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KW 27 – die wichtigsten Neuerscheinungen der Woche

Musik
04.07.2020 06:00

Musik als Lebenselixier - besonders für das Wochenende, wo man hoffentlich auch Zeit dafür hat. Wir haben für euch wieder die besten Alben und Veröffentlichungen der Woche zusammengesammelt. Quer durch alle Genres ist hier garantiert für jeden was dabei. Viel Spaß dabei!

(Bild: kmm)

Animal Collective - Bridge To Quiet EP
Gemeinhin hat man vom New Yorker Klangkonglomerat Animal Collective schon länger nichts mehr gehört, diese Woche sorgt man aber gleich doppelt für Aufregung. Zuerst kam aus dem Bandcamp die Nachricht, die 2003 „Here Comes The Indian“ benannte EP wäre nicht mehr zeitgemäß und heiße fortan „Ark“, danach überrascht man auch noch mit einer digitalen 4-Track-EP namens „Bridge To Quiet“, die man in der Corona-Fadesse veredelte. Darauf handelt es sich um 2019 und 2020 geschriebene Songs, die gewohnt verschroben, träumerisch und durchaus fordernd klingen und wohl ein erster Appetizer auf ein noch heuer zu erwartendes Studioalbum sind. Viermal Überlänge für Fans intensiv-kompakter Musik. Ohne Bewertung

Balance Breach - Dead End Diaries
In erster Linie muss man sich natürlich die Frage nach der Sinnhaftigkeit stellen? Eine Metalcore-Band in Zeiten wie diesen ins Leben zu rufen? Jetzt, wo der Boom mindestens eine Dekade vorbei ist? Aber vielleicht ist das ja auch nur Täuschung und es gibt wieder langsam ein Revival, wie es in sanfter Ausführung auch schon beim Nu Metal der Fall ist. Balance Breach sind aus dem für das Genre eher unüblichen Finnland und haben 2019 den Bandwettbewerb des „Tuska Open Air“ in Helsinki gewonnen. Die Vorgehensweise indes unterscheidet sich nicht von all den anderen in der Szene. Gutturales Gebrüll vermengt mit Clean-Vocals, atemberaubende Riffs und filigrane Soli, Breakdowns und akustische Passagen. Alles schon da gewesen, alles schon gehört. Balance Breach machen ihre Sache gut, aber notwendig ist „Dead End Diaries“ wirklich nicht. 5,5/10 Kronen

Charlie Barnes - Last Night’s Glitter
Als Tourmusiker von Bastille bespielt Charlie Barnes für gewöhnlich die ganz großen Hallen Europas, doch der Nordbrite legt den Großteil seines Herzens in sein Soloprojekt. „Last Night’s Glitter“ sieht er selbst nicht direkt als sein drittes Studioalbum, soll aber genau das sein. Die Songs daraus hat er nämlich mal als Bonustracks vorgesehen, dann aber gleich mehr daraus gemacht. Im Gegensatz zum Vorgänger „Oceanography“ gibt es keinen Pomp und keine musikalischen Überladungen. Dieses Mal ging es um völlige Reduziertheit. Singer/Songwriter-Songs mit Prog-Charakter ohne Effektheischerei und ohne übertrieben viele Layer zu schichten. Der Titeltrack kommt in Überlänge sogar ganz ohne Refrain aus und trotzdem klingt das Album sehr warm, zugänglich und fast sakral. Eine feine Perle im Slow-Tempo, die ordentlich Tempo aus dem Alltag nimmt. 7,5/10 Kronen

Black Altar / Kirkebrann - Deus Inversus Split
Split-Alben sind so eine Sache. Meistens ein Gimmick eines Labels, um limitiertes Vinyl herzustellen und dem braven Sammler etwas Geld aus der Tasche zu ziehen und eben den Komplettierungsgedanken zu fördern, hinkt die Musik oft beträchtlich. Manchmal kann man sich vom Dargebotenen aber auch richtig mitreißen lassen. Die nun in London ansässigen Polen von Black Altar haben sich mit den norwegischen Zündlern Kirkebrann zusammengetan, um auf „Deus Inversus“ eine gute halbe Stunde lang dem rohen und primitiven 90er-Jahre-Black-Metal der nordischen Art zu widmen. Wo Black Altar die Stimme runterdrehen und noch etwas mehr dem Leibhaftigen huldigen, sorgen Kirkebrann für die kältere und rotzigere Atmosphäre. Für Genre-Fans jedenfalls ein Highlight. Ohne Bewertung

Black Funeral - Scourge Of Lamashtu
Ganz alte Hasen im Black-Metal-Segment sind die Amerikaner von Black Funeral. Bereits 1993 hat sich die Band in Texas formiert, um auch in ihrer Heimat die für Europa so genre-typischen Themen wie Vampirismus und Luziferanismus zu zelebrieren. Wichtigste Prämisse dabei: so roh wie nur möglich. „Scourge Of Lamashtu“ ist das mittlerweile zehnte Studioalbum der in den letzten Jahren etwas gemächlicher gewordenen Teufelsanbeter, die sich stilistisch aber nicht um einen einzigen Grad verändert haben. Die stumpfe Primitivität wird hier als Stilmittel eingesetzt und beschert den Songs eine besonders nach Gruft riechende Note. Mit Pseudonymen wie Akhtya Nachttoter oder Azgorh Drakenhof hat man das Spiel aber eh schon gewonnen. 7/10 Kronen

Blood Stronghold - Spectres Of Bloodshed
Dem Internet sei Dank kann man heutzutage ja gemütlich alle geografischen Grenzen überwinden, um zusammen zu musizieren. Das machen seit mittlerweile sechs Jahren auch ein australischer Alleskönner namens Nightwolf und ein polnischer Drummer mit dem Pseudonym Krew. Unter dem Banner Blood Stronghold versucht man den rauen, aber doch auch melodiösen Black Metal der alten Schule in die Gegenwart zu transferieren und tut dies in vollem Bewusstsein mit einem miesen Sound und minderwertigen Produktionstechniken. Das verleiht den Songs zwar Genre-übliche Authentizität, nimmt ihnen aber auch viel vom Drive, den der Kompositionsprozess an sich wohl hergegeben hätte. „Spectres Of Bloodshed“ ist etwas für die trven Trüffelsucher, muss man aber nicht sein Eigen nennen. 5/10 Kronen

