„Krone“-Interview

Roland Neuwirth: „Haben eine einzigartige Kultur“

Musik
22.06.2020 06:00

Roland Neuwirth kehrt wieder auf die Bühne zurück und hat mit dem Radio.String.Quartet das famose Album „Erd‘“ eingespielt. Im großen „Krone“-Interview gab er uns Einblick über seine Live-Rückkehr, seinen nahenden 70. Geburtstag, weitere Termine, wie er dem Unausweichlichen entgegensieht und warum die Haltung der Politik zur Kultur derzeit ein Verbrechen ist.

(Bild: kmm)

Vor etwa drei Jahren hat die Wienerlied-Legende Roland Neuwirth seinen Abschied von der Bühne verkündet. Natürlich war auch Wehmut dabei, schließlich wollte er das mehr als vier Dekaden andauernde Erlebnis mit seinen Extremschrammeln nicht vollständig freiwillig beschließen, eine gemeine Form von Epilepsie hinderte den umtriebigen Künstler und Kunstversteher an der regelmäßigen Ausübung seiner Zunft. Doch frei nach dem Motto „kreativ zu sein ist kein Beruf, sondern Berufung“ hielt es der gebürtige Hernalser nicht allzu lange auf seinem Gut im Waldviertel aus. Durch Tabletten bekam er die lästige Krankheit in den Griff, wenig später kam die Anfrage des renommierten Radio.String.Quartet. für eine neue Zusammenarbeit.

Die vier Elemente
Unter der Leitung von Geiger Bernie Mallinger, auch ein Extremschrammel, und mit den famosen Musikern Igmar Jenner, Cynthia Liao und Sophie Abraham startete man mit Neuwirth das erste Kapitel einer Quadralogie, das auf den Namen „Erd‘“ lautet. Im Jahresabschnitt will das Streicherquartett künftig eines der vier Naturelemente musikalisch umsetzen - selbstverständlich stets divers und von einem völlig anderen Gesichtspunkt heraus. Für „Erd‘“ war Mallinger schnell klar, dass es der Kompositionen, Texte und Stimme von Neuwirth bedarf, um die Thematik möglichst akkurat abbilden zu können. Neuwirth weiß als studierter Musiker, dass das Neuarrangieren von Songs schwieriger sein kann, als brandneue Stücke zu schreiben. Bei der Präsentation mit drei neuen Songs vor ausgewähltem Publikum letzte Woche im Wiener Café Korb zeigte sich der 69-Jährige auch „geehrt, dass sich diese wunderbaren Musiker dafür hergegeben und so viel Arbeit dafür investiert haben.“

So begleitet das instrumentale Quartett Neuwirths prägnante Stimme durch melancholische und meist in tiefer Traurigkeit steckende Songs wie „Unserana im Nirwana“, „Kann Segn am Weg“ oder das hervorstechende „Dodndaunz“, das mit seiner intensiven Prägnanz durchaus als Schlüsselmoment der Platte gesehen werden kann. Mit „Tagelied“ ist auch ein Text des von Neuwirth so verehrten deutschen Lyriker Peter Rühmkorf auf der Platte gelandet. Das Quintett hat keine Angst vor Überlänge und Aufmerksamkeitseinforderung. Zum Nebenbeihören ist „Erd‘“ nicht geeignet, man muss sich viel mehr in den sanft ziselierten Klangkosmos des Radio.String.Quartet. fallen lassen, um die ganze Bandbreite an Details und Klangfeinheiten zu erfahren.

Gespräch mit der „Krone“
Ob auch die anderen drei Element-Alben Gesang haben, ließ Mallinger beim Live-Gig noch offen. „Das entscheiden wir dann spontan, wenn wir ungefähr wissen, in welche Richtung wir gehen.“ Neuwirth traf sich mit uns nach dem Gig bei einem Achtel Weiß und Zigarette im Korb-Gastgarten auf ein angenehmes Gespräch über seine Rückkehr auf die Bühne, warum ihn das Projekt so reizte, wie er seinen 70. Geburtstag begehen wird und was er von der aktuellen Kulturpolitik der österreichischen Regierung hält.

„Krone“: Roland, du bist wieder auf der Bühne und mit mehreren Projekten und Ideen gut unterwegs. In den letzten „Corona-Monaten“ hatten die Menschen mehr Zeit, sich bewusst mit Musik auseinanderzusetzen. Gilt das auch für jemanden wie dich, bei dem sich ohnehin alles darum dreht?
Roland Neuwirth:
Ich bin eigentlich ein fauler Hund und übe nur wenn ich weiß, dass ein Konzert ansteht. Ich klimpere vor mich hin, um nicht aus der Übung zu kommen, aber das war‘s auch schon. Leider - oder gottseidank - habe ich auch viele andere Interessen. Ich habe daheim bei unserem Bauernhäusl sehr viel handwerklich gearbeitet und war oft fischen.

