Neues Album

Rockband Biffy Clyro: Am Scheideweg ihrer Karriere

Musik
17.08.2020 06:00

Mit „A Celebration Of Endings“ erwischen die schottischen Rocker Biffy Clyro eher unbewusst die aktuelle Stimmungslage. Simon Neil und Co. zeigen auf ihrem neuen Album, dass sie die Wurzeln zur Vergangenheit nicht kappen, gleichzeitig aber gerne in den ganz großen Arenen spielen wollen. So verhebt sich das Trio leicht beim Versuch, eine ganze Bandkarriere auf ein zeitgeistiges Album zu packen.

(Bild: kmm)

In einer Welt der aussterbenden großen Rockbands gehören die Schotten von Biffy Clyro zu den letzten Überlebenden, die sich aktiv und kreativ gegen den vielprognostizierten Untergang eines ganzen Genres stemmen. Ähnlich wie Muse begannen Simon Neil und Co. kurz nach dem Millennium mit Progressive Rock, der gleichermaßen Melodien und Dissonanzen erlaubte und somit mehr für Hobby-Mathematiker denn für Mainstream-geneigte Rockfans geeignet war. Ähnlich wie Muse nutzten auch Biffy Clyro den größer werdenden Hype, um ihren Sound zu adaptieren und allgemeintauglicher zu gestalten. Setzten Muse auf auslandende Kompositionen, Elektronik und Matt Bellamys Falsettstimme, war es Biffy Clyro wichtiger, die vertrackten Rhythmen zurückzuschrauben und stattdessen mehr Stadionrock-Atmosphäre zu erlauben. Das war erstmals bei „Puzzle“ (2007) der Fall und steigerte sich bis zum famosen Doppelalbum „Opposites“ (2013), das man in punkto Vielseitigkeit und Songwriting noch heute als Opus Magnum der Band gelten lassen kann.

Wiedergeburt & Neuausrichtung
Die schwierige Frage, welchen Weg der Kreuzung man nach einem solchen Meisterstrück nehmen sollte, beantworteten sie drei Jahre später mit „Ellipsis“. In Embryonalstellung posierten Neil und die beiden Johnston-Zwillinge James und Ben auf dem Cover-Artwork und wollten damit Wiedergeburt und Neuausrichtung propagieren. Die Flucht nach vorne war die einzige Möglichkeit für eine Band, die längst im Mainstream angekommen war, sich aber am Brunnengrund ihrer Herzen vehement dagegen verwehrte. „Wir mussten uns einfach bewegen und den nächsten Schritt wagen“, erzählte Bassist James Johnston der „Krone“ damals im Interview, „wir sind mit ,Opposites‘ so lange getourt und haben die Songs so oft gespielt, dass das neue Album einfach anders klingen musste.“ Mut zur Veränderung gab es bei Biffy Clyro damals in der Lightversion. Für einen radikalen Stilbruch war der Mainstreamerfolg doch zu schön, „Ellipsis“ entzweite die alten von den neuen Fans aber endgültig.

Es folgten Live-Tondokumente und letztes Jahr das als Film-Soundtrack getarnte Album „Balance, Not Symmetry“, das mit seiner Mischung aus epischen Rocksongs, Hardcore-Eruptionen und elektronischen Referenzen das bunteste und bislang mutigste Werk der Band war. Wenig später kündigte Neil in britischen Interviews an, an einem weiteren Studioalbum zu arbeiten, das zwar schon vor der Corona-Pandemie fertiggestellt war, aber dennoch um drei Monate verschoben wurde. „A Celebration Of Endings“ ist dabei ein in mehrfacher Hinsicht überraschend zeitgeistiges Werk geworden, das nicht nur im Albumtitel, sondern auch in diversen Textpassagen überraschend prophetisch um die Ecke kommt. „This is not a love song“ skandiert Neil gleich zu Beginn des Songs „End Of“, der einer der härtesten und wohl gerade deshalb in der Mitte des Albums platziert ist. Als Bindeglied zwischen den „neueren“ Biffy Clyro und den letzten Ausfransungen der alten Tage, die man aber nur mehr sehr partiell und mit viel Aufmerksamkeit heraushört.

Opulenz & DIY-Attitüde
Wie glücklich oder unglücklich die ersten beiden Single-Auskoppelungen waren, darüber kann man noch länger streiten. „Instant History“ und das mit zahlreichen „Hey Hey Hey“-Chören durchzogene „Tiny Indoor Fireworks“ sind jedenfalls die mitunter poppigsten Songs der Bandkarriere und ließen bei langjährigen Fans schon eine Coldplayisierung ihrer Helden befürchten. Auf Langstrecke kratzen Biffy Clyro aber die Kurve und lassen sich nicht vollständig der Suche nach Kommerzradio-Airplay fallen. Dafür ist die Liebe zur Kontemplation und zur Komplexität in den Songwriter-Genen Neils nach wie vor viel zu ausgeprägt. Noch mehr als je zuvor vermischen die Schotten Opulenz und DIY-Attitüde. Im zweiten Song „The Champ“ etwa fabuliert Neil über den Undergroundstatus der Band und lässt dabei ein 30-köpfiges Orchester auffahren, „Space“ wiederum ist eine lupenreine Handylampen-Stadionballade, die in absehbarer Zukunft eine besondere Rolle einnehmen könnte.

Andererseits lässt man im besagten „End Of“ die Heavy-Metal-Wurzeln in den Vordergrund und erlaubt sich im mehr als sechsminütigen Album-Closer „Cop Syrup“ aggressives Geschrei mit Tool-Instrumentierung und akustischen Instrumentalsektionen zu vermischen. Die bunte Gemengelage an Stilen und Klängen gemahnt an ein Aufbegehren gegen die eigene Sterilität, die auf „A Celebration Of Endings“ öfters Einzug hält. Es ist schon bemerkenswert, wie es Simon Neil immer wieder schafft, sich ein Gefühl des 90er-US-Hardcore zu bewahren, wenn er gleichzeitig die ganz großen Hallen im Visier hat, in denen der Alternative Rock mit Pop-Schlagseite am ehesten seine Würdigung erfahren würde. Die absoluten Highlights sind aber ohnehin mitten im Tracklist-Sandwich zu finden. Etwa das exzessiv-frustrierte „Weird Leisure“ mit den typischen Band-Trademarks im Kompositionsaufbau und das zwischen Radiopop und Math-Rock mäandernde „Worst Type Of Best Possible“.

Alt & neu
Mit gut 45 Minuten halten sich Biffy Clyro auf „A Celebration Of Endings“ so kurz wie schon lange nicht mehr, begehen aber trotzdem wieder zu oft den Fehler, sich dem größer werdenden Publikum anbiedern zu wollen. Im Gegensatz zu den eingangs erwähnten Muse tun sich Simon Neil und Co. hörbar schwer, sich in eine Richtung drängen zu lassen und verweben daher nach wie vor möglichst alle Schaffensphasen der Bandhistorie, lassen es dabei aber an der ungestümen Authentizität der frühen Tage vermissen. Spielfreude und Lust am Musizieren sind den Vollblutmusikern jederzeit anzuhören, doch auch das neue Album reicht nicht mehr an die kreativen Explosionen der Vergangenheit heran. Am 16. Oktober 2021 sollen Biffy Clyro hoffentlich wieder im Wiener Gasometer konzertieren dürfen. Dafür sind sie als Headliner des Download Festivals in England geplant - was die Unentschlossenheit des eigenen Standings nur noch bestärkt.

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