Gleichberechtigung

„Frauen sind kein exotisches Gewächs“

Vorarlberg
19.09.2020 17:03

Gleichberechtigung im Berufsleben gibt es zwischen Mann und Frau auch im Jahre 2020 noch nicht. Die „Krone“ hat sich diesem Ungleichgewicht angenommen und Expertin Barbara Schröder zum Gespräch getroffen.

Barbara Schröder, Präsidentin der Business & Professional Women Vorarlberg, spricht über das große Ungleichgewicht zwischen Mann und Frau, mögliche Lösungen und erzählt ihre persönliche Geschichte.

Die Einkommensschere geht nach wie vor auseinander. Ab dem 3. Oktober erhalten Vorarlbergerinnen gemessen am Jahreseinkommen der Männer symbolisch kein Gehalt mehr. Wie ist das im 21. Jahrhundert möglich?

Es ist erschreckend, dass wir uns 2020 überhaupt noch darüber unterhalten müssen, dass ein derartiges Ungleichgewicht herrscht. Wobei wir noch nie gut dagestanden sind. Natürlich gab und gibt es Berichte über Frauen mit doppeltem Hochschulabschluss, die Beruf und Familie unter einen Hut gebracht und Karriere gemacht haben. Allerdings versteckt sich dahinter auch das Elend der überwiegend anderen Fälle. Dabei gibt es heute mehr Maturantinnen und Hochschulabsolventinnen als je zuvor. Die Frage aber ist: Was machen sie damit? Wie viele machen Karriere, sind beruflich erfolgreich, übernehmen leitende Funktionen? Und vor allem: Wie viele überlegen sich, wie bzw. ob sie das mit dem Privatleben, mit der Familie in Einklang bringen können? Und genau Letzteres führt nicht selten dazu, dass Frauen schlussendlich ihre beruflichen Ziele doch nicht verfolgen.

Männer stellen sich diese Frage nicht?

Nein. Zumindest in den wenigsten Fällen. Und warum? Weil sie es nicht müssen. Männer sind sich ihrer Privilegien gar nicht bewusst. Dabei sind viele per se gar nicht gegen die Gleichwertigkeit von Mann und Frau, aber sie sind passiv.

Hat sich die Situation überhaupt nicht verbessert?

Das kommt auf den Betrachtungszeitraum an. Es gab und gibt immer wieder Frauen und auch Männer, die gegen diese Art der Diskriminierung rebellieren und Erfolge erzielen. Viele sind auf die Straße gegangen, haben sich für Gleichberechtigung, Frauenrechte und Co. engagiert. Ich selbst bin mit 15 das erste Mal auf die Straße gegangen. Zwei Jahre später wurde ich dafür sogar verhaftet. Damals war ich davon überzeugt, dass wir das hinbekommen. Seither hat sich allerdings nicht mehr viel verändert.

Die Wirklichkeit sieht also immer noch anders aus.

Ja und das hat vor allem damit zu tun, wie Kinder aufwachsen, welches traditionelle Frauenbild ihnen vermittelt wird - sowohl in der Familie, als auch in diversen Einrichtungen und Institutionen. Hinzu kommt, dass es nach wie vor klassische Frauenberufe gibt, von der Kindergartentante über die Friseurin und Kosmetikerin bis hin zum Pflegebereich. Genauso gibt es klassische Männerberufe. Eine Geschlechtertrennung, die dazu beiträgt, dass Männer besser verdienen, mehr Chancen haben, die Karriereleiter hinaufzusteigen und als „die besseren Entscheider“ betrachtet werden. Hinzu kommt, dass viele Frauen tatsächlich glauben, diese sozialisierte Tradition nicht überwinden zu können oder zu dürfen. Dadurch kommt es zu einem ständigen Backlash und in der Folge zur Rückkehr konservativer Wertvorstellungen.

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Die Bewusstseinsbildung, dass jeder Mensch spezielle Eigenschaften hat, die nicht an das Geschlecht gebunden sind, muss ganz früh beginnen.

Schröder

Sind Frauen selbst schuld, dass sich nichts ändert?

Das habe ich mich schon oft gefragt. Ich komme aus einer preußischen Familie. Mein Vater war ein Patriarch. Meine Mutter hat ihren Mann gefördert, den Haushalt organisiert, uns Kinder großgezogen und in der Firma gearbeitet. Sie war sehr gut ausgebildet, hat sich total aufgerieben zwischen ihrem Mann, der Familie und dem Geschäft. Sie war in gewisser Weise schon damals eine Karrierefrau, was aber gar nicht thematisiert wurde. Generell gab es in den 1950er- und 1960er-Jahren sehr viele berufstätige Frauen. Viele haben allerdings kein Gehalt bekommen. Meine Mutter auch nicht. Dabei hat sie im Laufe der Zeit Fähigkeiten entwickelt, von denen sie gar nicht wusste, dass sie sie hatte. Und ehrlich: Hätte sie damit zielgerichtet etwas Neues angefangen? Sie war meinem Vater hierarchisch unterlegen und das Umfeld unterstützte genau diese Rollenverteilung. Solange die Arbeit von Frauen nicht anerkannt und finanziell wertgeschätzt wird, wird sich das nicht ändern. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, ich glaube nicht, dass Frauen selbst schuld sind. Schuld ist ein System, das sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Frauen und Männer sind unterschiedlich, haben unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt. Das ist nicht schlecht. Im Gegenteil: Es sollte zum Vorteil gemacht werden, indem man die Unterschiede nutzt.

Bleibt die Frage nach dem Wie. Bisher hat es ja auch keine richtigen Lösungen gegeben.

Stimmt. Dabei wäre es an sich recht simpel. In erster Linie bräuchte es eine ganz andere Lohntransparenz. Warum verdient etwa eine Friseurin oder Kosmetikerin weitaus weniger als beispielsweise ein Elektroinstallateur oder Mechaniker? Schließlich erfordern diese „klassischen Frauenberufe“ genauso umfangreiche und anspruchsvolle Ausbildungen, Know-how, Verantwortung und Weiterbildung.

Wobei diese Unterteilung in Frauen- und Männerberufe ja auch ein Problem ist.

Allerdings. Daher sollten wir uns auch fragen: Wie gehen wir mit den Kindern um? Auf welches Leben bereiten wir sie vor? Welche Fähigkeiten haben sie und welche werden gefördert? Die Bewusstseinsbildung, dass jeder Mensch spezielle Eigenschaften hat, die nicht an das Geschlecht gebunden sind, muss ganz früh beginnen.

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Wobei ich mich auch frage: Warum reden wir nur von Quotenfrauen, nie von Quotenmännern?

Schröder

Geht das denn ohne Quotenregelung?

So wie es sich derzeit verhält, nein. Solange es für Betriebe vermeintlich unkomplizierter ist, Männer einzustellen, brauchen wir die Quote. Wobei ich mich auch frage: Warum reden wir nur von Quotenfrauen, nie von Quotenmännern? Die Sprache ist ein ebenso wichtiges Tool, um Männer und Frauen in eine bessere Gemeinschaft zu bringen und gleichzeitig ihre Unterschiede zu nutzen. Damit ist nicht gemeint, dass es Betriebskindergärten, diverse Arbeitszeitmodelle oder sonstige familienfreundliche Lösungen gibt, sodass Frauen arbeiten können. Frauen sind kein exotisches Gewächs. Wir wollen nicht gefördert werden. Wir brauchen Gerechtigkeit.

Christiane Mähr

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