War der Lockdown im malerischen Häusl im Waldviertel leichter zu überstehen als in der Stadt?
Das ist gar kein Vergleich. Dort war es so, als wäre nie was gewesen. Es ist ja niemand dort - und erst recht nicht am Fischwasser. (lacht) Der Österreicher an sich ist ein geselliges Wesen und das zeichnet ihn aus. Obwohl ich selbst eine Risikogruppe bin, fühle ich mich nicht gefährdet.

Du hast oft erwähnt, dass du gerne die Einsamkeit genießt. Spießt sich das mit dem Klischee des geselligen Österreichers?
Ich bin kein Sonderling und führe schon gerne Schmäh. (lacht) Es gibt aber Phasen, da muss man allein sein, um seine Ideen durchzudenken und auszuarbeiten. Man braucht diese Meditationsphase und muss die Fäden ins geistige All ausstrecken, um mit dem Zufall in Berührung zu kommen. Ich nehme das wörtlich, dass mir etwas zufällt. Das muss man aber erkennen und dafür muss man sehr aufmerksam sein.

Ein Kreativer kann nicht in Pension gehen, denn er hat keinen Beruf, sondern eine Passion. Kann man somit sagen, dein Bühnenende vor knapp drei Jahren ist ein gescheitertes Experiment?
Als Comeback möchte ich das nicht bezeichnen. Hätte ich etwas vorgehabt, würde das anders ausschauen. Ich bin kein Bankbeamter, der seinen Job an den Nagel hängt und dann Rasenmähen geht. Ich habe eine Berufung und wurde schlussendlich auch vom Publikum dazu berufen. Drei Viertel von mir bestehen sicher aus Musik. Dann habe ich ja eine Familie, eine Frau, lese sehr viel, bastle daheim herum und gehe fischen. Fad wird mir nicht, aber ich mache nur mehr das, was wirklich für mich passt. Ich würde nie wieder in unmöglichen Situationen auftreten, wie es mit den Extremschrammeln manchmal der Fall war. Wenn man zum Beispiel dafür kämpfen muss, dass man überhaupt gehört wird.

Du hattest schwere gesundheitliche Probleme, die für das Ende deiner Bühnenkarriere mitverantwortlich waren. Wie hast du dieses Problem mittlerweile in den Griff gekriegt?
Ich habe eine ganz seltene Form von Epilepsie. 2015 beim Fischen in Alaska ist es passiert. Bei dieser Art von Epilepsie liegt man aber nicht am Boden, sondern tritt aufrechtstehend für ein paar Sekunden weg. In der Zwischenzeit habe ich das mit Chemotherapien und Tabletten im Griff. Bei meiner ersten Chemo, die den ganzen Tag dauerte, lag ich im AKH und hatte vergessen, dass ich in St. Pölten einen Gig hatte. Ich sagte den Ärzten, ich müsse da auftreten, weil 900 Leute im vollen Saal warten. Sie wollten es mir verbieten, aber ich sagte: „Lasst mir die Kanülen einfach drin, ich binde sie mir um und komme dann wieder“. (lacht) Das habe ich dann tatsächlich gemacht, der Gig war super und ich habe im AKH die Infusion fertiggemacht. Auf der Bühne hatte ich aber für den Bruchteil einer Zeit einen Aussetzer. Ich hatte kein Gefühl mehr im Finger, konnte die Saiten nicht greifen, habe den Text vergessen und wusste nicht, wo ich gerade bin. Da wusste ich - es wird Zeit, dass ich aufhöre. 42 Jahre Extremschrammeln sind ja ohnehin genug, man kann auch mal was anderes machen.

Nachdem du vorher schon gesagt hast, du selektierst sehr genau, was du in Zukunft machst: Was macht denn diese Zusammenarbeit mit dem Radio.String.Quartet. so besonders? Warum bist du da gleich hellhörig geworden?
Durch unterschiedliche Dinge. In erster Linie gefällt mir, dass das Musiker sind, die einfach spielen können. Keine Praterwiesengitarristen, sondern studierte Leute, die alle Arten von Musik können. Sie spielen genauso Jazz, obwohl sie klassisch ausgebildet sind. Musik ist mehr, als nur einfach was dahinzuträllern. Ich habe auch die Musikhochschule abgeschlossen und da viel gelernt. Mir war immer wichtig, dass da kein Klimperer herumsitzt, weil mich das langweilt. Natürlich gibt es auch dort geniale Geister, aber mir ist das schnell zu fad. Das zweite ist, dass Bernie Mallinger sehr textaffin ist und ein unglaubliches Sprachgefühl hat. Für ihn gehören Musik, Sprache und Gesang zusammen. Es gibt nur wenige Menschen, die das auch wirklich begreifen.