Boris - NO
Vollkommene künstlerische Freiheit würden sich viele Bands wünschen, nur wenige erreichen sie. Die japanische Kultband Boris hat sich vom Jack-White-Label The Third Man schon vor ein paar Jahren gelöst und veröffentlicht absolut alles komplett auf eigene Faust. „NO“ ist dabei ein Statement gegen die Corona-Pandemie und den schleichenden Untergang der modernen Zivilisation. Musikalisch geht man fast zurück zu den Anfängen in den Früh-90ern, als man Slayer-Riffs mit einer Discharge-Attitüde und sludgig-doomigen Versatzstücken vermengte. Schon der rein instrumentale Auftakt „Genesis“ macht klar, dass es hier nicht um den Spaß im Leben geht. Mehr denn je ist „NO“ vielseitig. Hardcore-Punk, Doom, Sludge, Thrash, Heavy Metal und Düster-Atmosphärisches im Chelsea-Wolfe-Stil wechseln sich ab und erschaffen tatsächlich den Soundtrack für die Endzeit. Der Band geht die Kreativität wohl niemals aus… 7,5/10 Kronen

Marchelle Bradanini - Only A Woman
Man kann nicht alle Künstlerinnen aufzählen, die sich von den US-Präsidentschaftswahlen und dessen Ergebnis so schockiert zeigten, um kurz darauf ihre Wut und Fassungslosigkeit in Kreativität zu kanalisieren. Eine davon ist die in Los Angeles ansässige Songwriterin Marchelle Bradanini, die seither in aller Ruhe und mit voller Inbrunst an ihrem Debütalbum gefeilt hat. „Only A Woman“ ist nun weniger ein politisches, denn ein feministisches Statement, aber die beiden Themenbereiche kreuzen sich ohnehin. Mal mehr an Angel Olsen (Titeltrack), dann wieder mehr am Alt-Country („Chinese New Year“) angelehnt, ruft sie mit ihrer intensiven Stimme Reminiszenzen an die späten 60er-Jahre und etwas Lana Del Rey hoch. Schöner Einstand. 7/10 Kronen

Bury Tomorrow - Cannibal
Der Branchenriese Sony Music hatte schon immer ein interessantes Näschen für harte Metalcore-Bands. Die Genre-Cashcow Bring Me The Horizon hat sich dann aber eher dem Pop zugeneigt, doch Bury Tomorrow halten die Fahnen unentwegt hoch. „Cannibal“ ist das mittlerweile sechste Studioalbum der Briten und wieder hat man das Gefühl, als hätte sich in den letzten zehn Jahren nichts verändert. Nun, Redundanz ist im Musikbusiness nicht immer schlecht, ein bisschen mehr Abwechslungsreichtum, als nur immer zwischen Breakdowns, Clean-Vocals und eruptiven Stellen hin und her zu mäandern, hätte der Band schon mal gut getan. Was Bury Tomorrow aber vom Gros der Konkurrenz abhebt, ist das knackige Songwriting. Songs wie „Gods & Machines“ oder „The Agonist“ sind einfach ohrwurmträchtig und geschickt komponiert. Ein Leckerbissen für Genre-Fans. 6,5/10 Kronen

Convocation - Ashes Coalesce
Funeral Doom ist etwas für die ganz Harten unter den Metallern. Da vermischt sich nämlich die bleierne Schwere des Ur-Genres mit einer bedrohlich-horrösen Grabesstimmung und erzeugt damit noch einmal mehr Unwohlsein beim Hören. Das muss man natürlich wollen, wenn dem aber der Fall ist, dann wird man beim finnischen Duo Convocation mit Sicherheit glücklich werden. „Ashes Coalesce“ tauften sie ihr Zweitwerk, das in vier überlangen Songs epische Klangsphären heraufbeschwört, die von einer solchen Stringenz sind, dass man sich wie von einem Felsbrocken erschlagen fühlt. Die handwerklichen Fähigkeiten der Musiker sind über alle Zweifel erhaben und die kühle Death-Metal-Harke, die sich zusätzlich einbaut, gibt dem Ganzen eine zusätzliche Farbe. 7/10 Kronen

Coriky - Coriky
Ian MacKaye ist eine echte Legende. Man kennt ihn aus den 80er-Kult-Hardcore-Bands Minor Threat und Fugazi, er hat Dischord Records ins Legen gerufen und mit seinem Straight-Edge-Lebensstil den Veganismus propagiert, bevor Moby überhaupt wusste, was das denn sein sollte. Dem Rausch hat er sich noch immer nicht verschrieben, aber auch MacKaye wird altersmilde und sieht Dinge im Leben lockerer. Coriky nennt sich sein neues Projekt im Herbst des musikalischen Lebens und zeigt vor allem, dass es um die Freiheit des Individuums geht. Die Washington-Wut der alten Tage hört man der persönlichen und vor allem sehr Indie-Rock-lastigen Platte nur mehr selten an, doch die Authentizität steckt in jeder Note des - umweltbedingt - nur digital erhältlichen Produkts, das nicht nur Nostalgikern Spaß machen sollte. 7/10 Kronen

Deema - Chew Your Food EP
Das Londoner Hip-Hop-Kollektiv The Square ist längst nicht mehr nur Insidern bekannt, sondern hat mit dem Durchbrecher Novelist auch schon einen Rapper, der sich die Karriereleiter rasant hochhangelt. Der erst 20-jährige Süd-Londoner Deema ist wohl der nächste, dem eine blühende Zukunft vorhergesagt werden kann. Seine nur digital erhältliche Debüt-EP „Chew Your Food“ ist eine wundervolle Mischung aus britischem Grime, Experimentierkunst, nachdenklichen Tracks und Gute-Laune-Songs. So vermischt „SE4“ Nintendo-Klänge mit galaktischen Synths, sorgt „Hash Brown“ für Freestyle-Spaß und meint es die Single „Rat Race“ auch mal etwas ernster. „Dungeon“ startet gar mit einem Saxofon, bevor sich Deema durch einen Lounge-/Jazz-Track rappt. All das ergibt eine wundervolle Sound-Anarchie. Ohne Bewertung

