Offener Brief

Die Veränderung von Welt und Gesellschaft

Salzburg
03.09.2020 09:46

Salzburgs „Krone“-Chefredakteur Claus Pándi antwortet dem Uni-Rektor in offenem Brief. In unserer großen Zeitenwende geht es um die enorme Verantwortung der Universität: Nicht beschreiben was ist, sondern gestalten was wird - nicht weniger hat der Auftrag zu sein.

Sehr geehrter Herr Rektor!

„Es gibt diese eine Zahl, sie heißt Dunbar-Zahl. Die besagt, dass Menschen, egal in welcher Epoche und an welchem Ort, eigentlich immer nur mit etwa 150 Leuten echte Beziehungen pflegten. Das war ihre Dorfgemeinschaft. Ihr Metzger, ihr Freund, ihr Berater. In unserer Zeit, wo man nicht mehr dort lebt, wo man geboren wurde, gibt es dieses kleine Ding in unserer Hosentasche, die Facebook-App, die einen genau mit diesen Leuten verknüpft, ganz unabhängig davon, wo man ist.“ Antonio Garcia Martinez, Ex-Facebook-Manager sagt das in einem Interview mit der „Zeit“. Er sagt auch: „Eigentlich ist Facebook ein ,Hack‘ des Staates, der Gemeinschaft an sich.“ Und weiter: „Dem ganzen Silicon Valley geht es darum, etwas Vorhandenes durch etwas Eigenes zu ersetzen. Ein System zu hacken. Uber sagt: Wir brauchen keine Taxis mehr. Airbnb sagt: Wir brauchen keine Hotels mehr. (...) Ich weiß nicht, ob die Gesellschaft stabil genug ist, um das zu ertragen.“

Es war ein Interview mit einem ehemaligen Facebook-Manager im Jahr 2016. Es geht um Arbeitsethik, um Unternehmenskultur, um eine Gesellschaftsphilosophie. In wenigen Zeilen geht es auch um einen Algorithmus. Es geht um unser Leben und um unsere Welt.

Das ist Digitalisierung. Digitalisierung ist eine Veränderung der Gesellschaft. Digitalisierung ist eine Veränderung der Medienlandschaften und der universitären Strukturen.

Lassen Sie mich einen Schritt zurück gehen. Das MIT in den USA ist eine der renommiertesten technischen Universitäten der Welt. Mit einem „Department of Linguistics and Philosophy“, jahrelang geleitet von Noam Chomsky. Manche meinen, das habe sich das MIT eben geleistet. Ich bin aber der Überzeugung, dass das MIT nicht so erfolgreich ist, dass es sich Chomsky leisten kann, sondern, dass die Tatsache, dass man sich diesen brillanten Denker an die Universität holt ein Grundbaustein des Erfolges ist. Weil es nicht Technik um der Technik willen bedeutet, sondern Technik um des Dienstes an der Gesellschaft willen.

Nicht beschreiben was ist, sondern gestalten was wird. Das hat der Auftrag an eine Universität zu sein. Im Übrigen auch an Politik und an uns Medien. Da wird das Schlagwort der Digitalisierungsoffensive nicht reichen, auch nicht „Gedanken zur selben“. Goethes Faust sagt: „Der Worte sind genug gewechselt, nun lasst mich endlich Taten sehen.“ Faust lässt sich auch als Parabel auf ein gescheitertes Universitätssystem lesen. Auf einen universitären Stand, der keine Antworten auf die Herausforderungen der Zeit bot. „Da steh‘ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor! Heiße Magister, heiße Doktor gar, und ziehe schon an die zehen Jahr‘ herauf, herab und quer und krumm meine Schüler an der Nase herum -Und sehe, daß wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen.“

Wie Faust stehen wir an einer Zeitenwende. Eine, die wir beschreiben können. Oder eine, die wir gestalten. Da wird es nicht reichen, sich in seinen Rollen zu gefallen. So wie die Leistungen der Vergangenheit in der Digitalisierung nicht mehr viel zählen, werden das auch Titel nicht mehr tun. Ein Politiker, ein Chefredakteur oder ein Rektor, der heute nicht umpackt und umgestaltet, der macht sich zum Gehilfen des Angriffs auf unsere Gesellschaft. In Zeiten des Umbruchs sind Ideen gefragt, Denker, Philosophen, Künstler, Halt und Orientierung.

Ich bin enorm stolz, dass es der „Krone“ gelungen ist, mit Martin Grubinger einen Kolumnisten zu haben, der nicht aus unserer Branche kommt, aber in kurzer Zeit zu einem wichtigen Kolumnisten in Österreich aufgestiegen ist. Weil Grubinger Dinge neu denkt, neu schreibt und den Nerv der Zeit trifft. Es ist nicht die Aufgabe eines Chefredakteurs, einer Universität Vorschriften für ihre Lehrinhalte zu machen. Ich kann Ihnen nur raten, was wir bei der „Salzburg Krone“ versuchen: Denken Sie neu. Denken Sie in digitaler Ethik, in digitaler Kommunikation, in digitaler Linguistik, in digitaler Moral.

Ich bin überzeugt, es gibt keinen anderen Weg für die Zeitung als den der permanenten Veränderung. Über die reden wir wenig, dafür machen wir sie. Aus einem Grund: Wir sind uns sicher, wir waren auf dem Weg zum Papiertiger. Gute Zahlen, aber eine vage Zukunft. Wir haben diese Herausforderung angenommen - ob wir damit dauerhaft erfolgreich sind, werden wir erst sehen.

Ich glaube, der Unterschied zwischen einer Uni und einer Zeitung ist gar nicht so groß. „Ich weiß nicht, ob die Gesellschaft stabil genug ist, um das zu ertragen“, sagt Martinez. Ich gebe darauf eine Antwort: Die „Salzburg Krone“ ist stabil genug. Für unsere Leserinnen und Leser.

Ob die Universität Salzburg dafür stabil genug ist - diese Antwort müssen Sie geben.

Ich wünsche Ihnen viel Glück!

Claus Pándi

 Salzburg-Krone
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