Bist du der Meinung, dass nur bestimmte Musiker deine Texte wirklich begreifen und akkurat begleiten können?
Selbstverständlich ist das so. Ich freue mich über jeden, der meine Lieder singt, aber wenn es um die große Bühne geht, wo man was Amtliches abliefern muss, dann bin ich haglich. Der Atem muss richtig gehen, damit die Musik stimmig ist, das Zusammenspiel muss sitzen. Man braucht für all das profunde Musiker. Das ist auch im Gedichtvortrag so. Leider kann nicht jeder Schauspieler Gedichte rezitieren. Es muss schon musikalische Menschen geben, die die Versmaße verstehen. Ich jammere natürlich auf sehr hohem Niveau, aber sonst entwickelt man sich auch nicht weiter.

Extremschrammeln und Streichquartett sind natürlich zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Gibt es irgendwo aber trotzdem ein paar Parallelen, die du ziehen kannst?
Ich finde, dass das Schrammelquartett das Wohnzimmerkonzert des Wieners ist. Es ist an sich schon was Elitäres, denn im Heurigen siehst du nur mehr die Quetschen alleine und der Refrain wird einstimmig mitgegrölt. Das ist alles falsch! Die Wiener Musik ist mindestens zweistimmig. Vielen ist das egal, aber ich bin ohnehin nicht jedermanns Sache. (lacht) Mir ist es einfach nicht egal. Die Wiener Musik ist so reichhaltig, so ein riesiges Genre vom einfachen G’stanzl bis zum symphonischen Walzer. Ich bin der, der das Wienerlied und die Wiener Musik teilweise in die heutige Zeit geführt hat. Da ist mir zum Glück was gelungen, denn es hätte auch in die Hose gehen können. Mich hat neben Jimi Hendrix die Nagl Maly genauso interessiert. Sie haben beide den Blues, obwohl das eine mit dem anderen nichts zu tun hat.

Beim Schrammelquartett hatte ich den Vorteil, dass zwei Harmonieinstrumente drinnen waren. Die Harmonik der Wiener Melodik ist dieser Form adäquater zuträglich. Durch diese zwei Harmonieinstrumente kann man fülligere Sachen spielen. Bei den Streichern muss man musiktheoretisch sehr viel herumtricksen, damit man ein ähnliches Erlebnis kreieren kann. Beim Schrammelquartett geht es ruckzuck. Dafür ist der Gleichklang der Stimmen des Streichquartetts was sehr Edles. Das Orchester baut sich ja auf den Streichern auf. Die Bläser beleuchten den Sound, sie kommen dann dazu, aber die Streicher tragen den Klang.

Das Radio.String.Quartet. behandelt nun vier Jahre lang musikalisch je ein Element. Wird man dich nach „Erd‘“ später auch auf anderen Alben hören?
Ich bin nur jetzt dabei. Ich will mich auch nicht so wichtigmachen, ich bin nur ein Teil des Ganzen. Es ist nicht meine Band und ich bin mehr oder weniger Gast des Ganzen. Chef bin ich woanders. Im Winter führe ich alle 24 Texte der „Winterreise“ von Franz Schubert auf. Ich habe die Texte auf Punkt und Strich auf Wienerisch umgeschrieben. Vom Schubert verändere ich natürlich keinen Ton, aber ich singe mit dem Mikrofon wienerisch dazu.

Das „Tagelied“, dessen Text du deinem geliebten Lyriker Peter Rühmkorf entnommen hast, ist auf „Erd‘“ in der Schriftsprache und nicht im Dialekt zu hören. Warst du für diesen Gegensatz sofort zu haben?
Mein Gott, ich versuche seit meinem siebenten Lebensjahr zu dichten. Die Schriftsprache gehört da genauso dazu wie Dialekte oder das Englische. Die Sprache an sich ist ja egal. Viel entscheidender ist, wie jemand etwas sagt. Es gibt Millionen von Liebesliedern, aber eines sagt einfach mehr als die anderen. Es öffnet eine Tür und dann kommt der Lichtstrahl und man ist hin und weg. Es geht weniger darum, was das Thema ist, sondern wie man das Thema erzählt.

Dennoch sind Traurigkeit und Melancholie in den meisten Songs auf dem Album prägnant im Vordergrund. In gewisser Weise zählt schon auch das was und nicht nur das wie.
Ich weiß nicht, ob es leichter ist, Dinge negativ zu beleuchten. Es ist der natürliche Lauf der Dinge, dass es irgendwann einmal aus ist - und zwar mit allem. Deshalb heißt mein Auftritt zum 70er am 10. November im Wiener Konzerthaus auch „Schall und Rauch“. Die traurigen und nachdenklichen Sachen sind doch die Schönsten. In Serbien kleben sie den Musikern nicht die 100er auf die Stirn, weil sie lustige G’stanzl hören wollen, sondern etwas Ehrliches mit Substanz, dass die Seele zerfetzt. Sie wollen berührt werden und zwar am ganzen Körper.