Shaun Escoffery - Strong Enough
Dem bekannten Schauspieler Idris Elba haben wir es zu verdanken, dass Shaun Escoffery überhaupt im Showbusiness landete. Er war es, der seinen Jugendfreund dazu überredete, seine Stimme sinnvoll zu nutzen. Heute zählt Escoffery zu einer der besten R&B-Stimmen Englands und kann etwa Kultstar Sir Elton John zu seinen hingebungsvollen Fans zählen. Auf „Strong Enough“ kämpft der Theaterdarsteller und Jiu-Jitsu-Kämpfer gegen Stereotypen und die toxische Männlichkeit an und macht das in beeindruckend sanften und wundervoll produzierten Songs, die nur so vor Hitpotenzial strotzen. Was Escoffery mehr als je zuvor auf dem Album beweist: er hat den Soul! Gerade Songs wie „Forgotten Man“, „Soldier“ oder „Surrender“ strotzen nur so vor Gefühl, wie man es auch von den Größen aus den späten 60er- und frühen 70er-Jahren in Erinnerung hat. Ein Referenzwerk! 8/10 Kronen

Father John Misty - Anthem +3 EP
Der Bandcamp-Freitag, wo die Plattform für 24 Stunden all ihre Einnahmen zu 100 Prozent den Künstlern überlässt, die ihre Musik dort hochladen, macht es möglich: auch der große Father John Misty nützt (verständlicherweise) die Möglichkeit, in der Corona-Leere etwas Geld zu machen. Die 4-Track-Cover-EP „Anthem +3“ kommt unerwartet und willkommen zugleich. Tragende Säule ist natürlich der Titelsong, 1992 vom großen Leonard Cohen eingespielt, den Misty mit gewohnt stimmlicher Brillanz umzusetzen weiß. Die anderen drei Songs hat er schon früher gecovert. „Fallin‘ Rain“ von Link Wray, „Trouble“ von Yusuf/Cat Stevens und nochmal Leonard Cohen mit „One Of Us Cannot Be Wrong“. Hier liegt wirklich niemand falsch! Ohne Bewertung

Greg Foat - Symphonie Pacifique
In der britischen Jazz-Szene ist Greg Foat schon seit einiger Zeit eine fixe Konstante, die fortwährend mit hoher Qualität zu punkten weiß. In der sogenannten „New Jazz Szene“, die auch jüngeres Publikum anzieht, hat er es nicht zuletzt aufgrund seiner eklektischen und spannenden Soundmischung zu großer Beliebtheit gebracht. „Symphonie Pacifique“ könnte mit etwas Glück nun endlich das Album sein, das ihn auch wirklich aus dem Wulst an Mitbewerbern hervorhebt. Das liegt nicht zuletzt an den vermehrten Afrobeat-Einlagen, die dem Gesamtsound wunderbar zu Gesicht stehen, sondern auch an die verstärkte Öffnung Richtung Soul und Funk, was das Album zu einem immens kurzweiligen Hörvergnügen macht. Eine Stunde Jazz klang selten zugänglicher. 7,5/10 Kronen

Geld - Beyond The Floor
Holter-di-polter, da rumpelt’s im Karton. Geld ist ein Begriff, mit dem wir alle etwas anfangen können. Auf die Musik umgemünzt, wäre ich mir da nicht so sicher. Hinter dem lukrativ klingenden Bandnamen verbirgt sich ein Quartett aus den Untiefen Melbournes, das mit Kapitalismus oder Wertvermehrung garantiert nichts zu tun hat. DIY-Punk, Hardcore, harscher Metal und eine bedrohliche, richtiggehend ungemütlicher Atmosphäre versprühen die zwölf immens kurz geratenen Faustschläge, die im Boxrundentakt immer wieder radikal im Gesicht einschlagen. „Beyond The Floor“ ist nach ersten leichten Lebenszeichen das Debütalbum, mit dem Fans von Black Flag, Discharge, den Sex Pistols oder Darkthrone ihre helle Freude haben werden. So anarchisch und unkontrolliert hat schon lange nichts mehr geklungen. Pure Aggression! 7,5/10 Kronen

Haiyti - Sui Sui
Haiyti als weiblichen Money Boy zu bezeichnen würden viele als Ehrenbeleidigung auffassen, dabei ist es doch ganz anders gemeint. War der Boi in Österreich schon vor knapp zehn Jahren ein Pionier im eingedeutschten US-Rap, ist die als Ronja Zschoche geborene Hamburgerin die weibliche Pionierin des Cloud-Rap. Vor allem mit ihrem allseits gefeierten Zweitwerk „Montenegro Zero“ vor zwei Jahren gelang ihr der Spruch ins breitflächige Rampenlicht. Nach einem Labelwechsel lebt Haiyti nun in Berlin und entwickelt sich auf ihrem vierten Album „Sui Sui“ deutlich weiter. Die trägen Beats werden von ein paar interessanten Gästen verstärkt, vor allem aber hat Haiyti den Autotune-Effekt zugunsten einer größeren Pop-Lastigkeit zurückgeschraubt. In den durchaus ernsthaften Texten („SR&Q“, „Drogenfilm“) darf auch mal Gitarre gespielt werden. Haiyti ist auf „Sui Sui“ wesentlich zugänglicher als früher und baut ihre Genre-Vormachtstellung souverän aus. 7,5/10 Kronen

