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KW 25 – die wichtigsten Neuerscheinungen der Woche

Musik
20.06.2020 06:00

Musik als Lebenselixier - besonders für das Wochenende, wo man hoffentlich auch Zeit dafür hat. Wir haben für euch wieder die besten Alben und Veröffentlichungen der Woche zusammengesammelt. Quer durch alle Genres ist hier garantiert für jeden was dabei. Viel Spaß dabei!

(Bild: kmm)

Amnesia Scanner - Tearless
Zwei Finnen, die in Berlin leben und obskure Elektronik kreieren. Was klingt wie ein Nasstraum für die hippe Kreativszene im industriell gehaltenen Musikherzen Europas haben die beiden unter dem Banner Amnesia Scanner lebendig gemacht. „Tearless“ greift inhaltlich auf harten Stoff zurück, soll es doch ein „Schlussmachalbum mit dem Planeten“ sein. Es geht also um das Leben oder Dahinsiechen auf einem ohnehin zum Tode verurteilten Planeten. Neben Lalita hat man für einen Song übrigens sogar die aufstrebenden Hardcore-Innovatoren Code Orange gewinnen können, was dem dystopischen Treiben noch ein Stück mehr Dunkelheit verschafft. Im Zuge ihres noisigen Soundgebräus verlieren sich die beiden aber manchmal doch zu sehr im Experimentellen. Dass man vor allem in Hälfte zwei wie Trent Reznor auf Downers klingt, ist spannend, aber gewöhnungsbedürftig. „Tearless“ braucht Zeit, blüht dann aber immer besser auf. 7/10 Kronen

Atavist - III: Absolution
Gut zehn Jahre lang habe sich die britischen Sludge/Doomer Atavist aufgelöst gehabt, das Comeback vor knapp vier Jahren kam überraschend. Mitunter auch deshalb, weil Gitarrist und Songwriter Chris Naughton mit seiner Black-Metal-Band Winterfylleth nicht nur erst vor Kurzem ein Album veröffentlichte, sondern auch schon ordentlich Genre-Erfolge eingefahren hat. So gibt es 13 Jahre nach dem letzten Album nun mit „III: Absolution“ die logische Weiterführung der inhaltlichen und klanglichen Dystopie, die selbst das hierzulande so unstete Regenwetter noch einmal gewaltig trister erscheinen lässt. Die knappe Stunde Spielzeit teilt sich auf nur vier Songs auf, manchmal dürfen Samples, Streicher und ein Keyboard für Abwechslung sorgen, ansonsten ergießt man sich wimmernd im Verdruss. Bei dem Gros an Doom-Bands da draußen gibt es all das aber spannender, kurzweiliger und weniger zähflüssig. Das reicht lange nicht für die erste Liga… 5,5/10 Kronen

Austrian Apparel - AAPlus
Kann man sich die heimische Elektroniklandschaft eigentlich ohne Austrian Apparel vorstellen? Nein, natürlich nicht! Seit 2012 bespielen, bespaßen und begeistern die Wiener ihr ständiges wachsendes Publikum mit der Liebe zum Maschinellen, heißen Beats und vor allem unzähligen Synthie- und Drum-Machines, die den klassischen Laptop-USB-DJ dankenswerter Weise absurd erscheinen lassen. Nach Gigs beim Frequency, dem Urban Art Forms, dem Springfestival in Graz oder dem kroatischen Lighthouse war es nun aber wirklich Zeit für ein Debütalbum. „AAPlus“ sie nach „gefühlten Millionen Jahren“ Vorarbeit entstanden, wie Dominik Traun und Sebastian Wasner selbst gerne augenzwinkernd sagen, und wird niemanden enttäuschen. Vier Songs spiegeln dabei die Schönheit des Tages, weitere vier das Mystische der Nacht wider. Eben deshalb wurde auch einmal in vielen Studios und einmal in der leeren Grelle Forelle aufgenommen. Die füllt sich am 3. Juli bei der Release-Show jedenfalls - Karten sind alle weg. Aber es bleibt ja diese feine Platte. 8/10 Kronen

Aviva - Volume 1
Lady Gaga hat die Little Monsters, Insane Clown Posse haben die Juggulators und Slipknot haben ihre Maggots - die in Australien geborene und in L.A. wohnhafte Aviva nennt ihren harten Fan-Kern die Outsiders. Pop-Insidern ist sie längst ein Begriff, kann sie doch mittlerweile auf 1,5 Milliarden Streams auf allen Plattformen zählen und ihre Singles „Psycho“, „Blame It On The Kids“ oder „GRRRLS“ sprechen aus den Seelen einer ganzen Generation Teenager mit Selbstzweifel und Zukunftsängsten. Ihr Electro-Pop mit Emo-Referenzen passte auch gut ins Vorprogramm der allgemein boomenden Poppy, „Volume 1“ ist nun das längst fällige Debütalbum, auf dem die 26-Jährige all ihre Internet- und Radiohits bündelt. In Songs wie „Rabbit Hole“ oder „Drown“ zeigt sie eindrucksvoll, dass ihre Pop-Songs auch auf Langstrecke gut funktionieren. Es fehlt noch ein bisschen an der eigenen Note, aber für die Zielgruppe ist das Werk mehr als akkurat ausgefallen. 7,5/10 Kronen

Bad Cop/Bad Cop - The Ride
Bad Cop/Bad Cop zu heißen ist in Zeiten der „Black Lives Matter“-Proteste auch nicht die allerschlechteste Maßnahme. Die vier Frauen mit der Liebe zu melodischem Punkrock haben eben schon vor neun Jahren vorhergesehen, was ihre Klientel will. Nach dem Meisterwerk „Warriors“ hat es nun doch einige Zeit bis zum Drittwerk gedauert, aber „The Ride“ wird keinen langjährigen Fan enttäuschen. Wieder hat NOFX-Mastermind Fat Mike Hand an die Songs gelegt und lässt die Stacey Dee im rohen Glanz erstrahlen. Im Vergleich zu den Erstwerken lassen Bad Cop/Bad Cop die Wut in der Hosentasche stecken und konzentrieren sich auf die positiven Aspekte des Lebens. Kapitalismuskritik und feministische Hymnen im halbvollen Glas sozusagen. Das steht den vier Damen sehr gut zu Gesicht, denn die Riots gibt es mittlerweile im realen Leben - da kann man musikalisch ruhig auch mal Hoffnung verströmen. 7/10 Kronen

