Album „Love & Peace“

Seasick Steve: Ein Plädoyer für eine bessere Welt

Musik
28.07.2020 06:00

Der kreative Blues-Nomade Seasick Steve veröffentlicht mit Corona-bedingter Verspätung sein neues Album „Love & Peace“ und versucht mit Working-Class-Mentalität, Authentizität und der Liebe zu alten Klängen eine aus den Fugen geratene Welt zu einem besseren Platz zu machen.

(Bild: kmm)

Eigentlich ist es ziemlich frevelhaft, einen profunden Musiker wie Seasick Steve ins Vorprogramm der Bierzelt-Schunkler The BossHoss zu geben, aber so wie der Amerikaner keine Genregrenzen kennt, lässt sich auch das Publikum gerne auf Neues ein. Die Geschichte des Steven Gene Wold wurde in den letzten Jahren allgemein bekannt. Zerrüttete Familienverhältnisse, ein Leben als Hobo, Gelegenheitsjobs, Kleinkriminalität, Gefängnisaufenthalte. Dazu aber auch immer die Liebe zur Musik. Er erlernte schon als Kind das Gitarrespielen, verliebte sich in den Blues und war auch in den dunkelsten Zeiten immer im Dunstkreis künstlerisch aktiver Menschen zu verorten. Vom Assistenten bis zum profunden Tontechniker brachte er es, produzierte Anfang der 90er-Jahre sogar Alben von Bikini Kill und Modest Mouse. Dann kam der Herzinfarkt und der Umzug zu seiner Frau nach Norwegen - schlussendlich das Debütalbum „Cheap“ im Jahr 2004, als der Mann, der sein genaues Geburtsdatum geheim lässt, schon jenseits der 50 war.

Großer Durchbruch
Den großen Durchbruch feierte Seasick Steve drei Jahre später, als er bei der Silvestershow des legendären Jools Holland auftrat und mit drei Songs und seiner durchaus hollywoodreifen Vita nicht nur die Briten nachhaltig begeisterte, sondern allgemein endlich ins Rampenlicht trat, nachdem er sich so lange sehnte. Wobei - das stimmt nur bedingt. Mit Ruhm und Glanz hat der Kalifornier prinzipiell seine liebe Mühe. Dass er dermaßen oft missverstanden wurde, führte auch dazu, dass er nur mehr selten Interviews gibt. Der „Krone“ stand er 2016 nach einer live eingespielten Platte im Wiener Supersense zur Verfügung und erwies sich als reflektierter Gesprächspartner und profunder Kenner der Materie. Nachdem Seasick Steve in den letzten Jahren vor allem seine aufregende Vergangenheit in Lieder goss und sich in der Öffentlichkeit durchaus entblößte, hat er für sein neues Werk „Love & Peace“ einen anderen Ansatz gewählt.

In Zeiten fehlender sozialer Wärme und zunehmender gesellschaftlicher Probleme sieht sich der - vielleicht bald 70-Jährige - eher in der Verantwortung, das Gute im System nach vor zu stellen und die positiven Seiten des Daseins aufzuzeigen. „In diesen verrückten Zeiten scheint es mir einfach nicht genug Liebe und Frieden zu geben. Ich weiß nicht genau, was diese Aufnahme hier mit Liebe und Frieden zu tun hat, aber ich dachte, ich würde es trotzdem so nennen“, tat er in einer Presseaussendung zum Album kund. Der gute Wille „by accident“ sozusagen, doch wer sich eingehender mit Seasicks Steves Karriere beschäftigt weiß ohnehin, dass nur selten etwas so ist wie es scheint und man bei seinen Aussagen und Antworten immer eine gewisse Doppelbödigkeit einkalkulieren muss. Der Künstler macht sich sehr wohl große Gedanken, stellt sich aber selbst nicht allzu gerne in den Vordergrund.

Arbeit mit Freunden
Wie immer hat der Protagonist in allen Bereichen selbst Hand angelegt. Die Songs sind selbst geschrieben und produziert, zudem ist die analoge Herangehensweise verantwortlich für den warmen Sound, der wohlige Nostalgiegefühle aufkommen lässt. Teilweise hat er in etablierten Studios aufgenommen, teilweise aber auch hemdsärmelig in einer Scheune. Für die zwischen Rock, Blues, Folk, Americana, Roots Musik und auch etwas Folk-Boogie mäandernden Songs ist eine basische Herangehensweise aber quasi verpflichtend. Aus der BossHoss-Mannschaft hat er sich Mundharmonikaspieler Malcolm Arison ausgeborgt, ebenfalls mit an Bord ist North Mississippi Allstars-Gitarrist Luther Dickinson und Seasick Steves alter Freund und „Partner in Crime“ Dan Magnusson, der für das eher dezent gespielte Schlagzeug verantwortlich zeichnet.

Das Erbe der eigenen Idole, der Größe aus dem Blues hochzuhalten, das ist Steves oberste Karriereprämisse und das tut er auch im friedliebenden Kontext dieses spannenden Albums, das seine stärksten Momente in der Überlänge hat. Etwa bei den Stampfer-Momenten im opulenten Titeltrack zu Beginn des Albums oder im spannenden „Church Of Me“, das wie eine aus Orange-Verstärkern dröhnende Mischung aus den Allman Brothers und Blues-Urvater Robert Johnson klingt. Dass das Metronom den Rhythmus zählt stört genauso wenig wie die Tatsache, dass nicht alle Tracks vor Innovation triefen und sich gewisse Redundanzen nicht komplett vermeiden lassen. Wichtig sind Message und Herzblut und von beidem hat der Rauschebart mehr als einen ganzen Sack voll im Angebot. „Love & Peace“ lebt vor allem von der authentischen Attitüde und weniger vom Spannungsbogen der einzelnen Kompositionen.

Working-Class-Mentalität
Das Corona-Virus hat auch nicht vor dem Nomaden, der laut Eigenbekunden im Laufe seines Lebens in 59 verschiedenen Häusern gewohnt hat, Halt gemacht. Mit zweimonatiger Verspätung erscheint das Werk, aus dem geplanten Auftritt in der Sommerhitze des Nova Rock Festivals ist bekanntermaßen auch nichts geworden, doch jemand wie Seasick Steve lässt sich von derartigen Verwirrungen längst nicht mehr aus dem Konzept bringen. „Love & Peace“ ist eine wunderschöne Ehrerbietung und Verbeugung vor seinen großen Helden, die zwar nicht mit großem Innovationsreichtum aufwarten kann, aber den Blues und die Working-Class-Mentalität der alten Tage akkurat in die Gegenwart versetzt. Man muss die Welt ja nicht gleich aktiv verbessern, beständig darauf hinzuweisen und Zeichen zu setzen ist aber allemal besser, als nichts zu tun.

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