Letzter Urwald

Förster: „Welt betreibt Raubbau an ihren Wäldern“

Österreich
21.07.2020 19:26

Ein Urwald mitten in Österreich, unberührt, der letzte in ganz Mitteleuropa. Hier im Wildnisgebiet Dürrenstein arbeitet ein Team daran, den alpinen Dschungel zu erkunden und zu verstehen. Mit Führungen soll dieser besondere Ort der Ruhe einem ausgewählten Publikum nahegebracht werden. krone.tv besuchte das Naturjuwel und sprach mit den Menschen, die es tagtäglich pflegen und darin forschen.

Förster Reinhard Pekny führt Vertreter von Presse und Politik durch den Urwald. Der genau so bleiben soll, wie er ist. „Erst seitdem wir ein Schutzgebiet haben und eine Ausnahmebewilligung nach § 32a des Forstgesetzes, darf alles liegen bleiben, umfallen und so passieren, wie es passiert. Wir nehmen nichts mit außer unsere Bilder, Erinnerungen und Emotionen. Wir lassen nichts zurück außer unser CO2, das wir dem Wald spendieren“, leitet Pekny die Führung ein.

Die UNESCO zeichnete das Naturgebiet 2017 als erstes Weltnaturerbe in Österreich aus. Bald soll auch ein „Haus der Wildnis“ errichtet werden, um Schülern und Jugendlichen, wie die Website erklärt, „Natur näherzubringen und das Bewusstsein für Umweltprobleme zu schärfen“.

„Bin auf die Bäume stolz, nicht auf mich“
Durch einen Studienkollegen ist er zu seiner Aufgabe gekommen. Als „tiefe Zufriedenheit“ würde er sein Engagement beschreiben: „Dass es so was gibt, dass man mitwirken hat können, und dass es das alles auch in der Zukunft geben wird.“ Ob er mit Stolz auf seine 20-jährige Arbeit zurückblickt? „Man kann auf die Bäume stolz sein, aber nicht, weil man irgendwas dazu beigetragen hat. Wir können alle froh sein, dass wir so ein Stückchen Urwald haben in Österreich. Aber für den persönlichen Stolz ist da kein Platz.“

„Bäume stehen seit 600 Jahren, ich bin seit 20 hier“
Wenn man neben diesen „Individuen“ arbeitet, wird für Pekny alles relativ: „Da spielen manche Dinge einfach keine Rolle mehr, die Zeit wird bedeutungslos. Die Bäume stehen seit 600 Jahren im Urwald. Ich bin jetzt 20 Jahre lang hier. Man wird aufs richtige Maß zurechtgewiesen.“ Für Pekny verfolgt die Natur ihre eigenen Pläne, der Mensch ist bloß Zuseher. Er und sein Team seien „stille Beobachter“, sie „schauen zu, forschen, beobachten, dokumentieren“, um daraus Schlüsse zu ziehen und zu lernen: „Man wird unwichtig. Es zählt nicht, was wir hier wollen, was wir für Pläne haben, was wir für Vorstellungen haben. Es passiert, wie es passiert.“

Forschung an Borkenkäfern, Flechten, Pilzen
Wildbiologe Stefan Schörghuber ist heute auch mit dabei. Er erklärt die Forschung im Urwald: „Ein großer Teil ist Artenerhebung.“ Ständig besuchen „Flechtenforscher, Pilzforscher und mehr“ den Rothwald. Dieser Teil der Forschung „ist fast wie eine Inventarisierung“. Dann Fragestellungen: „Wie agiert der Borkenkäfer, wenn ich ihn nicht bekämpfe oder inwieweit unterscheidet sich der Urwald Rothwald von anderen alten Wäldern, gibt es Bodenunterschiede?“

Mit einem Lächeln fasst er zusammen: „Es gibt die verschiedensten Fragestellungen, die erforscht werden wollen.“ Seine Botschaft an die Städter: „Wenn man sich draußen sportlich betätigt, sollte man nicht vergessen, dass man nicht nur der Konsument im Wald ist, sondern dass es Tiere und Pflanzen gibt, die hier leben.“ Seit 2018 ist Nina Schönemann Teil des Wildnisgebiet-Teams, ebenfalls Wildbiologin - sie erklärt, worauf es ihr bei der Arbeit ankommt: „Es ist nicht nur ein Job, sondern eine Berufung und eine Ehre, den Wald betreten zu dürfen. Irgendjemand muss den Job machen, und dass ich ihn machen darf, ist ein Riesenglück.“

„Politik sollte viel mehr Wert auf Natur legen“
Auch der Stellvertreter der Landeshauptfrau, Dr. Stephan Pernkopf, wandert heute mit. Eine persönliche Verbindung zum Urwald pflegt er schon von klein auf: „Allerdings nur aus Erzählungen, weil das jemand mitentwickelt hat, wo ich mit der Familie sehr befreundet bin. Dann habe ich in der Landesregierung die Möglichkeit bekommen, mit offenem Herz für dieses Gebiet einzutreten.“ Pekny lobt er als „begnadeten Naturvermittler“. Die Covid-Krise habe gezeigt: „Gesundheit und Natur stehen an oberster Stelle. Gesundheit ist wichtiger denn je, aber auch die Natur als Rückzugsraum. Wir sollten in der Politik wieder viel mehr Wert auf die Natur legen. Die Natur wird ohne uns auskommen, aber wir als Menschen nie ohne Natur.“

Im internationalen Vergleich kann Österreich, wenn’s um den Naturschutz geht, stolz sein, so Pekny: „Wir sind den Brasilianern weit voraus, wir haben halt keine Wüsten hinterlassen außer die Flächen, die wir umgeformt haben für Landwirtschaft, Siedlungen und Industrie. Dort, wo wir es nicht gemacht haben, haben wir versucht, dass etwas Ähnliches wie Wald entsteht, es ist ein Forst, ein Wirtschaftswald entstanden, der nicht ganz identisch ist mit einem Urwald. Aber die Bäume stocken, der Boden ist geschützt, die Wohlfahrtsfunktion der Wälder werden erfüllt.“

„Welt betreibt Raubbau an ihren Wäldern“
Laut Pekny wird auch nicht mehr Holz gefällt als das, was nachwächst. „Der Holzvorrat ist angestiegen in den letzten Jahren.“ Durch die „Trockenheit“ und die Borkenkäfer-Problematik werde sich erst zeigen, ob das so bleibt. „Mitteleuropa ist der einzige Platz auf der Welt, wo Forstwirtschaft betrieben wird - sonst betreibt der Rest der Welt Raubbau an den Wäldern. Das Umschneiden von Bäumen in Kanada, das ist keine Forstwirtschaft, das Roden in Südamerika ist auch keine Forstwirtschaft, das Abhacken von Borneo oder Indonesien ist keine Forstwirtschaft. Die Ukraine, Russland? Abhacken der Bäume. Wegtransportieren. Geld kassieren. Ein paar Ausnahmen gibt es schon. Die anderen haben Plantagen. Da wird Eukalyptus gesetzt oder Pinus Radiata (Monterey-Kiefer). Das geht ein, zwei Generationen und dann ist das System kaputt.“

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