Gabby Barrett - Goldmine
Was jetzt genau Pop und was Country ist, da wird in den USA eine verschwindend kleine Grenze gezogen. Prinzipiell ähnlich wie zwischen Schlager und Pop in unseren Breitengraden, wenn man an Helene Fischer oder Vanessa Mai denkt. Gabby Barret, in diesem Jahrtausend geboren und als Drittplatzierte über „American Idol“ bekannt geworden, ist so etwas wie die zukunftsträchtigste Versprechung des US-Pop/Country-Marktes. Mit ihren Singles „The Good Ones“, „Got Me“ (mit Shane Shane), „Footprints On The Moon“ und vor allem „I Hope“ hat sie dortigen Charts ordentlich aufgeräumt und legt nun endlich das heiß ersehnte Debütalbum „Goldmine“ vor. Songs wie „Thank God“ oder „Jesus And My Mama“ zeigen eindrucksvoll, dass der eingängige und schmerzlose Sound auch im Bible-Belt geliebt werden wird. Geschickt bedient sie ihr Publikum und liefert 13 Songs mit Hitpotenzial. Der Welterfolg ist nur mehr eine Frage der Zeit. 7/10 Kronen

Pia Basey - Freex
Als Frontfrau der Rockband Giant Anteater kennt man Pia Unterlechner aus Tirol schon ein bisschen länger. Nach einer Supportshow von Mother’s Cake und dem Bekanntwerden mit dem dortigen Bandchef Yves Krismer erwuchs die Idee von etwas Größerem und Innovativerem. So folgte sukzessive die Umbenennung zur fiktiven Figur Pia Basey und erste Singles die eindeutig zeigten - in diesem Geist steckt viel Vielseitigkeit. So ist das Debütalbum „Freex“ tatsächlich eines der spannendsten und atmosphärisch dichtesten aus Österreich in diesem Jahr. Ein bisschen Post-Punk und New Wave in „Hey You“, Disco-taugliche Mainstream-Pop-Tracks wie „Freex“ oder „Rockstarrr“ mit Baseys souliger Stimme oder elektronische Klangexperimente mit düsterer Horroratmosphäre wie in „Mirror Mirror“ halten sich die Waage. Dort kommt sie den großen Idolen von Die Antwoord klanglich auch am nächsten. Spannend, versatil und vor allem anders - tut den Ohren gut. 8/10 Kronen

Beyond The Black - Horizons
Metaller aus aller Herren Länder rümpfen schon länger die Nase über Beyond The Black. Immerhin ist die Band rund um Frontfrau Jennifer Haben eine der allerersten, offiziellen Casting-Bands. Dementsprechend leicht war es, 2016 nach den ersten beiden Alben gleich einmal die ganze Mannschaft dahinter auszutauschen. Seither war Haben bei „Sing meinen Song“ im TV zu sehen und ihre Band hat die kommerziellen Bühnen im Sturm erobert. Mit dem vierten Album „Horizons“ wird sich daran nichts ändern, denn mehr als je zuvor wird der hymnische Symphonic-Metal á la ältere Nightwish mit schlichtem Pop so vermengt, dass es der Contra-Fraktion die Zehennägel aufrollt, die Pro-Fraktion aber geifernd der nächsten Liveshow entgegenlechzt. Balladen, Hymnen, epische Chorpassagen - alles, was die Karies-Fraktion im Metal so liebt. Ein Blick aufs Artwork macht auch sicher: hier geht es nicht um eine Band, sondern nur um die Sängerin. Am 2. Mai 2021 übrigens mit Amaranthe in der Wiener Arena zu Gast. Wer’s braucht… 5/10 Kronen

Braids - Shadow Offering
Vor fünf Jahren erschien das letzte Album der kanadischen Indie-Art-Poppper Braids, mehr als drei Jahre hat man am neuen gearbeitet - und dann kommt ein Virus und zerstört Promotion und Liveaktivitäten nach so viel akribischer Art mit einem Windzug. Aber gut - das traurige Schicksal hat das Trio nicht exklusiv, dennoch erscheint das famose „Shadow Offering“ zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Death Cab For Cutie-Gitarrist Chris Walla hat der Band jedenfalls eine maßgeschneiderte Produktion als Teppich für die weniger künstlerischen, dafür zugänglicheren und stärker im Indie-Pop mäandernden Songs gestrickt. Über allem steht wieder die eindringliche Stimme von Raphaelle Stendall-Preston, die so offen wie nie zuvor über Beziehungspech, Sex und zwischenmenschliche Verwirrungen singt, im neunminütigen Epos „Snow Angel“ aber auch gleich mal die Zukunft der Welt und ihre eigene Rolle darin hinterfragt. Eine weitere Progression einer der spannendsten Indie-Bands. 7,5/10 Kronen

Phoebe Bridgers - Punisher
Nach ein paar weithin beachteten Singles im Indie-Segment gelang der damals noch relativ unbekannten Kalifornierin Phoebe Bridgers 2017 mit dem Debütalbum „Stranger In The Alps“ ein fulminanter Durchbruch. Das blonde Multitalent hat den Karriereboost genutzt und seine Flügel auch in andere Richtungen ausgeschlagen. Etwa mit der Indie-Rock-Supergroup Boygenius oder mit Freund und Mentor Conor Oberst in Better Oblivion Community Center. „Punisher“ ist das zwischen Sommer 2018 und 2019 geschriebene, heiß ersehnte Nachfolgewerk des Solodebüts und brachte sie sogar aufs Cover des „NME“. Mit zarten 25 Jahren lastet nun die Zukunft des Indie Folk auf ihren Schultern. Mit ihrer sanften Stimme und Songs über Selbstfindung, Fernweh und Einsichten überzeugt sie aber meist auf voller Linie. Zwischen hauchzart („Graceland Too“) und episch-opulent („I Know The End“) bleibt auch ausreichend Platz für Zwischentöne. Am Schönsten tönt Bridgers immer noch, wenn sie sanft flüstert („Garden Song“) und das Tempo bewusst rausnimmt („Chinese Satellite“). Ein wundervolles Werk. 8,5/10 Kronen

Constellatia - The Language Of Limbs
Nigelnagelneu ist dieses Werk nicht, aber dank des Labelwechsels zu den Franzosen von Season Of Mist nun zumindest der westlichen Hemisphäre zugänglich. Constellatia stammen nämlich aus dem fernen Südafrika. Einem Land, mit dem wir maximal Die Antwoord und Howard Carpendale assoziieren, nicht aber atmosphärischen Post Metal, der gerne einmal in die harsche Schwarzwurzelei abdriftet. Genau das passiert nämlich auf „The Language Of Limbs“ die ganze Zeit. Immer wieder sorgt das Duo Gideon Lamprecht und Keenan Oakes für Spannung, indem man in den vier überlangen Songs die Tempi variiert oder einfach von einem (Sub)Genre zum anderen springt. Natürlich, Monotonie und Redundanz sind in diesem musikalischen Bereich allgemeingültige Behelfsmittel, aber die kühle, oft an Wolves In The Throne Room erinnernde Atmosphäre oder leidend-infernalisches Gekeife wie im Signature-Song „In Acclamation“ hat man schon wesentlich schlechter und langweiliger vernommen. 7/10 Kronen