Henry Green - Half Light
Ambient, Deep House, Folk-Elemente - auf seinem Debütalbum „Shift“ hat der junge Brite Henry Green vor zwei Jahren einen ordentlichen Einstand abgeliefert. Trotz der Erfolge und Touren mit Nick Mulvey oder London Grammar hat der heute 24-Jährige die Abgeschiedenheit gesucht. So zog er von Bristol in das verschlafene Dorf Wiltshire, um sich sechs Monate auf seinem Dachbodenstudio für die Arbeit am Nachfolger einzusperren. „Half Light“ ist das eben deshalb so düstere und in gewisser Weise ausgewaschene Nachfolgeprodukt, das sich in seiner Verträumtheit gerne gängigen Normen entzieht. In den souligeren, R&B-lastigen Momenten in der Mitte des Albums klingt Green zugänglicher als früher, doch die Gemütlichkeit des Sounds steht stets über allem. 7/10 Kronen

Derrick Hodge - Color Of Noize
Man kann sich kaum vorstellen, dass Derrick Hodge einmal etwas als den Bass spielte, so behände und wirkungsvoll bedient er sein Instrument. Doch begonnen hat alles mit einer Gitarre, mittlerweile ist der Vollblutmusiker aus Philadelphia einer der allerbesten seiner Zunft. Auf sein drittes Blue-Note-Album „Color Of Noize“ mussten seine Fans geschlagene vier Jahre warten, den allzu großen Vorschusslorbeeren kann er schlussendlich aber auch nicht ganz gerecht werden. Die Fusion aus Jazz, R&B und Hip-Hop hat ihre Stärken gewiss in der kompositorischen Komplexität, verzettelt sich in Songs wie „You Could Have Stayed“ oder „Looking At You“ etwas zu sehr im Detailreichtum. Gerade dieses nicht festhalten können seiner Kunst kann zuweilen arg strapaziös werden. 6/10 Kronen

Honne - No Song Without You
So ganz konnte das britische Elektronik-Duo Honne die Vorschusslorbeeren des Debütalbums nicht halten. „Warm On A Cold Night“ katapultierte die beiden Londoner vor vier Jahren auf die spätnächtlichen Dancefloors und Electro-Radiostationen, aber der Nachfolger „Love Me / Love Me Not“ ließ es an der nötigen Dringlichkeit vermissen. Mit dem im Vorfeld kaum beworbenen Drittwerk „No Song Without You“ finden Andy Clutterbuck und James Hatcher aber wieder in die Spur und würzen warme Beats mit sphärischen Gesangslinien und einer ungemein warmen Soundatmosphäre. Die beiden bezeichnen das Werk selbst als Mixtape, das ist aber wohl nur ein kleines Detail, das man nicht wild analysieren muss. Wichtig ist, dass die Songs stimmen. Und das tun sie zumindest zu zwei Drittel sehr gut. 7/10 Kronen

Hum - Inlet
Manchmal passieren auch im Musikbusiness noch so richtige Sensationen. Das Alternative-Rock-Kollektiv Hum hatte 1995 (!) mit „Stars“ einen Mainstream-Hit in den USA und erfreute sich als Nachläufer-Band der Grunge-Welle auch hierzulande adäquater Beliebtheit. Danach gab es mehrere Auflösungen, Pausen, Reunions, aber dass es nun, nach geschlagenen 22 Jahren wieder ein ganzes Album geben würde, kann man getrost als „unglaublich“ bezeichnen. Die Angst vor einem Rohrkrepier weicht schon im Auftaktsong „Waves“, der sich schon space-rockig bewegt, die bleischweren Riffs wiederholt man auch bei „Desert Rambler“ oder „The Summoning“ mehr als geschickt. Matt Talbott und Co. klingen auf „Inlet“ wie aus der Zeit gefallen und lassen selige Smashing Pumpkins- oder Alice In Chains-Zeiten wieder aufleben. Ein wundervolles Comeback. 8/10 Kronen

Jayda G - Both Of Us/Are You Down EP
Mit ihrem Debütalbum „Significant Changes“ hat sich die in Kanada geborene Wahlbritin Jayda G letztes Jahr auf Anhieb auf die Dancefloors der angesagtesten Clubs gespielt. Da tut sie nur gut daran, in den schwierigen Corona-Zeiten eine EP nachzulegen, die die Künstlerin bei den beiden Titeltracks gleich von zwei Seiten zeigen. „Both Of Us“ ist ein sehr nostalgischer Dancetrack im klassischen House-Korsett, „Are You Down“ hingegen fällt wesentlich düsterer aus und fängt die Londoner Club-Szene ein. Zwei Remixes schließen das kurzweilige Vergnügen ab, das schon jetzt Lust auf viel mehr macht. Jayda G beherrscht ihr Metier perfekt. Ohne Bewertung

Jesu - Never EP
Justin Broadrick ist ein Grenzenverschieber im positivsten Sinne. Mit Napalm Death hat er schon früh den Grindcore geprägt, Godflesh sind Paten des Industrial Metal und seit knapp 20 Jahren erforscht er mit seinem Nebenprojekt Jesu die Randgebiete des progressiv-industriellen Klangspektrums. Die EP „Never“ kommt nach einer längeren Auszeit dennoch überraschend, aber keine Sekunde zu früh. Sieben Jahre nach dem letzten Lebenszeichen der Band mäandert Broadrick wieder zwischen träumerischen Klangsphären, eruptiven Ausbrüchen und überraschenden Soundwendungen hin und her. Das lebensverneinende Konzept könnte in der Form gut und gerne auch dem kruden Hirn Trent Reznors entstammen. Brüder im Geiste eben - von höchster Genialität. Ohne Bewertung

Keleketla! - Keleketla
Coldcut nennen sich die beiden Gründer des Indie-Labels Ninja Tune, mit ihrem Projekt Keleketla! (Setswanisch für „Antwort“) haben sie sich einen kleinen, globalen Traum erfüllt. Mit einem Musikerpool, der von London und New York über Südafrika und Nigeria bis nach Papua-Neuguinea reicht, bildet man ein diverses Kollektiv, das einerseits die Wohltätigkeitsorganisation „Place Of War“ unterstützt, und andererseits den klanglichen Groove von gleich vier Kontinenten vereinen möchte. Ein ambitioniertes Ziel, das aber mehr als famos umgesetzt wurde. Namen wie Shabaka Hutchings und der erst kürzlich verstorbene Tony Allen vermischen Jazz, Elektronik, Afrobeat und Ethno-Klänge zu einer Art flotter Jam-Session, die mit sehr viel Spaß und Esprit vermittelt wird. Vielseitiger und bunter wird heuer kaum mehr ein Album klingen. 7,5/10 Kronen

