Endlich Debütalbum

Rhys Lewis: Seelen-Striptease mit Soul und R&B

Musik
13.07.2020 06:00

Mehr als zwei Jahre hat es gedauert, bis das britische R&B/Soul-Versprechen Rhys Lewis nun endlich sein lang ersehntes Debütalbum veröffentlicht. „Things I Chose To Remember“ wird mit sanftem Eklektizismus aber gewiss für Erfolg sorgen. Im Interview tauchten wir tiefer in die Gedankenwelt und Karriere des smarten Talents ein.

(Bild: kmm)

Koch, Hochzeitssänger, Charmeur - das und noch vieles sind Personifikationen von Rhys Lewis. Der 28-jährige Brite hat sich früh der Musik hingegeben, wollte anfangs aber nur Gitarre spielen und nicht unbedingt als Sänger im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Bill Withers, James Bay oder Eric Clapton faszinieren ihn. So eklektisch wie seine Inspirationen ist auch seine Musik. Sehr viel Soul, eine Wagenladung R&B, moderner Pop und das Gespür für herzerwärmende Balladen durchziehen das Oeuvre des Oxfordshirers. Songs wie „Waking Up Without You“ oder „Wish I Was Sober“ haben sich schon vor mehr als drei Jahren in den Radios festgesetzt, 2018 war er dann auch im Wiener Porgy & Bess zu Gast. Das Debütalbum hätte eigentlich schon damals kommen sollen, doch diverse Geschäftsprobleme und auch der überbordende Perfektionsgedanke des Künstlers verhinderten dies zusehends.

Ohne Debüt kam Lewis in den letzten Jahren auf eine dreistellige Millionenzahl an Spotify-Streams. Nun ist es endlich so weit und „Things I Chose To Remember“ erblickt das Licht der Welt. Ein Album, so warm und melancholisch, dass man es auch in einem anderen Jahrzehnt verorten könnte. Persönliche, emotionale und ehrliche Songs wie „Better Than Today“, „Under The Sun“ oder die gerade jetzt so wichtige Motivationshymne „Hold On To Happiness“ scheren sich nicht um die digitalisierte Welt der allumfassenden Vernetzung, sondern sind ein angenehm altmodisches Beispiel für stringentes Songwriting und dem Gespür für den richtigen Ton in der Musik. Die harte Arbeit hat sich jedenfalls ausgezahlt, so kann Rhys beruhigt zurückblicken.

„Krone“: Rhys, du wirst gerne mit dem legendären, heuer leider verstorbenen Bill Withers verglichen, bist aber kein großer Fan von diesem Vergleich…
Rhys Lewis:
Ganz und gar nicht, der Vergleich ehrt mich sehr, doch ich bin als Sänger oder Songschreiber noch nicht einmal einen Hauch so gut wie er. Er ist ein großes Vorbild von mir und ich habe mir sehr lange seine Musik detailliert angehört.

Deine Songs sind voller Soul, Stimmungen und haben etwas Greifbares. Ist es dir am Wichtigsten, dass du ehrliche Emotionen vermitteln kannst?
Als ich mit der Musik anfing, wollte ich so klingen wie meine Helden. Ich habe mir also eine Gitarre geschnappt und die Riffs der Arctic Monkeys nachgespielt, aber irgendwann habe ich selbst damit angefangen, handgemachte Musik zu erschaffen. Ich habe gelernt, dass es mich ungemein bereichert, wenn ich meine eigenen Emotionen und Gefühle in einen Text oder einen Song stecke und mich dadurch viel besser erklären kann. Ich habe die Musiker, die sich stark öffnen konnten, immer am meisten bewundert. Natürlich ist es schwierig, die Gefühlswelt jedes einzelnen Tages in Musik zu kanalisieren, aber zu den größten Herausforderungen eines Songwriters gehört es auch, die wirklich wertvollen Themen zu besingen und Authentizität zu zeigen. Manchmal hänge ich in einer Schreibblockade fest, aber ich will mich trotzdem nicht zu weit von meinem Konzept entfernen. Je mehr ich von mir selbst preisgebe und je mehr Ehrlichkeit ich ausstrahle, umso echter wirkt das auch auf die Hörer. Es macht absolut Sinn, dass die besten Songs der Musikgeschichte aus echten Erlebnissen resultieren.