JP Cooper - Too Close EP
„Too Close“ kann man sich in Tagen wie diesen relativ schnell einmal kommen, das weiß auch JP Cooper. Den Briten hat man hierzulande immer noch von diversen Liveauftritten und seinem starken 2017er Debüt „Raised Under Grey Skies“ in Erinnerung. Für einen Albumnachfolger wird es also längst einmal Zeit, aber um die Nachläuferzeit der Pandemie zu überbrücken, gibt es erst einmal ein paar neue Tracks auf dieser EP. Den Großteil kennt man ohnehin schon als Single-Auskoppelung. Etwa die lebensbejahende Up-Tempo-Nummer „Little Bit Of Love“ oder „Bits & Pieces“. Melancholischer wird es mit dem Titeltrack, der Cooper von seiner romantischen Seite zeigt. Dieser Appetizer auf das nächste Werk macht jedenfalls Lust auf mehr. Hoffentlich bald. Ohne Bewertung

Cro-Mags - In The Beginning
Ein Sieg nach Punkten - der gelang Harley Flanagan erst vor Kurzem gegen seinen einstigen Bandkollegen John Joseph um den Namen der Hardcore-Kultband Cro-Mags. Den darf jetzt nur Bandgründer Flanagan tragen, während der Kult-Sänger Joseph unter dem Banner Cro-Mags JM touren muss/darf. Bevor der Rechtsstreit beendet wurde, ging es zwischen den verschiedenen Camps sogar blutig her, jetzt sollten sich die New Yorker Raubeine rundum wieder auf die Musik konzentrieren. Flanagan tut dies mit „In The Beginning“, seiner persönlichen Wiedergeburt und dem ersten Cro-Mags-Werk seit 20 Jahren. Das Cover-Artwork, die Inhalte, selbst die Musik - alles deutet ganz klar auf Nostalgie hin. Flanagan hat einiges zu verarbeiten und zu verdauen, an die Zukunft kann man ja auch später denken. Überraschungen gibt es keine. Harte „In Your Face“-Songs zwischen Agnostic Front, Madball und den Bad Brains, dazu ein Gastauftritt von Motörheads Phil Campbell und Flanagans gepresster und leider extrem nervender Gesang prägen das Werk. Außer dem Kultfaktor glänzt hier relativ wenig. 6/10 Kronen

Drift. - Symbiosis
Nathalie Bruno hat schon zweimal musikalisch für Aufregung gesorgt. Einerseits mit ihrer 2015 auf einem italienischen Label veröffentlichten EP „Black Devotion“ und zwei Jahre später mit der zweiten EP „Genderland“. Das brachte ihr in elektronischen Indie-Kreisen erst Aufmerksamkeit ein und bescherte der motivierten Künstlerin zudem diverse Auftritte. Nun war es für Bruno wieder Zeit, sich in ihr Ostlondoner Studio zu verkriechen, um sich an ein neues Klangexperiment zu wagen. Unter dem Namen Drift. und vor allem inspiriert vom Buch „Die vierte industrielle Revolution“ von Klaus Schwab hat sie offenbar ebenjene für sich selbst ausgerufen. Deutlich inspiriert von elektronischen Krautrockpionieren wie Harmonia oder Cluster und diversen Pop-Avantgardisten baut sich „Symbiosis“ als versatiles Klangexperiment auf. Bruno spiegelt dort die Welt wider, wie sie derzeit in ihren Augen erscheint. Lässt sich wahrscheinlich auch gut zu Sportzigaretten hören. 6,5/10 Kronen

Eisregen - Leblos
Die Zeit rennt - das Thüringer Nekromantik-Kommando Eisregen gibt es heuer seit 25 Jahren. Eine fettes Jubiläumsfest in der Heimat Erfurt fällt Corona-bedingt ins Wasser, aber mit dem 14. Studioalbum „Leblos“ machen sich Michael Roth und Ronny Fimmel zumindest ein Geburtstagsgeschenk auf Polycarbonat. Von den wilden Perversitäten, die man in Alben wie „Farbenfinsternis“ oder „Wundwasser“ vernehmen konnte, ist man weit weg. Von einer Indizierung ist man - im Gegensatz zu den beiden Alben - nicht gefährdet. Überraschen werden vor allem ruhige Passagen wie beim Opener „Ruhet sanft“ oder „1000 Jahre Nacht“. Piano und Streicher sorgen wieder für viel Dark-Metal-Dramatik, die Texte drehen sich um gewohnt gustiöse Themen wie Nekrophilie, häusliche Gewalt oder Horrorfantasien. Völlig umsonst: die 4-Track-Bonus-CD mit Saufliedern unter dem Namen „Die räudigen Rennsteigrebellen“. Ansonsten ist das solide Eisregen-Kost, wenn auch doch entfernt von Großtaten vergangener Tage. 6,5/10 Kronen

Elen - Blind über Rot
In Berlin geboren und aufgewachsen, Schlagzeugerin in einer Schülerband, Beitritt zur deutschen Pop-Akademie, ein Zweitrundenerreichen bei „The Voice Of Germany“ 2011, Crowdfunding für das Debütalbum und Straßenmusikerin. Die 30-jährige Elen hat das A&O des Karrieretums in der deutschen Hipster-Hochburg mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen. Mittlerweile hat sie das Stadtleben gegen ein rurales Dasein eingetauscht und legt auf Universal Music ihr Majorlabel-Debüt „Blind über Rot“ vor. Das Album wird vor allem Fans des Deutschpop wie Öl die Kehle runterrinnen, denn hier werden Luftschlösser gebaut, hier wird in Frieden gelegen, es werden fünf Meter hohe Mauern überwunden und am Ende gibt’s ein „Happy End“. Was Elen vom Gros der Konkurrenz hervorhebt ist ihre rauchig-soulige Stimme, ansonsten ist alles nach Schema F komponiert und aus dem Textbausatzkasten zusammengestoppelt. Muss man nicht im Regal stehen haben. 5/10 Kronen

Firstborne - Firstborne EP
Zufall kann es natürlich keiner sein, dass Lamb Of Gods langjähriger Schlagzeuger Chris Adler die Debüt-EP seines neuen Projekts Firstborne genau am selben Tag veröffentlicht, wie sein ehemaliger Arbeitgeber das brandneue Studioalbum. Schlammschlacht gab es im Gegensatz zu anderen Bandtrennungen keine, das Timing lässt aber vermuten, dass ihm das Veröffentlichungsreingrätschen doch Spaß macht. Mit seiner Ex-Band hat das hier gar nichts zu tun. Firstborne spielen treibenden Heavy Metal mit Hard-Rock-Schlagseite und lassen neben Adlers Doublebasssalven vor allem Girish Pradhan am Mikro glänzen. Mit ex-Megadeth und ex-White Lion-Basser James LoMenzo ist noch ein zweiter große Name an Bord. Songs wie „Primordial“ oder - Nomen est Omen - „Anthem“ sind klassische Rock-Hymnen und machen kurzweilig Spaß. Warten wir aufs Album. Ohne Bewertung

