Experten-Interview

Frauengesundheit – „sie“ wird leichter übersehen

Gesund
04.10.2020 05:00

Das Thema greift zu kurz, wenn man bei weiblicher Medizin nur an Fortpflanzung denkt. Interview mit der Gender-Expertin Prof. Alexandra Kautzky-Willer, Univ.-Klinik f. Innere Medizin III, MedUni Wien.

Frauen haben eine längere Lebenserwartung. Gleichzeitig verbringen sie mehr Jahre nicht in Gesundheit. Warum?
Endokrinologin und Gender-Expertin Prof. Alexandra Kautzky-Willer: Die Zahl gesunder Lebensjahre liegt in Österreich für Frauen bei nur 57 Jahren, während sie im EU-Durchschnitt über 64 Lebensjahre in Gesundheit verbringen.

Tatsächlich sind Frauen aber gesünder?
Sie haben prinzipiell einen gesünderen Lebensstil. Das ändert sich allerdings gerade. Frauen rauchen etwa - für den weiblichen Körper ein besonders starker Risikofaktor - und trinken zunehmend mehr Alkohol. Auch weil der psychosoziale Stress durch Mehrfachbelastungen steigt. Dieser geht oft mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen einher, ist mit Adipositas verbunden und letztlich auch mit Diabetes. Im Gehirn kommt es zu veränderter Durchblutung und strukturellen Veränderungen. Frauen leiden doppelt so häufig unter Angstzuständen und Depressionen.

Herzinfarkte sind auch bei Jüngeren im Zunehmen. Diese zeigen schlechtere Prognose und höhere Sterblichkeit. „Sie“ ist aber von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Schnitt um zehn Jahre später betroffen als „er“ - aufgrund des hormonellen Schutzes, aber auch des Lebensstils. Das Risiko steigt ab dem Wechsel an. Gleichzeitig nimmt aber die Achtsamkeit ab, Vorsorgeuntersuchungen werden ab 50 rückläufig. Vor allem Reifere könnten jedoch davon profitieren. Viele glauben etwa, sie hätten noch einen niedrigen Blutdruck wie früher. Es leiden aber immer mehr an Hypertonie, im hohen Alter sogar Frauen öfter als Männer!

Gibt es bei Herzinfarkt geschlechtstypische Zeichen?
Wir wissen, dass Frauen nach wie vor nicht so häufig diagnostiziert werden wie Männer, weil sich die Symptome etwas anders präsentieren - wobei es übrigens auch Analysen gibt, die zeigen, dass auch männliche Patienten Erbrechen und Übelkeit aufweisen können.

Wo sehen Sie Unterschiede bezüglich „Zucker“?
Diabetes wird bei Patientinnen oft nicht im Frühstadium erkannt. „Er“ zeigt bereits früher eine gestörte Nüchternglukose und hat auch einen höheren Langzeitzuckerwert (HbA1c). Glukosetoleranztests sollten gerade bei Frauen daher öfter veranlasst werden, weil diese mitunter einen ungesunden 2-Stunden-Zucker-Wert haben, obwohl die Nüchternglukosewerte noch normal sind und auch HbA1c nur im Prädiabetes- oder sogar noch im Normalbereich liegt. Dabei ist Prädiabetes für den weiblichen Körper bereits mit höheren Risiken für Komplikationen verbunden als für den männlichen.

Frauen ab der Menopause nehmen weniger Vorsorge in Anspruch. Werden sie im Gesundheitssystem ausreichend wahrgenommen?
Frauengesundheit mit der Fokussierung auf die Geschlechtsorgane und die Reproduktion greift zu kurz. Das trifft dann vor allem Ältere. Auffällig ist, dass diese die Zielwerte für Blutdruck, HbA1c oder LDL-Cholesterin seltener erreichen als Männer. Vielleicht beachten Ältere ihre Gesundheit nicht ausreichend. In jüngeren Jahren leben Frauen achtsamer und kümmern sich um die ganze Familie. Wenn es dann später um sich selbst geht, dürften sie sich zu wenig wertschätzen. Und die Gesellschaft wohl auch. Es gibt in dieser Altersgruppe viel weniger Studien.

Eva Greil-Schähs, Kronen Zeitung

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