K.F.R - Nihilist
Kann man Verwesung hören? Ist es möglich, in die tiefsten Abgründe der Seele zu lauschen, nur um dort Unwohlsein und Tristesse zu finden? Der französische Alleinunterhalter Maxime Taccardi tut jedenfalls sein Bestes, um den Hörer mit seinem Projekt K.F.R möglichst tief in den mentalen Abgrund zu ziehen. „Nihilist“ kündigt schon im Titel die Richtung an. Eine Stunde lang hört man sein würgendes, verzweifeltes Gekeife, wird von Lo-Fi-Soundkaskaden umschmiegt und denkt dabei unweigerlich an eine desaströsere, dunklere Variante der letzten Nine-Inch-Nails-Instrumentals. Experimentell, dissonant und zermürbend ertönen die Tracks, die nur selten (so wie im Titeltrack) wirklich Fahrt aufnehmen. Wer auf Albträume und Horror steht, der muss hier zugreifen. 6/10 Kronen

Stu Larsen - Marigold
Es gibt sie noch, die immertourenden musikalischen Nomaden, die kein festes Dach über den Kopf haben. Einer davon ist der Australier Stu Larsen, der seit mittlerweile zwölf Jahren ohne festen Wohnsitz lebt und all die Empfehlungen der vielen Lebensberater längst in die Tat umgesetzt hat. Reisen heißt bei Larsen Kreativität und Kreativität kanalisiert er in bekömmliche Folk-Pop-Songs. Auf seinem neuen Werk „Marigold“ verarbeitet er eine gescheiterte Beziehung und schafft es dabei, ohne Verbitterung und Trauer sämtliche Klischees zu umschiffen. Die meiste Zeit musiziert er im Up-Tempo-Bereich und macht damit schon rein klanglich klar, dass sein Glas immer halb voll ist. Wer sich bei Beziehungsproblemen einmal nicht im Mitleid suhlen will, der ist hier goldrichtig. Australier sind halt immer noch die lockersten Typen unter der Sonne. 7/10 Kronen

Little Kid - Transfiguration Highway
Tief im christlichen Glauben sind Little Kid verwurzelt. Das Quartett aus Toronto ist hierzulande zwar noch nicht wirklich breitenwirksam bekannt, veröffentlicht auf dem neuen Label Solitaire Recordings aber bereits sein fünftes Studioalbum. „Transfiguration Highway“ ist so etwas wie die perfekte Sommerplatte, entführt sie den Hörer doch in imaginäre Welten endloser Landschaften, knisternder Lagerfeuer und Wildblumenwiesen. In Songs wie „All Night (Golden Ring)“, wo sich Sänger Kenny Boothby mit Banjo-Spielerin Megan Lunn stimmlich duelliert, tragen eine besondere Magie in sich. Das Album ist eine Sammlung von Geschichten über die rurale Gegend, den Schutz im Glauben und die Kraft der Familie. Ein aus der Zeit gefallenes Manifest, das für Gemeinschaft und Zusammenhalt einsteht. Hippies anno 2020. 7,5/10 Kronen

Marquess - Turbulento
Konstant belegen Marquess seit mittlerweile fast 15 Jahren die oberen Regionen in den deutschen Charts. Die Hannoveraner mit den spanischsprachigen Pop-Songs sind gerade wegen ihrem leichtfüßigen Zugang zu Pop nicht mehr aus der deutschsprachigen Musik wegzudenken. „Turbulento“ ist das neunte Studioalbum und treibt die Fans wieder in Scharen auf die Tanzflächen, um sich der Leichtigkeit des Sommers hingeben zu können. Gerade in prekären Zeiten wie diesen ist das Werk ein Statement für Müßiggang und das leichte Leben. Sich aus dem Alltag zu befreien, den Eskapismus zu suchen und sich auf eine imaginäre Reise zu begeben, das ist die oberste Prämisse, die Sänger Sascha Pierro und Co. mit „Turbulento“ vermitteln wollen. Alles wie gehabt, glattproduzier und hittauglich. Überraschungen muss man woanders suchen. 6/10 Kronen

Melt Yourself Down - 100% Yes
Was für ein Befreiungsschlag. Was für eine Frischzellenkur. Was für ein positives Statement. Melt Yourself Down sagen auf ihrem neuen Album „100% Yes“ und genau so klingen die zehn Songs, die mit unwiderstehlichen Rhythmen, profunden Ideen und einer bunten Stilvermischung für viel Sonne und gute Laune sorgen. Jazz, Funk, Avantgarde, Afrobeat und - ja! - sogar etwas Punk vermischen Saxofonist Peter Wareham und seine Mitstreiter in einen Guss der reinen Spielfreude. Space-Sounds finden mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit in den Songs statt, auch treibende Beats und moderne, elektronisch angehauchte Bässe lassen Songs wie „Crocodile“, „Every Single Day“ oder „Don’t Think Twice“ zu einem Spielfeld der natürlichen Experimentierfreude werden. „100% Yes“ ist nicht nur lebensbejahend, sondern tatsächlich mitreißend und grundoptimistisch. So ein Album braucht man derzeit mehr denn je! 8/10 Kronen

Denai Moore - Modern Dread
Ängste und Unsicherheit besingt die in Jamaika geborene und seit vielen Jahren im britischen Stratford wohnhafte Denai Moore auf ihrem dritten Album „Modern Dread“. Die stets negativen Nachrichten und das zwanghafte Social-Media-Verhalten gehen auch an Moore nicht vorbei, so dienen diese beiden Gebiete als inhaltlicher roter Faden für die elektronisch verstärkten R&B-Tracks, denen das Zeitgemäßsein als oberstes klangliche Prämisse dienen. Everything Everythings Alex Robertshaw produzierte das Album so modern und basslastig, dass es die lyrischen Themen möglichst kongruent mitträgt. Vor allem das sehr persönliche „Motherless Child“ und das intensive „To The Brink“ ertönen zuweilen etwas zu komplex arrangiert, beim Refrain in „Cascades“ lässt sie die Chance auf einen richtig großen Ohrwurm aus. Das wohl in vollem Bewusstsein. „Modern Dread“ ist ein Abbild der unsicheren Gegenwart, krankt aber etwas an zu verschachtelten Ideen. 6,5/10 Kronen