Michael Franti & Spearhead - Work Hard & Be Nice
Wer ist eigentlich der beste Mensch der Welt? Der Dalai Lama? War es Mutter Teresa? Oder ist es doch Michael Franti? Der mittlerweile 54-jährige Kalifornier ist nicht nur Musiker, sondern auch Dokumentarfilmer, Humanist und Aktivist, der mit seiner Frau und einer gemeinnützigen Organisation Kranken und Kindern hilft, auf Bali ein Reha-Hotel gebaut hat, inspiriert von seinem Sohn vegan lebt und seit dem Jahr 2000 fast ausschließlich barfuß unterwegs ist. Alle paar Jahre erfreut er mit seiner Band Spearhead die Fans mit seiner Mischung aus Reggae, Dancehall, Pop, Hip-Hop und Funk. „Work Hard & Be Nice“, Albumtitel und Lebensmotto Frantis, ist gleich 17 Songs stark und lässt bei Songtitel wie „Good Shit Happens“, „Start Small Think Big“, „Walking Into The Sun“ oder „I’m On Your Side“ keine Fragen offen, wohin die Reise geht. Wenn die Sonne sich draußen schon bitten lässt, dann lassen wir sie eben hier rein. Die Platte macht garantiert glücklich. 7/10 Kronen

Max Giesinger - Die Reise (Akustik)
Die Auszeit vom Konzertstress hat auch dem deutschen Popstar Max Giesinger durchaus gutgetan, wie er unlängst in diversen Interviews verriet. Einerseits gibt er die in Deutschland so populär gewordenen Autokino-Konzerte, andererseits erscheint dieser Tage die lange angekündigte Akustikversion seines 2018er-Albums „Die Reise“. Akustikgitarren statt E-Klampfe, zartes Klavier und melancholische Streicher statt austrabende Keyboard-Klänge. Im „MTV Unplugged“-Style (mit etwas mehr Rumms im Gesamtergebnis) hat der Millionenseller seine Songs zurückgeschraubt und gewährt dem Hörer damit eine besondere Intimität. Dass sich dieses Album sehr stark um das zur Ruhe kommen und Ausrasten dreht, sorgt für einen ungeplanten Corona-Pandemie-Touch. Ohne Bewertung

Hail Spirit Noir - Eden In Reverse
Die Geschichte des Garten Eden von hinten aufrollen. Einen darwinistischen, an Richard Dawkins angelehnten Ansatz zu verwenden und ihn möglichst weit durchzuziehen, das war die oberste Prämisse für das vierte Album von Hail Spirit Noir. Die Griechen fertigen seit zehn Jahren einen höchst eigenständigen Sound, der sich zwischen Prog Rock, Krautrock, Psychedelik und Black Metal beheimatet fühlt. „Eden In Reverse“ ist dabei mehr denn je in den Experimentalphasen der 80er-Jahre verankert. Orgeln, Synthies, Samples und alieneske Klänge wechseln sich kongruent miteinander ab und erschaffen eine düstere und maschinelle Atmosphäre. Besonders in Tracks wie „Incense Swirls“ oder „The First Ape On New Earth“ bekommt man ein untrügliches Gefühl, für diese Soundverquerung aus Oranssi Pazuzu, Ulver und Dödheimsgard mit etwas Geisterbahn-Feeling. Ein wuchtiges, zweifellos aber auch etwas obskures Klangerlebnis. 6,5/10 Kronen

Haken - Virus
Der Experimentierfreudig waren bei Haken auf dem letzten Album „Vector“ vor zwei Jahren keine Grenzen gesetzt. Die britischen Progger wagten sich gar in 80s-Pop-Sphären vor und bewiesen eindrucksvoll, dass sie keinesfalls Berührungsängste mit stilfremden Gebieten verspüren. Der relativ schnell nachgeschossene Nachfolger „Virus“ knüpft konzeptionell an den großen Banderfolg „Cockroach King“ an, zeigt sich musikalisch aber wieder wesentlich solider. Wirklich melancholisch und balladesk wird man nur im abschließenden „Only Stars“, ansonsten beweist das Sextett sehr gerne, dass es mittlerweile bessere Songs schreiben kann als Dream Theater („Carousel“) und partiell sogar einer rumpelnden Groove-Thrash-Band wie Gojira („Prosthetic“) Konkurrenz machen kann. Die Verbindung aus eingängigem Klargesang und eruptiven Ausbrüchen halten sich zudem wunderbar die Waage. Die Reorientierung zum basischen Sound tut der Band gut! 7,5/10 Kronen

Jinka - No Anything Else
„Trash From The Past“ hieß der Song, drei Jahre ist das nun ungefähr her und aufmerksame Pop-Fans mit guten Zugängen auf diversen Social-Media-Plattformen haben da schon bemerkt, dass sich gerade ein besonders funkelnder Rohdiamant im Feinschliff befindet. Jinka ist eigentlich aus dem gruseligen Transilvanien, macht aber gerade aus dem Hipster-Zentrum Berlin heraus große Karriere. Und das ist nicht nur so dahergesagt. Ihr Debütalbum „No Anything Else“ mag die 30-Minuten-Grenze nur minimal überschreiten, doch der Ideenreichtum und das Hitpotenzial auf den Electropoptracks ist mehr als enorm. Hinter den breit ausgelegten Synth-Teppichen bleibt ihr genug Raum, um in Songs wie „Love Your Money“ oder „25 Minutes“ über das Erwachsenwerden, Hedonismus und ihre Wahlheimat zu singen und dabei absolut international zu klingen. Das klingt in den allerbesten Momenten so, als würden sich Grimes, Lady Gaga und Charli XCX zur Polsterschlacht treffen. Den Underground-Status wird Jinka sehr bald verlieren. 7,5/10 Kronen

Juse Ju - Millennium
Juse Ju ist eine ganz besondere Erscheinung in der deutschen Rap-Landschaft. Einerseits ist er in so verschiedenen Ecken der Welt wie Yokohama, Tokio und El Paso aufgewachsen, bevor er in Berlin landete. Andererseits reüssiert er seit längerem nicht nur als beachteter Battle-Rapper und Musiker, sondern auch als Moderator, Autor und Redakteur. Die große Leidenschaft Justus Hütters ist freilich der Rap, was er auch auf seinem mittlerweile fünften Werk „Millennium“ gewohnt markant beweist. Vielseitig und aggressiv wie eh und je spricht er Wiens Vizebürgermeisterin Birgit Hebein bei „Ich hasse Autos“ aus der Seele, will eine Psychatrie in die Luft jagen („TNT“) oder kann die Wut in einer toxischen Liebe („Claras Verhältnis“) nicht mehr zügeln. Rap mit Inhalt, Technik und Drive - würde auch vielen anderen gut stehen. 7,5/10 Kronen

