Ex-Richter klagt an

Chefermittler der SOKO Kampusch in den Tod getrieben?

Österreich
14.10.2010 18:42
Die Debatte um den Fall Kampusch und die Rolle der Behörden bei der Aufarbeitung des Falles kommt nicht zur Ruhe. Jetzt erhebt der pensionierte Präsident des Obersten Gerichtshofs, Johann Rzeszut (li.u.), schwere Vorwürfe gegen die damals betrauten Anklagebehörden und lässt mit einer Sachverhaltsdarstellung beim Justizministerium die Alarmglocken schrillen. Die gewagteste Behauptung: Die Ankläger hätten durch massive Druckausübung und Blockier-Manöver den SOKO-Kampusch-Chefermittler, Oberst Franz Kröll (li.o.), in den Selbstmord getrieben.

Rzeszut wirft den Staatsanwälten "konsequente und beharrlich fortgesetzte Vernachlässigung entscheidender Ermittlungsergebnisse" und eine "langfristige Verzögerung bzw. bis zuletzt gänzliche Unterlassung wesentlicher Ermittlungsschritte" vor.

Der Ex-Richter fährt schwere Geschütze gegen die Staatsanwälte auf: Die vom Innenministerium eingesetzte Evaluierungskommission, die allfällige Versäumnisse bei den Ermittlungen im Fall Natascha Kampusch aufzeigen hätte sollen, sei "wesentlich und langfristig" behindert worden, behauptet der pensionierte Richter, der selbst dieser Kommission unter dem ehemaligen Verfassungsgerichtshof-Präsidenten Ludwig Adamovich angehört hat.

46 Seiten brisantes Material
Rzeszuts "Sachverhaltsmitteilung zum staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren im Abgängigkeitsfall Natascha Kampusch" umfasst inklusive zahlreicher Beilagen 46 Seiten. Am Donnerstag hat das Papier über Umwege auch das Justizministerium erreicht. "Es handelt sich um Vorwürfe strafrechtlicher Natur, die wir umgehend der Korruptionsstaatsanwaltschaft übermittelt haben", hieß es von Ministeriumssprecherin Katharina Swoboda.

Der Ex-OGH-Präsident lässt in seiner Sachverhaltsmitteilung aufhorchen, indem er behauptet, der Selbstmord des Leiters der beim Bundeskriminalamt eingerichteten SOKO Kampusch wäre "als Verzweiflungstat zu verstehen, die nicht unwesentlich durch eine unverständlich beharrliche Resistenz der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsleitung gegenüber sicherheitsbehördlichem Ermittlungsfortschritt entscheidend mitausgelöst wurde".

Oberst Franz Kröll hatte sich Ende Juni 2010 - rund sechs Monate nach der Präsentation des Abschlussberichts der Adamovich-Kommission und der endgültigen Einstellung der Ermittlungen im Fall Kampusch - auf seiner Terrasse in Graz erschossen. Der passionierte Ermittler galt als integrer Polizist, der im Laufe seiner Karriere auch nicht davor zurückscheute, sich mit den Mächtigen anzulegen. Kröll hatte seine Karriere bei der Grazer Polizei begonnen, war in Leoben und beim steirischen Landespolizeikommando tätig, ehe er dann nach Wien versetzt wurde. Schon kurz nach seinem Tod waren Gerüchte über Mobbing gegen den Polizisten aufgetaucht.

Massiv Druck ausgeübt und sogar Zeugin "gedreht"?
Laut Rzeszut war Kröll in den Monaten vor seinem Selbstmord einer "sachlich nicht vertretbaren Druckausübung" ausgesetzt gewesen, indem man ihm im November 2009 "unmissverständlich" nahe gelegt habe, er möge den Ermittlungsakt schließen. Dieses Vorgehen schreibt Rzeszut vor allem dem damaligen Grazer Oberstaatsanwalt und nunmehrigen Leiter der Staatsanwaltschaft Graz, Thomas Mühlbacher, zu. Mühlbacher hatte auf Initiative des Justizministeriums die Erhebungen rund um allfällige Mitwisser oder Komplizen des Kampusch-Entführers Wolfgang Priklopil übernommen. Der von der Anklage aufgebaute Druck sei für den SOKO-Leiter und die Evaluierungskommission gleichermaßen überraschend gekommen, weil sich "kurz davor weiterer akzentuierter Aufklärungsbedarf ergeben hatte", so der pensionierte OGH-Präsident.