JPattersson - Mood
Beim Grazer Springfestival hätte JPattersson unlängst seine Österreich-Livepremiere geben sollen, das persönliche Stelldichein muss nun eben nachgeholt werden. Als Trost gibt es für alle Fans und jene, die es noch werden wollen „Mood“ zu bewundern. Seit 2015 zelebriert der Deutsche Johann Beger seine ganz eigene Form von elektronischer Tanzmusik. Electronica, Off-Beats und Dub hypnotisieren und paralysieren mit seiner markanten Trompete und dem träumerischen Gesang. Auf seinem dritten Album „Mood“ klingt das mal mehr nach Reggae, mal mehr nach 80er-Synthies und mal mehr galaktischen Soundkaskaden. Die Club-Dancefloors wird JPattersson mit diesem Werk auf jeden Fall zum Beben bringen - nur die Angst vor dem traditionellen Blasinstrument muss man im Vorfeld ablegen. 7,5/10 Kronen

Phoxjaw - Royal Swan
Bristol, dieser wunderschöne Ort für neue und innovative Musik, der sich überhaupt nicht um Grenzen oder Dogmen schert, sondern einfach draufloslegt. Egal ob im Grime-, Techno- oder Hip-Hop-Bereich - selbst im vom drohenden Aussterben betroffenen Metal/Rock-Gebiet macht die Kreativität im britischen Süden nicht Halt. Phoxjaw veröffentlichen nach zwei EPs mit „Royal Swan“ einen spannenden Erstling, der progressiven Rock mit melancholischer Indie-Kante und eruptiven Metal-Ausbrüchen verbindet. Das wirkt nur auf den ersten Augenschein hin schwer fassbar, denn eigentlich wissen Phoxjaw genau, was sie wollen: ein bisschen At The Drive-In, ein bisschen Cave-In, ein bisschen Gorgoroth (ja, auch!), ein bisschen David Bowie und ein bisschen Nightmare-Pop. Klingt schwer fassbar und obskur? Soll es auch! Spannend ist das allemal! 7,5/10 Kronen

Poltergeist - Feather Of Truth
Eine rauschende Silvesternacht vermischt mit etwas Midlife-Crisis - fertig war die Reunion Ende 2012. Knapp 19 Jahre nach ihrem Ende vereinigten sich die Schweizer Kult-Thrasher Poltergeist damals wieder und haben es seither auf zahlreiche Festivalauftritte und ein gutklassiges Comeback-Album gebracht. Mit „Feather Of Truth“ folgt nun das zweite Album seit der Wiederkehr und wird Fans der 80er-Helden wie Öl die Gurgel runterrinnen. Der Gesang von Frontmann André Grieder pendelt wie gewohnt zwischen Overkills Bobby Blitz und Tankards Gerre, die Gitarren sägen gerne im Mid-Tempo (etwa in der Anti-WK II-Hymne „Phantom Army“), das Schlagzeug ist auf Uffta gestellt. Wenn es mal weniger „Deutsch“ klingt, dann ist man „caught in a mosh“ wie einst bei Anthrax. „Feather Of Truth“ ist keine Innovation, macht aber uneingeschränkt Spaß. Mehr sollte man von den Althasen auch nicht mehr verlangen. 6,5/10 Kronen

Pop Smoke - Shoot For The Stars Aim For The Moon
Am 19. Februar 2020 drangen vier maskierte Männer um 4.30 Uhr morgens in Pop Smokes Anwesen in den Hollywood Hills ein und erschossen ihn im Zuge einer Home Invasion mit zwei Kugeln. Der selbst nicht skandalfrei lebende Rapper starb sofort im Alter von nur 20 Jahren. „Shoot For The Stars Aim For The Moon“, das lang erwartete Debütalbum, sollte grundsätzlich posthum erscheinen und kommt nun mit einigen Wochen Verspätung auf den Markt. Den finalen Schliff an der Produktion legte Pop Smokes großes Idol 50 Cent an, Features von Superstars wie Lil Baby, Future, Swae Lee, Roddy Ricch, Kargol G oder eben 50 Cent selbst veredeln diesen emotionalen und auch lyrisch tiefgründigen Abgesang auf ein viel zu früh aus dem Leben geschiedenes Top-Talent. 7/10 Kronen

Sofia Portanet - Freier Geist
Manchmal schreibt das Leben eben doch die schönsten Geschichten. Sofia Portanet ist genau am Tag des Mauerfalls in Berlin geboren - 30 Jahre später musiziert sie sich durch mehrere Generationen Neue Deutsche Welle und garniert dies mit internationalem Touch. Auf ihrem Debütalbum „Freier Geist“ wird sie all den großen Vorschusslorbeeren gerecht, die sie sich bei vielen Showcase-Festivals in den Medien erspielt hat. Punk, Synthie- und Dream-Pop vermischt sie völlig selbstverständlich in ihre klangliche Grundstruktur und schafft damit tatsächlich das Kunststück, zeitgeistig und zeitlos zugleich zu klingen. Gesungen wird auf Deutsch und Englisch, gefeiert entweder in der Rollschuh-Disco oder im düsteren Nachtclub. Ein kleines Underground-Juwel mit viel Potenzial! 8/10 Kronen