M185 - Product
In der österreichischen Indie-Szene sind M185 schon seit vielen Jahren eine Konstante. 2012 hat es sogar für einen „FM Amadeus“ gereicht, was angesichts des spannend-gitarrenlastigen Zugangs, der mit etwas Fantasie auch in den Math Rock ausschlug, schon verdient war. Vergangenheitsform deshalb, weil man auf dem neuen Album „Product“ durchaus zeitgeistigere Strömungen zulässt und verstärkt auf Elektronik setzt. Der Synthie-Anteil wurde gewaltig in die Höhe geschraubt, was für langjährige Fans vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig wirken mag, aber der Band eine frische und spannende Note verleiht. Die poppigere Zugangsweise steht M185 gut zu Gesicht, wiewohl man sich natürlich einen Dreck um bedingungslose Eingängigkeit schert. Doch die deformierte Sexyness von Songs wie „Chew“ oder „When I See It“ ist nicht zu verachten. 7/10 Kronen

Marthe - Sisters Of Darkness EP
Auf dem elektronischen Drum-Kit im Schlafzimmer prügelt so mancher gerne herum, wenn es langweilig ist oder man üben muss. Daraus gleich eine ganze EP zu machen, auf diese Idee kam Marzia aus Bologna. Die ist in der dortigen Horror-Rock- und Punk-Szene in Bands wie Kontatto And Tuono und Horror Vacui unterwegs und hatte schon länger Lust, selbst was auf die Beine zu stellen. Also spielte sie tatsächlich daheim alle Instrumente selbst ein und legt nun eine - etwas lange - 4-Track-EP namens „Sisters Of Darkness“ vor. Die bekennende Antifaschistin und Feministin besingt darauf die Schönheit der Natur, die Tücken der Selbstfindung und in versteckter Form auch politische Strömungen. Dass Tracks wie „Married To A Grave“ oder „Ave Mysteries“ nach einem Plastikkübelgeprügel anno 1987 klingen ist wohlmeinendes Kalkül. Ihrem Heavy/Doom-Metal mengt sie viel Liebe zur Bathory bei und das soll möglichst authentisch sein. Macht durchaus Spaß! Ohne Bewertung

Melvins/Mudhoney - White Lazy Boy EP
Ach wie schön, wenn die alten Legenden sich wieder zusammentun. Die legendären Melvins rund um Frisurenwunder Buzz Osbourne sind sowieso ständig umtriebig, aber auch die Seattle-Grunge-Legende Mudhoney haben in den letzten Jahren wieder ordentlich an Fahrt aufgenommen. Nun hat man sich zusammengetan, um spontan eine 4-Track-EP namens „White Lazy Boy“ einzuhämmern. Darauf befinden sich zwei wertige Eigenkompositionen namens „Walking Crazy“ und „Ten Minute Visitation“, die Chaos, Schmutz und bewusste Imperfektion beider Interpreten perfekt miteinander verbinden. Außerdem covert man noch zwei Idole. Einerseits Black Flag („My War“) und - diese Woche sehr passend - Neil Young mit „Drive Back“. Macht Spaß und verkürzt die Wartezeit auf weitere Großtaten. Passt! Ohne Bewertung

Miea - Chaos And Perfections
Im Zeitschinden sind sie Weltmeister. Miea packen auf ihrem ohnehin nur 35 Minuten kurzen Zweitwerk „Chaos And Perfections“ am Ende einfach mal ein zehnminütiges Instrumental als Outro. Ob man das Ganze dann wirklich noch als Album verkaufen kann? Muss jeder selbst für sich entscheiden. Auch musikalisch kommen die Tschechen nie wirklich aus der Verteidigungslinie heraus. Man würde gerne in einem Atemzug mit Black Sabbath, Trouble oder Tool genannt werden, doch die Songs mäandern meist glanz- und spannungslos vor sich hin. Frontmann Miki Hank müht sich am Mikro redlich ab, um etwas Pete-Steele-Atmosphäre zu erzeugen, dahinter wird munter über die Instrumente gegrätscht, ohne auch nur ein einziges Mal für Aufregung zu sorgen. Bei den Pragern herrscht auf jeden Fall mehr „Chaos“ als „Perfection“. 3,5/10 Kronen

Jason Mraz - Look For The Good
Unlängst eine Unterhaltung mit der besseren Hälfte auf dem regnerischen Weg nach Ernstbrunn, während Radio Wien lief. „Wer hört sich eigentlich Jason Mraz an?“ - „Niemand. Der ist dafür gemacht, Radiosingles zu produzieren, aber so jemand hört doch niemand wirklich.“ Das stimmt natürlich nicht so ganz, denn der sympathische Vollblutmusiker aus Virginia hat sich mit der 2008er Single „I’m Yours“ längst einen Platz in den Hitparadenbüchern gesichert. Wie sein Kumpel James Blunt, mit dem er im Herbst übrigens planmäßig auch auf US-Tour gehen sollte, ist Mraz mit seinem bekömmlichen Sound nur allzu gerne Angriffsziel von gemeinen Schmähs und Respektlosigkeiten. Dabei ist „Look For The Good“ eigentlich ganz kurzweilig und bekömmlich. Die meisten Songs sind sehr Reggae-lastig und gehen nach dem Labelwechsel eindeutig zurück in seine Frühtage, was ihm ganz gut zu Gesicht steht. Weniger Jazz, dafür mehr Brass und durchgehend lebensbejahende und optimistische Texte. Ja warum denn auch nicht in solchen Zeiten? 7/10 Kronen

Mushroomhead - A Wonderful Life
„A Wonderful Life“ versprechen die Maskenträger von Mushroomhead und warten schon am Cover-Artwork mit allerlei hässlichen Fratzen auf. Gut, düster zugegangen ist beim auch schon fast 30 Jahre beständigen Kollektiv aus Cleveland schon immer, doch während die Millenniums-Erfolgsbands Slipknot und Korn ihre Erfolge aus der Vergangenheit mehr oder weniger gut in die Gegenwart transferiert haben, treten die Schwammerlköpfe schon länger auf der Stelle. Das „wir nehmen alles, was sonst keinen Platz mehr hat“-Haus-und-Hof-Label Napalm Records gab ihnen nun Unterschlupf, um das erste Album seit sechs Jahren einzuspielen. Darauf befindet sich gähnende Langeweile, gewürzt mit fader Redundanz und kompositorischer Ideenlosigkeit. Schon nach drei Songs ist das Retro-Gebolze so mürb, dass man am liebsten abdrehen möchte - wer gerne leidet, der kann sich inkl. Bonustracks 68 Minuten lang durch schwachem Nu-Metal kämpfen. 2/10 Kronen