Wenn man sich so öffnet, muss man auch Schmerzhaftes besingen. Denkst du beim Songwriting vorher oft darüber nach, ob dich diverse Dämonen der Vergangenheit dann in diesen Songs nicht jahrelang jagen werden?
Absolut, das bleibt nicht aus. Das Songschreiben ist nicht immer gesund, das ist das Problem dabei. Ich habe schon viel mitgemacht in meinem Leben, aber wenn ich darüber geschrieben habe, ist es mir dann meist besser gegangen. Die meisten Songwriter schreiben über die Liebe, Beziehungen und die Probleme, die damit einhergehen. Es ist oft schon sehr heilend, wenn man diese Dinge in einem Song abwickeln kann. Andererseits werden diese Gefühle bei jedem Konzert evoziert, doch die Zeit heilt alle Wunden. Viele Songschreiber haben mir gesagt, dass sie solche Themen durch die Verarbeitung viel besser abschließen können. Wenn du etwas in die Welt hinausschreist oder laut sagst, kann es dir helfen, damit klarzukommen. Und einen Song über ein Thema zu schreiben ist nichts anderes. Wenn du auf der Bühne singst, dann hilft das deinen Emotionen. Manchmal reicht es nicht, mit Freunden über ein Problem zu reden, weil sie deine Emotionen weniger gut verstehen als es die Musik tut.

Natürlich interpretiert das Publikum solche Songs dann für sich selbst. Hast du schon viele berührende, bewegende oder gar aufwühlende Rückmeldungen auf deine Lieder bekommen?
Es ist in erster Linie irrsinnig befreiend, wenn du einen Song über eine schlechte Phase in deinem Leben geschrieben hast und dann jemand zu dir kommt, den du nicht kennst, und dieser jemand dir sagt, dass der Song ihm in seinem Leben geholfen hätte. Wenn er Hoffnung schöpft oder die Welt wieder positiv sieht. Manchmal bewegt man sich auf der Stelle und durch solches Feedback kriegt man selbst wieder Hoffnung zurück. So normal es auch wirken mag, dass Leute deine Songs im Auto auf dem Weg zur Arbeit hören, so besonders ist es auch. Es ist für mich immer wieder beeindruckend, wenn meine Songs jemandem wirklich etwas bedeuten. Dieses Gefühl wird immer besonders bleiben. Ich weiß, wie viel mir selbst gewisse Songs von meinen Idolen bedeutet haben und selbst so eine Rolle einzunehmen - wenn auch nur im kleinen Rahmen - ist großartig.

Was muss ein Song für dich haben, dass er deine Aufmerksamkeit generiert und dich richtig mitnimmt?
Als ich das erste Mal eine Led-Zeppelin-Platte hörte, hat mich das total weggeblasen. Diese wahnsinnige Gitarre, der pulsierende Bass, die wuchtigen Drums und dieses angsteinflößende und betörende Geschrei, die Stimme von Plant - so etwas gab es einfach kein zweites Mal und ich komme immer wieder darauf zurück. Es war die Blütezeit des britischen Rock, nie mehr wieder wurde Rock so wichtig und Zeppelin waren das Zentrum. Es gibt viele Bands, die diese Zeit heraufbeschwören wollen, aber die Energie und Magie der Gitarre von Jimmy Page kannst du nie mehr wiederholen. Ähnlich ging es mir dann später bei den Arctic Monkeys. Ich hatte anfangs keine Ambitionen zu singen oder im Mittelpunkt zu stehen, wollte nur Gitarre spielen, aber da hatte ich durch Sänger Alex Turner ein Erweckungserlebnis. Als deren erste Platte rauskam, war ich elf oder zwölf und die Arctic Monkeys waren die erste Band meiner Generation, die mich mit Texten und Musik wirklich erreichten. Sie sangen über Dinge, die mich beschäftigten. Meine Perspektive auf die Musik hat sich verändert. Anfangs ging es mir hauptsächlich um den Klang und mir war recht egal, worüber der Sänger sang, aber irgendwann waren mir die Inhalte und Botschaften wichtiger. Ich glaube das kennt jeder, dass es anfangs um den Kick der Musik geht und man sich erst später darum kümmert, was der Sänger eigentlich zu sagen hat.