Powerwolf - Best Of The Blessed
Es entbehrt nicht einem gewissen Amüsement, dass sich die deutschen Powermetal-Hitparadenstürmer Powerwolf in den Pressemitteilungen zum 15-Jahre-Jubiläum und der hier vorliegenden Best-Of-Compilation „Best Of The Blessed“ selbst feiern, obwohl man für die Jubiläumsfeierlichkeit mehr als ein halbes Jahr zu spät dran ist. Wer sich weder daran, noch an der käsig-symphonischen Umsetzung der einzelnen Songs stört, der wird von den Saarländern einmal mehr mit einer ganzen Wagenladung an Hymnen und Hits beliefert. Neu aufgenommen wurden Gassenhauer wie „We Drink Your Blood“, „Army Of The Night“ oder „Where The Wild Wolves Have Gone“, aber die Unterschiede zu den Originalversionen sind überschaubar. Alles an diesem Werk riecht nach schnellem Ausverkauf und zwingendem im-Gedächtnis-bleiben-wollen in einer wenig lukrativen Businessphase. Ob man das Teil wirklich braucht, sei dahingestellt. Ohne Bewertung

The Real McKenzies - Beer & Loathing
Wahnsinn, auch die kanadischen Punker The Real McKenzies feiern bald schon ihren 30. Bandgeburtstag. Das Spaßkollektiv mit schottischen Wurzeln ist eine Institution im Fun-Punk und „Beer & Loathing“ auch scho das zehnte Studioalbum. Die Mischung aus typischem US-Punk, keltischen Chants und einer gehörigen Portion Melodie hat Frontmann Paul McKenzie und Co. schon länger eine gewisse Eigenständigkeit in einer durchaus vollen Szene verschafft, die wirklich guten Zeiten sind aber auch länger vorbei. Ob es eine gewisse Form von Altersmüdigkeit ist oder dieses Mal einfach die Kreativität fehlte - man weiß es nicht. Das Album ist jedenfalls redundant, spannungsarm und wenn man sich Pauls Gesangsleistung zu Gemüte führt auch leidlich unmotiviert ausgefallen. Positive Ausritte wie in „36 Barrels“ oder „Overtoun Bridge“ kommen viel zu selten vor. Schade, Chance verpasst. 4,5/10 Kronen

The Rentals - Q36
Bis zum Endprodukt war es schon eine schwere Geburt. Weezer Ex-Bassist und Gründungsmitglied Matt Sharp hat die Veröffentlichung des vierten The-Rentals-Album schon über Monate hinweg angekündigt, sich dann aber doch dazu entscheiden, seine Ideen Song für Song den digitalen Äther hochzujagen. Das vollständige Werk und erste seit sechs Jahren schafft es nun rechtzeitig zum Sommerbeginn in die Regale. Für „Q36“ hat er sich mit Yeah Yeah Yeahs-Gitarrist Nick Zinner und Produzent Dave Fridmann zusammengeschlossen, um seine krude zusammengewürfelte Vorliebe für E-Gitarren, Space Rock, eingängigen Pop, catchy Hooks, Dance-Beats und abgefahrene Riffsalven zu einem großen Zaubertrank zu verbinden. Das klingt genauso, wie es seine Intention ist: eine experimentelle Spielwiese für experimentierfreudige Vollblutmusiker, die sich jeglicher Kategorisierung entziehen. Macht Spaß, wird den Underground aber nicht verlassen. 6,5/10 Kronen

Robot Koch - The Next Billion Years
Der in Los Angeles lebende Kasseler Robert Koch ist ein Klangkünstler der Extraklasse. Auf seinem neuen Album „The Next Billion Years“ erschafft eine zeitlose Interaktion zwischen seinen elektronischen Elementen und zarten Streichern, die unter der Leitung des Esten Kristjan Järvi orchestral verbunden wurden. Inhaltlich stellt sich Koch die Frage, was die Zukunft für Mensch und Erde bringen bzw. bedeuten kann, animiert von einem Zufallstreffer. Er kaufte sich eine Kassette von Jean-Jacques Cousteau, der darauf in den 70er-Jahren eine nahezu perfekte Vorhersage für die Gegenwart tätigte. Koch war es ein Anliegen, die neofuturistische Vorgangsweise mit rein instrumentalen, klassisch-extraterrestrischen Songs zu skizzieren. Das erklingt majestätisch und erhaben wie ein Soundtrack für einen Hollywood-Blockbuster. 7,5/10 Kronen

Polly Scattergood - In This Moment
Zeiten und Prioritäten im Leben ändern sich, das ist im Endeffekt bei niemandem anders. Auch nicht bei der britischen Elektronik-Künstlerin Polly Scattergood, deren viertes Album „In This Moment“ deutlich von ihrer Mutterschaft geprägt ist. Intim und nachdenklich sind die zwölf verschiedenen Songkapitel ausgefallen, die sich um Wohl und Wehe des Mutterglücks drehen und genau in den wenigen Pausen aufgenommen wurden, in denen das Kind schlief. Bereits mit dem siebenminütigen Opener „Red“ führt sie die Gesetze von Raum und Zeit ad absurdum und erinnert angenehm an Kate Bush oder die jüngere Angel Olsen. Aber auch an Depeche Mode und Simple Minds fühlt man sich bei den einzelnen Songs erinnert, deren sanfte Piano-Klänge und das maschinelle Schlagzeug ein wundervolles Kontrastprogramm geben. „In This Moment“ ist ein emotionaler Herzöffner. 8/10 Kronen

Shroud Of Vulture - Upon A Throne Of Jackals
Der Laken des Geiers, das ist mehr oder weniger akkurat die Übersetzung des Bandnamens des harschen Quartetts aus Indianapolis. „Upon A Throne Of Jackals“ ist das längst fällige Debütalbum der Band, die mit ihrer Mischung aus zähflüssigem Doom und knarzendem Death Metal zumindest schon zu Underground-Ehren gekommen sind. Begräbnisstimmung herrscht auch auf den sieben düsteren Songs, die sich am liebsten kriechend durch die Gehörgänge wühlen und dabei gerne einmal die Messer auspacken, um Hammer, Amboss und Steigbügel ordentlich aufzukratzen. Incantation-Hörer werden hier mit Sicherheit Freude haben, auch Liebhaber des sphärischen Black Metal aus deutschen Landen könnten in Shroud Of Vulture ihr Seelenheil finden. Ein respektabler Einstand ist das Album allemal. 6,5/10 Kronen