Nea - Some Say EP
Es ist jungen Künstlerinnen wie Zara Larsson zu verdanken, dass man bei „Pop in Schweden“ nicht automatisch an die 70er- (ABBA) oder 90er-Jahre (Roxette, Ace Of Base) denkt, sondern sich in der Gegenwart aufhalten kann. Für Larsson, aber auch die finnische Durchstarterin Alma hat die junge Schweden bislang Songs geschrieben, mit „Some Say“ zeigt sie nur erstmals auch ein eigenes Lebenszeichen. Die gleichnamige Single war schon ein veritabler Erfolg, was einerseits daran liegt, dass die junge Künstlerin Eiffel 65s 1998er-Kulthit „Blue (Da Ba Dee)“ integriert hat und der Nummer selbst mit betörender Akkuratesse eine schöne Farbe gibt. Auch „Dedicated“ und „Drunk Enough To“ zeigen ganz gut, warum mit Linnea Södahl, so ihr echter Name, bald breitflächiger zu rechnen sein wird. Schöner, zeitgeistiger Mainstreampop mit viel Potenzial. Ohne Bewertung

New Found Glory - Forever + Ever x Infinity
Ihr denkt, Wunder gibt es nicht? Falsch! Zum Beispiel hätte ich keinen Cent mehr darauf gesetzt, dass New Found Glory aus Florida jemals wieder spannend werden könnten. In der Hochzeit des Pop-Punk rund ums Millennium gelang ihnen mit Alben wie „Nothing Gold Can Stay“ oder „New Found Glory“ große Genre-Kunst, doch je mehr Jahre ins Land zogen, umso langweiliger, vorhersehbarer und poppiger wurden die ewigen Jugendlichen aus Florida. Und plötzlich, am zehnten Album und im 24. Jahr des Bestehens der große Knall. „Forever + Ever x Infinity“ kracht aus allen Lagen. Das ist Pop-Punk allererster Güte mit zig Ohrwürmern („Greatest Of All Time“, „Nothing To Say“, „Same Side Sitters“), harten Hardcore-Austrieben („Himalaya“) und nostalgisch anmutenden Krachern („The Way You Deserve“). Da übersteht man auch die leidige Ballade „More And More“. New Found Glory gelingt das Album, das Blink-182 wohl nie mehr schaffen wird. Wobei - sag niemals nie… 8/10 Kronen

Owen - The Avalanche
Mit der Band American Football schrieb Mike Kinsella über Jahre hinweg Emo-Geschichte, doch unter dem Namen Owen ist er seit knapp 20 Jahren auch solo unterwegs. Dort findet er Zeit und Raum, um den sanfteren Tönen Vorrang zu lassen und auch aus seinen persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen zu erzählen. Als jemand, der die feine Klinge an sich beherrscht, ist dieses Projekt quasi die Süßkirsche auf der entschlackten Glasur. Auch auf „The Avalanche“ führt uns Kinsella wieder nun Songs lang tief in seine Psyche und verwendet akustischen Indie-Rock als Plattform für die Seelenbereinigung. Zwischen Resignation („I Should Have Known“), Depression („Dead For Days“) und Inklusion mit sich selbst („I Go, Ego“) bleiben genügend Momente der Selbsterkenntnis, die manchmal schwermütig, manchmal aber auch etwas optimistisch erklingen. „The Avalanche“ bezieht seine Stärke aus der Schwäche des Interpreten. Ein bleierner Seelenstriptease. 7,5/10 Kronen

Pabst - Deuce Ex Machina
Ja, wir haben es an anderer Stelle in dieser wöchentlichen Kolumne schon analysiert - mehr als 25 Jahre nach dem Freitod von Kurt Cobain finden Nirvana wieder überdimensional Einzug in die Popkultur. Als Epigonen der großen Seattle-Grunger versuchen diverse Internet-Blogs auch die Berliner von Pabst einzuordnen. Das ist unfair und falsch zugleich. Klar, ein Song wie „Useless Scum“, der knarziges Geschrammel mit schönen Melodien verbindet, rückt den Grunge-Legenden ziemlich nahe, doch wer sich Nummern wie „Ibuprofen“, „Legal Tender“ oder „Hell“ genauer anhört, der wird auch Garage-, Surf- und Fuzz-Rock-Einflüsse finden, die weitaus mehr Gewicht haben als der etwas zu einfach gezogene Vergleich. „Deuce Ex Machina“ ist nach dem starken Debüt „Chlorine“ aber schon das zweite wirklich starke Album einer Band, die sich zumindest nicht um Trends schert. Ein neues „Nevermind“ - lächerlich! Ein starkes Werk - auf jeden Fall! Am 17. Dezember sollten sie, wenn Corona will, ins Wiener Flex kommen. Unverständlicherweise nur im Vorprogramm von Itchy. 7,5/10 Kronen

The Path Of Memory - Hell Is Other People
Eine „Legende aus dem Black-Metal-Sektor“ soll sich hinter The Path Of Memory verbergen, verkündet zumindest die erwartbar vollmundig geschriebene Presseinfo. Dass das Album auf dem Underground-Spartenlabel Iron Bonehead erscheint, verstärkt die These zumindest, dass hier die Fakten soweit stimmen. „Hell Is Other People“ hat mit Schwarzwurzel-Krach aber überhaupt nichts zu tun, sondern findet sein Seelenheil in Melancholie und romantischer Elegie. Darkrock ist angesagt und der wird durchaus adäquat vorgetragen. Rope Sect, Idle Hands und sogar etwas End Of Green lassen sich als Vergleich heranziehen. Das tiefe Organ des Frontmanns trifft auf Goth-Rock-Gitarren der Marke mittelalte Sisters Of Mercy und erschafft in manchen Songs („A Thousand Days And Nights“, „Locked Away“) das beklemmende Gefühl der Isolation. In nur 35 Minuten leidet sich der Protagonist durch die Tücken des Daseins - und kann dabei durchaus reüssieren. 7/10 Kronen

Phantom Planet - Devastator
Ach wie unbeschwert waren die Zeiten, als man sich vor knapp 20 Jahren auf „O.C. California“ freute und am Wochenende im Freundeskreis über die vielen Probleme und Dramen im Kreis der Schönen und Reichen diskutierte. Eingeleitet wurde die erfolgreiche US-Serie vom Indie-Hit „California“ von Phantom Planet, die sich damit nach einem eher zaghaften Karrierebeginn schnell in die Aufmerksamkeit des Genre-Publikums katapultierten. So richtig gelang der Durchbruch dann aber nie, es folgten zwei Auflösungen und zwei Reunions, wobei die aktuelle mit „Devastator“ das erste Album nach zwölf Jahren an die Oberfläche schwappen lässt. Frei nach Bob Dylan: The Times They Are A-Changin. Nur wenige Tracks („Through The Trees“, „Only One“) weisen Spannung auf, der große Rest plätschert ereignislos und matt dahin. Eine eher mürbe Vorstellung und eine große verpasste Chance. Aber uns bleibt ja noch die Nostalgie. 4,5/10 Kronen

