Pfahlbaudörfer

Prähistorische Pfahlbaudörfer: unsichtbares Erbe

Reisen & Urlaub
03.09.2020 08:45

Lange bevor in Ägypten die Pyramiden errichtet wurden, entstanden an den Ufern unserer Seen die ersten Pfahlbauten. Ihre Überreste sind heute versunken. Dennoch wissen wir viel über das Leben dieser Steinzeitmenschen - dank ihres weggeworfenen Mülls.

Es war die Zeit von Ötzi. „Kann durchaus sein, dass einer seiner Zeitgenossen am Mondsee vorbeigekommen ist“, meint Johannes Pfeffer, Obmann des Pfahlbau-Museums in Mondsee. Denn die Menschen der späten Jungsteinzeit waren durchaus nicht nur Jäger und Sammler, sie trieben auch schon eifrig Handel. So war wohl Salz bereits damals begehrt. Pfeffer: „Dafür hat man etwa Steine eingetauscht, die es bei uns nicht gibt. Wie Feuerstein, der in den Bergen nördlich von Verona vorkommt.“

Genau solche Feuerstein-Klingen entdeckten die Unterwasser-Archäologen bei den Pfahlbauten im Mond- und Attersee. An beiden Seen entstanden ab dem 4. Jahrtausend vor Christus etliche Pfahlbausiedlungen. Die große Zahl an Funden, darunter aufwendig verzierte Tonkrüge, gab einer ganzen Epoche ihren Namen, der Mondsee-Kultur. Die typischen Verzierungen der Becher und Krüge lassen sich bis nach Bayern, in Tschechien und in der Steiermark nachweisen.

Diese weit verzweigten Beziehungen würdigt die UNESCO mit dem „Welterbe Prähistorische Pfahlbauten“: Es erstreckt sich über sechs Länder rund um die Alpen. Von den insgesamt 111 Fundstätten liegen fünf Siedlungen in Österreich: drei am Attersee und je eine am Mondsee und am Keutschacher See. „Das ist nur ein kleiner Teil der gefundenen Pfahlbaudörfer in Österreich, aber ein repräsentativer“, erklärt Cyril Dworsky, Geschäftsführer des österreichischen Management des Pfahlbau-Welterbes.

Archäologen im Taucheranzug
Im Museum sind viele Kostbarkeiten, die bei Tauch-Grabungen im Mond- und Attersee entdeckt wurden, ausgestellt. Pfeffer: „Wissenschafter aus der ganzen Welt kommen nach Mondsee. Denn bei uns sieht man die Originale.“ Originale, die Staunen lassen. Neben den Tongefäßen, manche in Scherben, viele auch nach Tausenden von Jahren noch gut erhalten, finden sich Flechtwerk und Reste von Kleidungsstücken, Mahlsteine, Äxte und Beile, Speerspitzen und scharfe Messer aus Stein, Tierknochen, Getreidekörner und Nüsse, 6000 Jahre alte Äpfel und Birnen und der „Mondseer Knödel“ – ein schwarzes Etwas, das die Forscher als eine Semmel identifiziert haben.

Am Attersee gibt in Seewalchen der „Welterbe-Pavillion“ Einblick in das tägliche Leben der Steinzeitmenschen und in einem „Pfahlbau-Garten“ wachsen Pflanzen, die damals für die Ernährung, als Medizin und zum Färben der Kleidung verwendet wurden. „Wir bieten ,Spaziergänge in die Steinzeit‘ an, bei denen Werkzeuge gebastelt werden, und haben auch Einbäume nachgebaut“, erklärt Alfons Egger, Obmann des Vereins Pfahlbau am Attersee. Einzelne Fundstücke sind auch im Museum „Atarhof“ in Attersee zu sehen. Dort wartet auch ein naturgetreuer „Atti“ – Otzis Kollege vom Attersee – auf die Besucher.

„Die Funde sind eigentlich Abfälle, die aus den Pfahlbauten entsorgt wurden“, erläutert Pfeffer. „Kaputte Steinwerkzeuge hat man einfach weggeworfen. Im Lauf der Zeit wurden sie dann am Seegrund durch Ablagerungen zugedeckt und so konserviert.“ Zur Freude der Forscher, die dadurch etwa herausfanden, wovon sich die Steinzeitmenschen ernährten: wenig Fleisch, viele Früchte und Nüsse, als Getreide waren Hartweizen, Emmer und Einkorn bekannt, das als Brei verzehrt, mit dem aber auch Bier gebraut wurde.

Das Leben am See hatte durchaus Vorteile. „Frisches Wasser und genug Fische zum Essen“, sagt Pfeffer. Außerdem hätten sich die Pfähle im morastigen Boden am Seeufer leicht einsetzen lassen: „Man braucht die Pfähle nur zu rütteln, dann gehen sie ganz leicht hinein. Wenn man aufhört zu rütteln, sitzen sie bombenfest.“ Auf diesem Fundament wurden dann die Hütten aufgestellt: „Die Wände waren aus Flechtwerk, das mit Lehm verschmiert wurde. Gedeckt wurde mit Seegras oder Rinde.“

Mit der Vorstellung, dass die Siedlungen mitten im Wasser standen, hat die Forschung aufgeräumt. „Gebaut wurde in der Uferzone. Doch der Wasserstand ist gestiegen, am Mondsee etwa um dreieinhalb Meter. Deshalb liegen die Fundstellen jetzt im See und so ist dieser Irrtum entstanden“, so Pfeffer. Warum das Wasser gestiegen ist? „Klimaerwärmung“, ist Pfeffer überzeugt. Der Theorie vom „Mondsee-Tsunami“, ein Bergrutsch, der die Seeache verlegte, könnte einen Tsunami ausgelöst haben, kann er wie Dworsky wenig abgewinnen: „Es gibt keine konkreten Indizien, dass der Bergrutsch im Zusammenhang mit der Zerstörung der Pfahlbauten steht.“

Für die Siedlung im Keutschacher See kann diese Variante ohnehin nicht gelten. Sie ist die älteste bisher bekannte Pfahlbausiedlung Österreichs. „Bei einem Holzpfahl war eine genaue Datierung möglich“, freut sich Dworsky. „Der Baum wurde 3947 v. Chr. gefällt.“ Die Ansiedlung gilt auch deshalb als altertümlich, weil fast nur Knochen von Wildtieren gefunden wurden. Im Gegensatz zu den Fundstätten in Oberösterreich: „Dort hat man viel mehr Haustier-Knochen entdeckt.“

Noch eine Besonderheit zeichnet Keutschach aus: Es wurde auf einer richtigen Insel errichtet. Heute liegen die Überreste etwa zwei Meter unter Wasser. Um unkontrollierte Grabungen zu verhindern, gibt es zur Lage der meisten Pfahlbaustätten keine Hinweise. Die Funde sind im Naturhistorischen Museum Wien, den Museen in Mondsee und Klagenfurt sowie in kleinen Ausstellungen in der Region zu sehen.

Waltraud Dengel, Kronen Zeitung

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