei Töchter des Paares sind derzeit in einem Kriseninterventionszentrum untergebracht. Selten dürfen sie ihre Mutter hinter Gittern besuchen, mitunter finden - unter Aufsicht von Justizwachebeamten - Gespräche per Skype statt.

Shehrazad A.s Pläne, im Falle eines Freispruchs? “Perfekt Deutsch lernen, einen Schulabschluss und in der Folge eine Berufsausbildung machen; vielleicht zur Zeichenlehrerin. Aber vor allem möchte ich ein friedliches Dasein mit meinem Buben und den drei Mädchen führen. Und ihnen vermitteln, dass die Traditionen aus unserer alten Heimat keine Bedeutung für uns haben.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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