Proteste in Beirut

Premier beugt sich Druck der Straße – Neuwahlen!

Ausland
08.08.2020 21:43

In Beirut gerät die Lage wenige Tage nach der verheerenden Explosion im Hafen zunehmend außer Kontrolle. Wütende Demonstranten haben am Samstag das Außenministerium gestürmt. Von ehemaligen Armeeoffizieren angeführte Protestierende drangen in das Gebäude ein und erklärten es zum „Hauptquartier der Revolution“. Kurze Zeit später fielen Schüsse bei den Ausschreitungen in der libanesischen Hauptstadt. Regierungschef Hassan Diab kündigte daraufhin vorgezogene Neuwahlen an. Einige Stunden später wurden die besetzten Ministerien von der Armee geräumt.

Nach der Explosionskatastrophe vom Dienstag waren Tausende Menschen durch die Stadt marschiert, um gegen die Regierung und die „herrschenden Eliten“ zu protestieren. Die Polizei setzte zuerst Gummigeschosse und Tränengas ein, am Samstagnachmittag bestätigte die Polizei allerdings gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters Schüsse im Zentrum der libanesischen Hauptstadt zu hören waren. Die Umstände waren zunächst unklar.

Ministerien besetzt
Zuvor waren Dutzende Demonstranten während der Proteste auf das Gelände des Außenministeriums eingedrungen und hatten das Gebäude besetzt. Dort skandierten sie Parolen gegen die Regierung, verbrannten ein Bild von Präsident Michel Aoun und forderten per Megafon andere Demonstranten auf, alle Ministerien zu besetzen. Kurze Zeit später wurde auch das Wirtschaftsministerium besetzt.

Video: Demonstranten werfen Papiere aus dem besetzten Wirtschaftsministerium

Nach drei Stunden beendete die Armee die Besetzung des Außenministeriums. Soldaten räumten am Samstagabend das Gebäude, wie AFP-Reporter beobachteten. Auch das Wirtschaftsministerium sowie der Sitz des Bankenverbands, in dem Demonstranten auch ein Feuer gelegt hatten, wurden wieder geräumt. 

Premier kündigt Neuwahlen an
Am Samstagabend kündigte der libanesische Regierungschef Hassan Diab schließlich vorgezogene Neuwahlen an. Nur so könne die Krise in dem Land überwunden werden, sagte Diab am Samstagabend in einer Fernsehansprache. Er werde seinem Kabinett daher am Montag Neuwahlen vorschlagen. Eine Verantwortung für die wirtschaftlichen und politischen Probleme des Landes wies Diab allerdings zurück.

Mindestens 130 Verletzte bei Zusammenstößen
Etwa 5000 Menschen hatten sich zuvor in Beirut versammelt, um gegen den Umgang der Regierung mit der Explosionskatastrophe zu demonstrieren. Bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten wurden mindestens 130 Menschen verletzt. 28 von ihnen seien in umliegende Krankenhäuser gebracht, 102 vor Ort behandelt worden, teilte das libanesische Rote Kreuz am Samstag über Twitter mit.

Am Rande der Demonstrationen kam nach Polizeiangaben ein Polizist ums Leben. Der Beamte habe mehreren in einem Hotel festsitzenden Menschen geholfen, als er aus einer Menschenmenge angegriffen worden und tödlich gestürzt sei, erklärte die Polizei im Kurzmitteilungsdienst Twitter.

#HängtSie als Wut-Parole
Vereinzelt schwenkten Protestierende auch Schlingen, auf dem Märtyrer-Platz im Zentrum von Beirut waren bereits am Freitag hölzerne Guillotinen errichtet worden. Protestaufrufe in Onlinenetzwerken wurden mit dem Hashtag #HangThem (#HängtSie) versehen. Sicherheitskräfte versuchten die Demonstranten auf dem Weg zum Parlamentsgebäude zurückzudrängen, die Polizei setzte Tränengas gegen Steinewerfer ein.

Viele Libanesen, die der politischen Elite schon seit langem Korruption und Unfähigkeit vorwerfen, machen die Regierung für die verheerenden Explosionen am Dienstag mit mehr als 150 Todesopfern verantwortlich. Der Libanon steckt schon seit Jahren in einer schweren Wirtschafts- und Währungskrise, die durch die Corona-Pandemie noch verschärft wurde.

„Wir werden als Geiseln gehalten und hungern“
„Wir können es nicht mehr ertragen. Wir werden als Geiseln gehalten, wir können das Land nicht verlassen, wir können unser Geld nicht von den Banken abheben. Die Menschen hungern, es gibt mehr als zwei Millionen Arbeitslose“, beklagte die Demonstrantin Médéa Azoury. „Und jetzt ist Beirut durch Fahrlässigkeit und Korruption vollständig zerstört worden.“

Am Dienstag hatten zwei gewaltige Explosionen den Hafen von Beirut erschüttert. Nach Regierungsangaben waren 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat explodiert, die jahrelang ungesichert in einer Halle im Hafen lagerten. Die Ursache der Explosionen ist noch unklar. 21 mutmaßliche Verantwortliche wurden festgenommen. Die Zahl der Todesopfer der Explosionen stieg am Samstag nach Angaben des Gesundheitsministeriums auf 158, die der Verletzten auf mehr als 6000. 21 Menschen werden demnach noch vermisst.

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