Schauspielhaus Graz

Absurde Entgrenzung zum Start der Saison

Steiermark
12.09.2020 15:29

Das Theater ist zurück auf der Bühne des Schauspielhauses. Mit Masken, Sicherheitskonzept und Thomas Köcks „dritte republik (eine vermessung)“ startete man in Graz eine ungewöhnliche Saison. Und das Stück über die Absurdität von Grenzen passt perfekt in diese Zeit - trotz, oder gerade wegen, seiner Wahnwitzigkeit.

„Wo hört der Staat auf und wo fängt er an?“ Diese zentrale Frage in Thomas Köcks 2018 in Hamburg uraufgeführtem Stück, das in Graz nun seine österreichische Erstaufführung feiert, wurde uns allen erst vor wenigen Monaten deutlich vor Augen geführt. Denn als Corona begann sich über dem Kontinent breit zu machen, machten viele Nationen als ersten Reflex ihre Grenzen zu - als ob ein Grenzzaun einen Virus stoppen könnte.

Absurdität der Grenze
Eben diese Absurdität der Grenze lotet Köck in „dritte republik“ aus. Er führt ins Jahr 1918. Der Krieg ist vorbei und eine Landvermesserin (Katrija Lehmann verleiht ihr chaotische Verzweiflung) wird ausgesendet, um die Grenzen des erschütterten Kontinents neu zu ziehen. Doch die Grenze, die sie sucht, ist nicht zu finden, in dem öden, kalten und nebligen Land.

Trotzdem bricht sie auf und begegnet Figuren wie dem Kutscher ohne Kutsche (kauzig: Werner Strenger), der zwar den Weg nicht kennt aber trotzdem vorangeht. Sie treffen auf eine blinde Fallschirmspringerin (Evamaria Salcher als abgewrackte Idealistin), die schon lange über den Dingen schwebt und weiß: „Nationen sind die wahnwitzigsten Fiktionen.“ Sie begegnen einem Patienten (wunderbar schräg: Lukas Walcher), der sich, auf der Suche nach körperlicher Perfektion, schon halb in eine Raupe verwandelt hat. Und die Reise endet im Hafen bei einer Reederin (herrlich: Frieder Langenberger) mit absurdem Weitblick.

Chor per Video
Mit jeder Figur, die dazukommt, wird die Suche verzweifelter, die Ratlosigkeit größer. Daran kann auch der Chor nichts ändern, der wegen Corona nur als (sehr geschickt inszenierte) Video-Präsenz auf der Bühne steht und der einerseits eine mahnende Funktion erfüllt, andererseits aber auch das sich wiederholende Rad der Geschichte in Gang bringt.

Die Orientierungspunkte sind literarischer Natur - allen voran Kafkas „Das Schloss“ aber auch „Alice im Wunderland“ und Goethe begegnet man auf dieser Reise. Und dann sind da natürlich Jörg Haiders titelgebende Fantasien einer „Dritten Republik“, in der die Macht des Parlaments auf ein Minimum reduziert hätte werden sollen.

Regiekonzept sorgt für starke Bilder
Regisseurin Anita Vulesica und Ausstatterin Anna Brandstätter finden starke Bilder für die Verzweiflung und Verlorenheit, mit der die Figuren um einen Funken Bedeutung rund um die Themen Grenze, Staat und Heimat ringen - und sich doch stets nur im Kreis drehen. Und wenn man am Ende letztlich wieder am Anfang steht, hängt ein Gedanke ganz deutlich in der Luft: „Vielleicht sind wir doch irgendwo falsch abgebogen.“

Viel Applaus für die düster-absurde Fabel, die uns allen ein wenig den Zerrspiegel vorhält.

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