Protest The Hero - Palimpsest
Man weiß gemeinhin, dass im Prog-Segment die Perfektion ein wichtiges Stilmittel ist. Schließlich geht es bei Bands wie Dream Theater, Tangerine Dream und Co. auch darum, im inneren Zirkel respektiert und für seine technischen Fertigkeiten wahrgenommen zu werden. Ob die kanadischen Chart-Stürmer Protest The Hero deshalb gleich sieben Jahre gebraucht haben, um endlich wieder neue Musik zu veröffentlichen? Sänger Rody Walker wurde in der Zeit aber auch Vater, richtete sich ein Studio ein und verlor für eine Zeit lang seine Stimme. Keine leichten Vorzeichen für das rundum gelungene Werk. „Palimpsest“ ist nicht emotional, sondern politisch angelegt. Die ADHS-Kompositionen rauschen im thrashigen Hochtempo durch die Gehörgänge und verzichten trotz aller Frickeleien nicht auf Rhythmen und Melodien. Songs wie „From The Sky“ oder „The Fireside“ lassen auch mehr Platz für Pop-Elemente. Nicht für jedermann, aber stark wie immer. 7,5/10 Kronen

The Rite - Liturgy Of The Black
Supergroup im Underground. Ist das nicht ein Oxymoron? The Rite lassen sich jedenfalls gerne als solches bezeichnen, verknüpfen sich hier doch der Sänger der dänischen Old-School-Frequenzrauschband Denial Of God mit italienischen Musikern aus Bands wie Krossburst oder Black Oath. Szeneinsider wissen natürlich schon, was es damit geschlagen hat. Ein treibender Bastard als rohem und bewusst alt gehaltenem Black/Death Metal mit Doom-Referenzen. Wobei das mit den Referenzen nicht so ganz stimmt, denn die Leere der Entschleunigung ist den Musikern auf „Liturgy Of The Black“ besonders wichtig. Das klingt mal mehr nach Saint Vitus („Necromancy“) und mal mehr nach schleppenden alten Darkthrone („Famadihana“). Das 80er-Feeling wird mit Uffta-Schlagzeug und gruseliger Atmosphäre stilecht verstärkt. Ein Festschmaus für rohe Puristen. 7/10 Kronen

Serment - Chante, Ô Flamme de la Liberté
Das Heulen der Eulen drängt sich in den Vordergrund, der Wind bläst durch die Äther. Man hört Pferdegetrampel und sieht, wie sich üppige Nadelbäume bedrohlich vor einem aufbauen. Dazwischen herrscht viehisches Blastbeat-Gepoltere, heiseres Kreischen und ein atmosphärisches Drumming, das von kühlen Riffs verstärkt wird. Australier wie Austere oder Naxzul waren immer besonders gut, wenn es um wildtreibend-atmosphärischen Black Metal ging, die Kanadier haben längst aufgeholt. Serment ist ein brandneues Projekt des Forteresse-Musikers Moribond, der in seinem opulenten Konzeptwerk von einer Familie im verschneiten Quebec erzählt, die den Pakt mit dem Teufel eingeht und dabei vom Schnee der Gezeiten verschlungen wird. Das ist Ambient-Black-Metal in seiner besten, weil eindringlichsten Form. Ein Meisterstück epischer Tragweite. 8,5/10 Kronen

Sombre Héritage - Alpha Ursae Minoris
Kanada - das Land der unendlichen Weite, des Ahornsirups, der Nationalparks und weitreichenden Seen. Kanada ist aber auch das Land des epischen Black Metals. Unzählige Bands sprießen dort seit Jahren wie Pilz aus dem Boden und liefern ein Highlight nach dem anderen ab. Nichts anderes sind Sombre Héritage, das Ein-Mann-Projekt von Hak-Ed-Damm-Gitarrist Exu. Den längst schon markenträchtigen Quebec-Sound vollführt er mit leidenschaftlicher Inbrunst. Melancholische, meist im Mid-Tempo getragene Songs, die klirrend-kaltes Leid erschaffen und vom schmerzenden Gesang des Alleinunterhalters noch schwerer werden. Erst gegen Ende zieht Exu die Geschwindigkeitsschraube noch einmal ordentlich an und hinterlässt den Hörer mit offenem Mund. Eines der besten Genre-Releases in diesem Jahr. Ein Manifest bewaldeter Kälte. 8/10 Kronen

Someone - Orbit II
Hinter dem eher schwer zu googelnden Pseudonym Someone steckt die in Amsterdam lebende Britin Tessa Rose Jackson, deren Musikverständnis sich nicht nur auf den bloßen Klang beschränkt. Ihre letztjährige Debüt-EP „Orbit“ veröffentlichte sie auf ungewöhnliche Art und Weise: über eine Augmented-Reality-Kunstausstellung und eine Smartphone-App, die es den Besuchern ermöglichte, in ihre farbenfrohe und psychedelische Welt einzutauchen. Das Debütalbum hat sie schlichtweg „Orbit II“ betitelt und wird wohl ebenso kreativ aufbereitet sein. Musikalisch vermischt sie sanften Pop („Playground Love“) mit groovigem Soul („Once More, With Feeling“) und akzentuierter Elektronik. Die Songs knistern mit warmer Instrumentierung und drehen sich vorwiegend um Sex, Liebe und Zweisamkeit. Zwei, drei Füller weniger hätten es im Endeffekt aber auch getan. 7/10 Kronen

Switchfoot - Covers EP
Es ist kein neuartiges Phänomen, dass so manch amerikanische Rockband in ihrer Heimat einen gottähnlichen Status hat, in Europa aber gerade einmal bessere Clubs füllen würde. Zu den bekanntesten Vertretern dieser Zunft zählen Switchfoot aus San Diego, die in ihrer Heimat seit mehr als zwei Dekaden die Rockcharts dominieren, hier aber nur Insidern ein Begriff sind. Grund für den Erfolg ist die Zugänglichkeit der Kalifornier. Das ist auch auf der während der Corona-Krise in den jeweiligen Heimstudios eingespielten Spaß-EP „Covers“ nicht anders. Einerseits covert man The Verves Kultsong „Lucky Man“, wagt sich aber auch an moderne Chartstürmer wie Harry Styles, Frank Ocean oder The Chainsmokers. Frei nach dem Motto „Grenzen sind da, um eingerissen zu werden“, verkürzen Switchfoot für gut 20 Minuten langweilige Tagesphasen. Passt so. Ohne Bewertung

Teyana Taylor - The Album
Das wichtigste Album der Woche kommt wohl von R&B-Queen Teyana Taylor. Überraschend zu „Juneteenth“ (19. Juni, der Tag, an dem das Ende der Sklaverei in den USA zelebriert wird) erscheint ihr Drittwerk „The Album“, ein 23 Songs starkes Manifest für das schwarze Amerika einerseits und die schwarze Frau andererseits. Das Timing für dieses auch qualitativ hochwertige Statement könnte nicht besser sein, leidet die schwindende Weltmacht doch noch immer unter drängendem Rassismus und nicht enden wollenden Protesten und Demonstrationen. Von Erykah Badu über Missy Elliott bis hin zu Lauryn Hill versammelt Taylor auch das Who Is Who der schwarzen Frauenpower. Die Geschichten reichen von Taylors Ehe über die Geburt ihrer Tochter June bis hin zur prekären Situation in den USA. „The Album“ ist wie eine Umarmung für das ganze Land, das Liebe und Zuversicht versprüht. Damit macht sich die 30-Jährige ein Stück weit unsterblich. 8/10 Kronen