Wie Rzeszut betont, sei der Ermittlungsabschluss aus staatsanwaltschaftlicher Sicht bereits am 20. November 2009 festgestanden. Die Behörde hätte alles unternommen, dieses Ziel zu erreichen. Rzeszut behauptet in diesem Zusammenhang, das Zusammentreffen von Natascha Kampusch und einer ehemaligen Mitschülerin, die unmittelbar nach dem Verschwinden Kampuschs angegeben hatte, sie habe beobachtet, wie zwei Männer diese in einen Kastenwagen zerrten, sei von einer "völlig atypischen und krass einseitig-suggestiven Einflussnahme" auf die Zeugin gekennzeichnet gewesen. Bezweckt wurde damit, "die langjährig konstanten Angaben dieser Zeugin über den Entführungskomplizen des Wolfgang Priklopil, die den staatsanwaltschaftlichen Einstellungsintentionen hinderlich entgegenstanden, zu beseitigen".

Der SOKO-Chefermittler, den Rzeszut als besonders gewissenhaften Beamten beschreibt, sei damit seelisch nicht fertiggeworden und habe sich "nach monatelangen Selbstvorwürfen" das Leben genommen, legt der pensionierte Spitzenjurist dar. Wie Rzeszut versichert, "kommen dafür ausschließlich dienstliche Gründe in Betracht, die mit dem angesprochenen Ermittlungsverfahren und dessen von staatsanwaltschaftlicher Seite in nicht nachvollziehbarer Weise gelenktem Abschluss zusammenhängen".

Schreiben ursprünglich an Parlamentarier gerichtet
Der Ex-OGH-Präsident Johann Rzeszut hatte sein mit 29. September datiertes Schreiben ursprünglich an alle im Parlament vertretenen Parteien gerichtet. Er betont darin einleitend, es falle ihm "extrem schwer", seine Kritik in Worte zu fassen, "aber das Gewicht und die grundsätzliche Bedeutung der zum Entführungs- und Abgängigkeitsfall Natascha Kampusch im Bereich staatsanwaltschaftlicher Verantwortung praktizierten atypischen, sachlich nicht nachvollziehbaren Vorgangsweisen und die in diesem Zusammenhang leider gemachte Erfahrung, dass eine sachdienliche ressortinterne Abhilfe auch in oberster Ebene nicht zu erwirken war, machen es mir (...) zur Pflicht, (...) entsprechend zu informieren".

Mühlbacher: Vorwürfe "völlig aus der Luft gegriffen"
Der Leiter der Staatsanwaltschaft Graz, Thomas Mühlbacher, bezeichnete die Vorwürfe des Ex-OGH-Präsidenten als "völlig aus der Luft gegriffen". Anders als von Rzeszut behauptet sei kein Druck auf den Leiter der SOKO Kampusch ausgeübt worden, so Mühlbacher am Donnerstagabend im Gespräch.

"Was soll ich zu solchen Vorwürfen sagen?", meinte Mühlbacher. Jener SOKO-Leiter, der sich später das Leben genommen habe, sei langjährig mit ihm bekannt gewesen, man habe das beste Einvernehmen gehabt, so der Leiter der Staatsanwaltschaft Graz weiter. Er wisse nicht, woher diese "schon gewaltigen Vorwürfe" kommen, Rzeszut habe ihn auch nie darauf angesprochen. Das Ganze sei ihm unverständlich, so Mühlbacher.

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