Interview

„Jetzt geht es um die letzten Emotionen“

Vorarlberg
27.09.2020 12:00

In sechs Gemeinden Vorarlbergs wird heute noch einmal gewählt - diese Bürgermeister-Stichwahlen könnten spannender nicht sein. Politologe Peter Filzmaier analysiert die Ausgangssituation.

In Bregenz, Hard, Feldkirch, Bludenz, Lochau und Lech hat die Bevölkerung heute noch einmal das Sagen - die Ergebnisse der Wahl vom 13. September spielen laut Peter Filzmaier heute aber kaum mehr eine Rolle. Es sei eine gänzlich neue Wahl und eine Wahlprognose daher schwer möglich.

Vor 14 Tagen war die Zahl der Nichtwähler auffallend hoch. Woran lag das?

Es gibt nicht den einen oder einzigen Grund, sondern eine Summe gewichtiger Gründe. Einer war sicher die Scheu davor, wegen Corona ins Wahllokal zu gehen. Mindestens genauso entscheidend war, dass es in vielen Gemeinden keinen wirklichen Wettbewerb gab. Oftmals war nur ein Bürgermeisterkandidat wählbar oder es gab einen klaren Favoriten bei den Listen. Da ist es naturgemäß schwer, den Wählern zu vermitteln, dass es auf ihre Stimme ankommt.

In Lustenau gab es sechs Listen und fünf Bürgermeisterkandidaten - und die Wahlbeteiligung lag unter 50 Prozent.

Genau das zeigt, dass es mehrere Gründe gibt. Eine Herausforderung für die Verantwortlichen in den Gemeinden besteht darin, zu zeigen, dass die Kompetenzen, die sie haben, für das tägliche Leben von zentraler Bedeutung sind. Die großen Gesetze - etwa wie viel Steuern zu zahlen sind - werden auf Bundesebene entschieden. Im Vergleich dazu mag ein Kreisverkehr, eine Gebäudebegrünung oder ein Jugendzentrum weniger wichtig klingen, aber das sind die Dinge, die den Bürger direkt betreffen.

Wie kann es gelingen, Nichtwähler zu mobilisieren?

Die Wahlforschung kennt den Begriff „verfestigte Nichtwähler“. Gemeint ist der Anteil jener, die überhaupt nicht zu mobilisieren sind. Das sind in der Regel rund ein Fünftel der Wahlberechtigten. Grundsätzlich gilt in den fünf Gemeinden - mit Ausnahme von Lech - dass rein rechnerisch von den Nichtwählern mehr zu holen ist als von ausgeschiedenen Drittkandidaten.

Was halten Sie von Wahlempfehlungen der ausgeschiedenen Kandidaten?

Wenig. Ich denke, dass die mobilisierende Wirkung grundsätzlich überschätzt wird, weil ja der eigene Favorit bereits ausgeschieden ist. Zudem ist das Ganze ein zweischneidiges Schwert. Eine Empfehlung kann mobilisierend oder demobilisierend wirken. Spricht derjenige, den der bisherige Nichtwähler nicht ausstehen kann, eine Empfehlung aus, kann es sein, dass der Nichtwähler justament wählen geht, um genau den anderen Kandidaten zu wählen.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Bei der Bundespräsidentenwahl waren die Kandidaten von ÖVP und SPÖ bereits nach dem ersten Wahldurchgang ausgeschieden. Hätte nun die SPÖ eine Wahlempfehlung für Alexander Van der Bellen ausgesprochen, hätten mit Sicherheit einige Bürgerliche, die eigentlich Van der Bellen wählen wollten, doch Norbert Hofer gewählt. Vor allem bei den Älteren sind die Gegensätze zwischen SPÖ und ÖVP noch sehr groß. Ich würde als Kandidat, der noch im Rennen ist, eine Wahlempfehlung eher als fragwürdiges Geschenk empfangen. Es läuft definitiv nicht so, dass A Kandidat B empfiehlt und die Wähler von A gehen hin und wählen B - so läuft das ganz sicher nicht.

Gibt es Themen, mit denen in den letzten zwei Wochen noch Stimmen gewonnen werden können?