Du wolltest also eigentlich nur Gitarrist und nicht unbedingt Sänger sein?
ich habe auch eine Zeit lang Klarinette gespielt, aber die Gitarre war das magische Werkzeug für mich. Ich war konstant nur mehr in meinem Schlafzimmer und habe darauf herumgeklimpert. Meine Mutter musste mich dazu zwingen, etwas anderes zu tun und rückblickend kann ich verstehen, dass sie das ewige Musizieren fertiggemacht haben muss. (lacht) Mir musste jedenfalls nie jemand extra sagen, dass ich jetzt üben sollte. Meine ganzen Teen-Jahre habe ich mit der Gitarre verbracht und hatte irrsinnige Angst, auf eine Bühne zu gehen. Ich hatte auch kein Talent und noch weniger Ambitionen, vor ein Mikrofon zu schreiten. Dann gab es aber einen Schicksalswink. Ein Freund von mir verließ die Stadt, um auf die Universität zu gehen und in unserer Band fehlte plötzlich der Sänger. Ich war der einzige, den sie dafür im Auge hatten und habe es dann probiert. Anfangs war es die Hölle, aber je öfter ich es tat, umso stärker wurde meine Stimme und umso selbstsicherer wurde ich. Ich kam nach London, um ein Songwriter zu sein und nicht ein Sänger, doch je mehr Songs ich schrieb, umso besser war ich bei Stimme und irgendwann hatte ich das Gefühl bei Open-Mic-Nächten, Geburtstagen und Hochzeiten auch wirklich singen zu können.

Viele bekannte Künstler haben zumindest einmal in die Welt des Hochzeitsingens geschnuppert. Von dort kannst du offenbar so einiges mitnehmen?
Es ist die beste Musikerziehung, die es gibt. Du musst viele verschiedene Stücke spielen und die Leute sind nicht auf dich konzentriert. Es geht also auch darum, so gut zu sein, dass die Leute in deine Musik hineinfinden. Du lernst herauszufinden, welcher Song zu welchem Moment passt, was irrsinnig wichtig ist. Ohne dass du es bewusst bemerkst, hast du einen gut bezahlten Probentag, weil du mindestens drei Stunden spielst. Noch heute gehe ich, wenn mir mal Zeit bleibt, die Straße runter in meine Stammkneipe, um vor den Gästen ein paar Songs zu spielen. Es ist echt, unverfälscht und direkt. So etwas tut einfach gut und erdet dich.

Warum bist du dann doch Sänger geworden? Weil du deine Lampenfieber bekämpft hast, die Leute dir zujubelten oder du doch das Gefühl hättest, nur du selbst könntest deine Songs am besten wiedergeben?
Ich bin nicht sicher, aber es war wohl eine Kombination aus unterschiedlichsten Dingen. Das Allerhärteste am Musikerdasein ist, dass du irgendwann herausfindest, dass der Großteil deiner Ideen einfach Müll oder nicht gut genug sind. Du musst den Mut und die Selbstkritik erlernen zuzugeben, dass du gerade nichts Ausreichendes geschrieben hast. Erst wenn du das kannst, hast du das Level erreicht, wo du dich verbessern kannst. Noch heute ist es so, dass ich auf die Bühne gehe und nicht unbedingt vor Selbstsicherheit strotze, sobald ich singen muss. Es ist sehr seltsam, persönliche Songs live zu spielen, aber nach einer gewissen Zeit lernst du mit deiner eigenen Verletzlichkeit umzugehen. Irgendwann hast du das Gefühl, es gibt im Publikum Gleichgesinnte und du kannst deine Probleme teilen. Wenn du das erreicht hast, dann hört es auf, unangenehm zu sein.

Texte haben etwas Therapeutisches an sich und gerade du hast sehr viele Nummern über in die Binsen gegangene Beziehungen geschrieben. Sparst du dann auch etwas aus, ziehst du Grenzen?
Es gibt definitiv Dinge, die zu persönlich sind. Ich muss nicht über alle Emotionen schreiben, weil nicht alle jeden etwas angehen. Es gibt auch Situationen im Leben, die willst du mit niemandem teilen, die sind ganz privat und nur für dich bestimmt. Außerdem musst du darauf achten, dass du mit einem Song eine andere Person nicht verletzt. Das kann schnell passieren, wenn es persönlich wird und auch das ist eine gewisse Kunst für sich. Ich denke aber nicht so viel drüber nach, sondern schreibe einfach. Instinktiv weiß ich aber, was zu weit gehen würde und was nicht. Namen würde ich nie nennen. (lacht)

Ist es dir wichtig, die Texte möglichst breit und allumfassend zu gestalten und den Sound dazu zeitgeistig zu kreieren?
Ich würde gerne beides verknüpfen. Ich will nicht, dass man glaubt, die Musik wäre völlig aus der Zeit gefallen, aber es sollte auch Platz für eine gewisse Form von Nostalgie in den Klängen bleiben. Textlich will ich offen und ehrlich sein. Es muss für mich relevant sein und dann ist es auch für andere interessant. Die Songs sind in gewisser Weise auch ein Tagebuch für mich, weil ich dort meine Gefühle und Erlebnisse hineingieße. Es wäre jedenfalls cool zu wissen, dass die Leute in 30 Jahren noch immer etwas mit einem Rhys-Lewis-Song anfangen können.