Vampire - Rex
Mit Vergleichen zu den Genregrößen wird allgemein viel zu schlampig gehandelt. Das ist hier nichts anders. Die Metalpresse verortet bei Vampires Drittwerk „Rex“ querbeet ein Nachfolgewerk zu den legendären Klassikern von Dissection Mitte der 90er-Jahre. Mehrmalige Hördurchläufe machen sicher: das ist schlichtweg Schwachsinn. Gut, die Melodiebögen in „Wiru-Akka“ und dem Closer „Melek-Taus“ mögen sich lose am Genius von Jon Nödtveidt orientieren, aber das kompositorische Gespür für das Schöne und Majestätische des Stockholmers fehlt den Göteborgern hier völlig. Bei den restlichen Songs wildert man vorwiegend im 80er-Bereich und erinnert mehr an ganz frühe Unanimated, thrashige Possessed und die polternden Repugnant, wo Ghost-Frontmann Tobias Forge in die Lehre ging. „Rex“ ist ein gutklassiges, aber nicht herausragendes Werk schwedischen Death/Thrashs, das auch aufgrund der fehlenden stimmlichen Variabilität eine bessere Benotung verpasst. 6,5/10 Kronen

Vile Creature - Glory, Glory! Apathy Took Helm!
Zwei Leute sind eine Party - auch wenn diese eher melancholisch, nachdenklich und schwermütig ausfällt. Vile Creature, das Doom-Duo aus Hamilton, Ontario, hat seine bleierne Schwere nur als Duo anders kanalisiert als andere. Hier geht es weniger um Dauerkiffen, bunte Kreise und Magier auf Zauberbergen, sondern um die Rechte von Queer- und Transmenschen, um eine vegane Lebensausrichtung oder um den Kampf gegen die Unterdrückung der Mächtigen. In die Klischeefalle tappen sie auch auf ihrem Drittwerk nicht, das mit fünf Songs in Überlänge sein Auslangen findet. Die beiden Elfminüter „Harbinger Of Nothing“ und „When The Path Is Unclear“ sind schwer fassbare Mahlströme der Intensität, erst „You Who Has Never Slept“ wird mit lockerem Drumming etwas zugänglicher. Die letzten zwei Songs ergeben den Albumtitel und sind Kirchenchor und Abschlussgeknarze zugleich. Vile Creature sind anders, aber auch sehr schwer zugänglich. 7/10 Kronen

Vspolokh - Помре
Black Metal, erschaffen im und direkt beeinflusst vom Ural-Gebirge. Es ist kein Geheimnis, dass in den verstecktesten Winkeln der Erde oft am meisten Platz für Subkulturen ist. Das ist im Falle Vspolokhs nicht anders, die mit „Помре“ ihr erstes zweites Album und das erste seit geschlagenen zehn Jahren auf dem übersättigten Markt werfen. Fast eine Stunde lange bespielen und besingen die vier mit potthässlichen Masken versteckten Fratzen die alte Schule und sorgen dabei vor allem für Atmosphäre und Nachvollziehbarkeit. Von Dissonanzen oder überraschenden Tempowechseln halten Vspolokh nichts, hier wird alles schön nach Schema F runtergeprügelt. Vor allem der Sound der Doublebass-Salven klingt mehr nach Plastikkübel als nach zeitgemäßer Produktion, was aber wohl so gewollt ist. Wie für Russen üblich, dürfen natürlich auch akustische und folkloristische Einflüsse nicht fehlen. Solide, kurzweilig, aber null innovativ. 6/10 Kronen

We Were Promised Jetpacks - Out Of Interest EP
Wir drehen die Uhren kurz eineinhalb Jahre zurück. Mit ihrem Viertwerk „The More I Sleep The Less I Dream“ hatten die Schotten We Were Promised Jetpacks ihr bislang dunkelstes und melancholischstes Album veröffentlicht. Durchzogen von sehr viel Herzschmerz, Post-Punk und etwas The Twilight Sad wagten sich die Edinburgher tiefer denn je in den See der Entrücktheit. Ursprünglich hat man mehr Songs geschrieben, als auf dem Album landeten. Die dieser Tage erscheinende EP „Out Of Interest“ verinnerlicht fünf solcher Stücke, die es aus unterschiedlichen Gründen doch nicht auf die Full-Length geschafft haben. Besonders eindrucksvoll gelingt die düsteren Nummern „When Getting Lost“ und „Impossible“. So leiden eben nur Schotten nach wochenlangem Regenfall. Ohne Bewertung

Whitesnake - The Rock Album
„Red, White and Blue“ - das ist nicht nur US-Patriotismus, sondern auch die Ausrichtung, die die Hard-Rock-Legenden Whitesnake für ihre Nachlassverwaltung angegeben haben. Das rote Album sind die „Love Songs“, das blaue wird das „Blues Album“ und hier haben wir das weiß, das „Rock Album“. Das Album umfasst den kommerziell erfolgreichsten Zeitraum zwischen 1984 und 2011 und beinhaltet alle großen Top-Hits, die remixt und remastert wurden. Bei manchen Songs hat man mehr, bei anderen weniger Hand angelegt, doch wer die Band in den letzten Jahren einmal live gesehen hat wird schnell merken, dass David Coverdale im echten Leben niemals mehr so gut singt wie auf Konserve. Mit „Always The Same“ gibt es zudem einen bislang unveröffentlichten Song aus den „Flesh & Blood“-Sessions. Für Hardcore-Fans und Einsteiger ein Pflichtkauf. Ohne Bewertung

Wire - 10:20
Ein Album wie „10:20“ wäre nicht umsonst prädestiniert gewesen für den Record Store Day, aber in einem Jahr, wo die gesamte Welt auf dem Kopf steht, musste auch dieser im April abgesagt und auf mehrere einzelne Tage verschoben werden. Wire, seit mehr als 40 Jahren unermüdliche Innovatoren des experimentellen Post-Punk, haben sich acht Songs aus verschiedenen Schaffensphasen herausgepickt, die es aus unterschiedlichen Gründen nicht auf ein Album schafften. Die ersten vier Tracks wurden mit der 2010er-Besetzung eingespielt, die restlichen halbwegs aktuell. 60er-Dream-Pop trifft auf die bandtypische Melancholie und einer Entspanntheit, die Songs wie „German Shepherds“ oder das progressive „The Art Of Persistence“ zeitlos schön gestalten. Den Vogel schießt man aber mit dem Led-Zeppelinesken „Over Theirs“ am Ende ab. Danke für diese unerwartete Reise! Ohne Bewertung

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