In dieser Phase des Wahlkampfs wurden alle Sachargumente bereits vorgebracht. Ich gehe davon aus, dass in all den Wochen niemand ein Thema vergessen hat. Stichwahlen sind Personenwahlen, da geht es in der Regel um letzte Emotionen. In der Wahlforschung gibt es allerdings den Begriff des „last minute wings“, also ein Umschwingen aufgrund eines besonderen Ereignisses im letzten Moment. Das könnte eigentlich nur in der Dynamik der Coronaentwicklung liegen.

Wie profitieren die Parteien von der unterschiedlichen Wahlbeteiligung?

Grundsätzlich sind die Grünen bei einer niedrigen Wahlbeteiligung im Vorteil, da sie eine Wählerschaft haben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit an den Urnengängen teilnimmt. Wenn die Wahlbeteiligung insgesamt sinkt, haben die Grünen zwar nicht mehr Stimmen, aber prozentual steigt ihr Anteil. Mit 1000 Stimmen haben sie bei 2000 Wählern 50 Prozent, bei nur 1500 Wählern wären es schon 75 Prozent. Heute haben die Grünen allerdings nur mehr einen Kandidaten in Lochau im Rennen.

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Prinzipiell liegt das Potenzial bei hoher Wahlbeteiligung eher bei den traditionellen Parteien. In Vorarlberg ist das die ÖVP.

Filzmaier

Die ÖVP würde dort und in den anderen Regionen bei höherer Wahlbeteiligung besser abschneiden?

Prinzipiell liegt das Potenzial bei hoher Wahlbeteiligung eher bei den traditionellen Parteien. In Vorarlberg ist das die ÖVP. Allerdings haben sie vermutlich auch die größte Scheu ins Wahllokal zu gehen. Hinzu kommt außerdem, dass sie nicht mit der Briefwahl groß geworden sind. Die ÖVP hatte im ersten Wahldurchgang ja ein sehr durchwachsenes Ergebnis, das lag sicher auch daran, dass das Mobilisierungspotenzial nicht ausgeschöpft wurde.

Was bedeuten die Rückstände der jeweiligen zwölf Kandidaten?

Es sind sechs vollkommend neue Wahlen. Abermals sei an die Bundespräsidentenwahl erinnert - da lag Norbert Hofer nach dem ersten Wahldurchgang sehr deutlich vor Alexander Van der Bellen und wurde nicht Bundespräsident. Selbst vermeintlich klare Vorsprünge sind keine Garantie. Wir hatten bereits von dem Einfluss der Nichtwähler gesprochen, genauso können aber auch Wähler, die vor zwei Wochen noch gewählt haben, dieses Mal zu Hause bleiben. Fünf bis zehn Prozentpunkte sind überhaupt keine Aussagekraft für diese Wahl.

Die deutsche Reisewarnung wird Gemeinden wie Lech hart treffen. Greifen Wähler in Zeiten der Unsicherheit gerne zu sogenanntem Altbewährten zurück?

An sich ja. Das ist der „rally ‘round the flag effect“. In einer Krisensituation versammlen sich die Wähler sozusagen zunächst um den Amtsinhaber, das müsste also dem Bürgermeister nützen. Aber es handelt sich hier immer nur um einen Kurzzeiteffekt. Und die Pandemie hat ja nicht erst jetzt begonnen, sondern im März. Das heißt: Man traut zunächst Amtsinhabern die größte Lösungskompetenz zu, aber der Effekt schwächt sich jeden Tag weiter ab, an dem die Krisensituation bestehen bleibt. Und die Krisensituation ist ja noch immer nicht gelöst.

Der Lecher Wahlkampf hat tiefe Gräben hinterlassen. Wie soll man da jemals wieder zusammenarbeiten?

Eine Schmutzkampagne ist überall gleichermaßen verwerflich, aber in kleinen Gemeinden ist so etwas besonders schwierig. In der Großstadt glaubt man, sich danach wieder in die Anonymität flüchten zu können. In diesem Fall ist das aber problematischer, weil man nicht nur jeden kennt, sondern auch jeden wieder trifft. Der neue Gemeinderat muss mit dem Bürgermeister Politik in einer Zeit der Pandemie machen, obwohl die tiefen Verletzungen aus dem Wahlkampf wohl noch spürbar sind. Eine Spaltung macht das sehr schwierig.

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