Anfangs bist du mit ein paar Songs und Videos dazu ziemlich viral gegangen. Hat der Erfolg und die steigende Bekanntheit deinen Zugang zur Musik verändert?
Ich bin der Musikindustrie gegenüber recht kritisch eingestellt und selbst das Wort viral bedeutet heutzutage nicht mehr viel. Manchmal kannst du diese Wörter gut dafür verwenden, um deine Produkte zu bewerben, aber es ändert sich nichts daran, dass man immer hart arbeiten muss. Songs und Videos können aus unterschiedlichsten Gründen viral gehen und Erfolg haben, aber fühle ich die Interaktion in einem Raum mit 20 Leuten, die total abgehen und mich verstehen, dann ist das 100 Mal mehr wert. Die Leute kommen nur für diese Songs zu diesen Shows, ein Video ist dagegen nichts wert. Mir ist im Endeffekt eine lange und erfüllende Karriere in der Musik wichtiger als dieser schnelle Erfolg mit ein, zwei Songs. Am Wichtigsten wäre mir, dass die Fans lange zu mir stehen und meinem Weg folgen. Dagegen sind viral gehende Videos nichts wert, auch wenn es nett ist.

Du hattest in London harte Zeiten durchzustehen. Warst oft pleite und ziemlich am Boden. Hast du nie daran gedacht, das mit der Musik sein zu lassen?
Ich habe natürlich gekellnert und Teller gewaschen, aber dadurch, dass ich immer bei Hochzeiten und ähnlichem spielte, war immer genug da, um zu überleben. Wenn du so überzeugt und selbstsicher bist, dass du etwas erreichen kannst und wirst, dann probierst du es manchmal auch etwas blauäugig, was aber gar nicht schlecht sein muss. Auf der anderen Seite hast du ständig die Sorgen, dass du nicht gut genug bist. Als Künstler befindest du dich immer zwischen diesen beiden Welten - zwischen Selbstsicherheit und Unsicherheit. Aber wenn du beispielsweise ein wirklich gutes Konzert spielst und alle happy sind, war das die ganzen Mühen vieler schlechter Tage wieder wert. Es geht immer hin und her, man ist nie ganz entspannt. London ist eine sehr schlauchende und teure Stadt, es ging mir nicht immer gut dort. Wenn du kein Geld hast, dann kannst du schnell vereinsamen und übrigbleiben. Das ist in allen großen Städten so und auch ein bisschen die Magie solcher Metropolen. Denn wenn du Geld hast und es dir gut geht, dann lebst du dort wie ein König.

Ist die Umgebung, in der du dich befindest entscheidend für dein Songwriting?
Da bin ich mir nicht sicher. Ich fühle mich prinzipiell sehr gut und habe zuletzt auch die besten Songs veröffentlicht, die ich bisher in meinem Leben schrieb. Möglicherweise hängt das auch mit London zusammen. Ich war auch für ein paar Sessions mit Schreibern und Produzenten in Berlin und dort ging es mir gut. Die Umgebung hat keinen direkten Effekt auf den Klang meiner Musik, aber darauf, was ich denke und wie ich Songs schreibe. Zuhause schreiben ist angenehm, kann aber auch hemmend sein. Wenn du wirklich auf andere Gedanken kommen und dein Songwriting spannend halten willst, dann musst du den Mut haben, auszubrechen. Ein anderes Land und andere Kulturen können dir neue Ideen und Gedanken bringen.

Wenn du so ein großer Fan von Led Zeppelin und den Arctic Monkeys bist - könntest du dir auch vorstellen, eine Rockband zu gründen?
Das würde ich sehr gerne machen. Alex Turner macht ja auch die Last Shadow Puppets und hat nach einigen Alben mit den Arcitic Monkeys eine weitere musikalische Identität gefunden. Mich faszinieren viele Arten von Musik und ich habe keine Ahnung, wo sie mich die nächsten zehn Jahre hinträgt.

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