Aleah Starbridge - Aleah
Die hier vorliegende Künstlerin war im skandinavischen Raum keine Unbekannte. Ihre Songs drehten sich vornehmlich um Tod und Verderben, Doom Metal und dunkle Gothic-Bereiche waren ihre klangliche Heimat. So arbeitete sie mit Tree Of Eternity oder auch mit Swallow The Sun und Amorphis. 2016 verlor Aleah Starbridge im Alter von 39 Jahren ihren Kampf gegen Krebs. Partner Juha Raivio hat ihr noch zu Lebzeiten versprochen, dass ihre Songs das Tageslicht erblicken würden, was er mit dem emotionalen Album „Aleah“ nun in die Tat umsetzte. Darauf hört man ihren einzigartigen Gesang auf neu komponierten, melancholischen und ungemein düsteren Stücken, die fast etwas Geisterhaftes an sich haben. Wirklich schwere Kost zu einem mehr als guten Zweck. Ein wundervolles Tondokument als Abgesang an eine Große ihrer Zunft. Ohne Bewertung

Selah Sue - Bedroom EP
Die Mutterschaft war schon beim famosen neuen Album von Polly Scattergood Thema, doch auch die belgische Hitparadenstürmerin Selah Sue durfte sich in den letzten fünf - musikfreien - Jahren über die Geburt von zwei Kindern freuen. Zum Comeback gibt es erst einmal nur einen viertelstündigen Appetizer namens „Bedroom“, den genau dort soll das Projekt nur einen Tag nach der Geburt von Kind eins seinen Anfang genommen haben. Dementsprechend glücklich und verträumt klingen die fünf Songs der R&B-Protagonistin, die in der Pause nichts von ihren Fähigkeiten eingebüßt hat. Schon Prince hatte einst ihre Songs gefeiert, auf „Bedroom“ beweist sie stimmkräftig, warum sich die Legende einst in sie verschossen hat. Freuen wir uns auf ein ganzes Album! Ohne Bewertung

Svärd - The Rift EP
Crossover-Projekte erfreuen sich in Zeiten der Seuche großer Beliebtheit. So ist Svärd nur auf den ersten Blick eine neue Band, denn dahinter verbergen sich honorige Szenekundige. Drei Musiker der Schweden von In Mourning und Ahab-Drummer Corny Althammer haben sich zusammengefunden, um das Eigengebräu „Psychedelic Metal“ ins Leben zu rufen. Natürlich wird die Musikwelt hier nicht neu erfunden und die Tracks changieren hauptsächlich zwischen hartem Stoner Rock und groovigem Sludge Metal. Groove ist dem Quartett ein besonderes Anliegen, der zieht sich nämlich durch alle fünf Songs des kurzen Stelldicheins. Die Vergleiche zu den großen Mastodon lassen sich vor allem beim prunkvollen Schlussstück „The Portal“ nicht leugnen. Debütalbum folgt angeblich in Kürze - gut so! Ohne Bewertung

Suzanne Vallie - Love Lives Where Rules Die
Die Künstlerin aus Kalifornien dürfte hierzulande nicht sonderlich bekannt sein und vermarktet sich auch im Internet bisweilen verbesserungswürdig. Vielleicht ist all das aber auch gelebtes Kalkül, denn Suzanne Vallie ist eine Freundin der Zurückgezogenheit, was sich auch in ihrer sanften Musik widerspiegelt. „Love Lives Where Rules Die“ ist in erster Linie schon einmal ein wirklich durchdringender Albumtitel, die musikalische Mischung aus Folk und Alt Country, aus Sharon Van Etten und Jesse Sykes versprüht eine fast schon mystische Atmosphäre. Inhaltlich dreht sich auf dem Album nicht alles um die Liebe, sondern es geht auch um Hunde, Surfer und das Übernatürliche. An der Westküste ist man eben ganz gerne mal verschroben. Vallie steht das gut zu Gesicht. 7,5/10 Kronen

A.A. Williams - Forever Blue
Feinschmecker erinnern sich bestimmt noch an den Dezember 2019, als die Schweden Cult Of Luna eines ihrer extrem raren Österreich-Konzerte in der Wiener Arena zum Besten gaben. Mit dabei war auch eine schüchterne junge Dame am Klavier, die in betuchter Finsternis elegische Stücke feilbot. A.A. Williams ist aus London und veröffentlicht - unterstützt von ihren schwedischen Mentoren - nun endlich ihr Debütalbum „Forever Blue“. In bester Chelsea Wolfe- und Emma Ruth Rundle-Manier regiert hier die Melancholie. Mal Neo-Folk, mal Gothic, mal schräger Dream Pop, dann auch wieder starrer Shoegaze oder sintflutartig-schwere Gitarrensalven. Zu einer Lana Del Rey fehlt Williams aber noch das Händchen für das Songwriting, für Chelsea Wolfe wirkt sie zu wenig sinister. Der Weg ist aber der richtige und im träumerisch-düsteren Dark-Folk-Segment kann man ihr gewiss eine große Karriere bescheinen. 7,5/10 Kronen

The Winter Passing - New Ways Of Living
„New Ways Of Living“ muss sich die Menschheit wohl so ganz im Allgemeinen bald überlegen, dafür gibt es auf der Welt längst mehrere Gründe. Das irische Indie-Emo-Quartett The Winter Passing hat sich diese Überlegungen bereits für das zweite Studioalbum gemacht. Das Lokalkolorit der Pub-Stadt Dublin hört man dabei nicht zwingend, vielmehr orientiert man sich an US-Bands wie American Football oder auch Weezer, die immer wieder durchscheinen. Die Vergleiche mit den Alternative-Heroen Sonic Youth sind nicht ganz nachvollziehen, dafür fehlt The Winter Passing der nötige Dreck unter den Fingernägeln. „New Ways Of Living“ ist aber eine sehr nachdenklich, rhythmisch stimmige Platte geworden, die der Band weitere Karriereerfolge bescheren sollte. 7/10 Kronen

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