Was hat dich dazu prädestiniert, genau auf dem Element Erde dabei zu sein? Welche Geschichte steckt dahinter?
Der Titel und die Idee sind vom Streichquartett - ich hatte damit gar nichts zu tun. „Erd‘“ statt Erde heißt es ja, weil ich der Dialektsänger bin, obwohl ich mich gegen diese Zuschreibung verwehre. Ich bin schon eher Wienerlied-Sänger, auch wenn nicht alles Wienerlied ist. Ich stehe aber dafür und das passt mir auch. Ich habe mir gefallen lassen, dass ich dabei bin und singe meine Lieder, ohne dass ich rot werden muss. Bei den Extremschrammeln hätte es anders ausgeschaut und da hätte ich auch andere Facetten ins Spiel gebracht, weil ich sehr gerne lache. Hier habe ich mich dem Gesamtkonzept untergeordnet. Passt schon, kann man so machen.

Hättest du die Songs ausgesucht und nicht Bernie Mallinger, hättest du andere Lieder von dir gewählt?
Natürlich, aber es ist auch viel Arbeit für die Leute, die das Arrangieren. Ich habe bislang nur ein paar Lieder für sie geschrieben, wovon keines am Album ist, aber das Arrangieren ist fast schwerer als etwas neu zu komponieren. Wären die Songs schon arrangiert gewesen, hätten die Nummern vielleicht auch noch einmal gewechselt. Das ist im Endeffekt auch egal.

Wie begegnest du dem 70. Geburtstag, der Ende Oktober Realität wird? Ehrfurchtsvoll, ängstlich oder mit Vorfreude?
(lacht) Geburtstage sind ja auch ein bisschen peinlich. Ich werde ihn aber nutzen, noch einmal die verklungenen Töne vorbeifliegen zu lassen. Damit der Schall noch länger anhält und etwas nachklingt. Ich freue mich schon wieder mit meinen herrlichen Leuten zu spielen und zu singen. Ich habe auch fürs Orchester komponiert und werde da auch etwas bringen. Ich spiele Sachen, die mir wichtig gewesen wären, zu denen es aufgrund der Intendanten aber oft nicht gekommen ist. (lacht)

Ein Wiener liebt das Morbide und scheint sich auch nicht vor dem Ende zu fürchten. Denkst du manchmal an das Ende und begegnest du ihm mit Humor?
Es bleibt einem ja nichts anderes übrig. Auch den Atheisten sei gesagt, dass sie einmal dran glauben müssen. (lacht) Die letzte Strophe der Wienerlieder handelt so gut wie immer vom Tod. Auch wenn er verniedlicht wird mit dem Bilderbuchhimmel, wo die Engerl fliegen, beim Heurigen eingeschenkt wird und die Schrammeln spielen. So ein Theaterhimmel ist ja auch was Witziges. Der Tod wurde seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch HC Artmann berührbar und spürbar. Die Morbidität, die damit zusammenhängt. Wenn du an der Kanüle hängst und den sterilen Himmel im Spital ansiehst und dich nicht bewegen kannst, dann ist es kein Schrammelhimmel. Durch die Unmenschlichkeit, die vor allem im Zweiten Weltkriegt passierte, durch diese Schäden, an denen wir eigentlich noch heute leiden, entstand bei Artmann erstmals eine Lyrik, die den Tod zum Singen brachte. Der Wiener ist gescheit. Er weiß, dass das Sterben zum Leben gehört, hat eine berechtigte Angst davor und versucht sie mit einem Schmäh wegzusaufen. Der Wiener und auch der Österreicher im Allgemeinen ist nicht deppat. Es gehört zur Volksseele, diese Wahrheit zu tragen. Ich finde das großartig, denn dadurch wird alles umso echter. Es geht ums Eingemachte und wenn das in der Volkskultur drinsteckt, dann können die Schlager scheißen gehen.

Geht der Österreicher mit dem Tod realistischer und echter um als jeder andere?
Ja, davon bin ich überzeugt. Für den Österreicher war der Tod nie ein Tabu. Der Tod gehört zwar nicht zum Leben, aber der Weg dorthin gehört dazu. Wenn man weiß, dass es einmal zu Ende geht, kann man es sich leichter machen.

Siehst du dein persönliches musikalisches Erbe bei jüngeren Künstlern, die dem Wienerlied zugetan sind, gut aufgehoben?
Ich habe seit Kurzem einen kleinen Lehrauftrag an der Musikuniversität und wir haben eine Klasse für Wiener Musik installiert. Leute aus aller Welt kommen für die Kultur nach Wien. Alle Arten von Musik werden gespielt nur die eigene nicht? Das ist ja krank. Aber die jungen Leute stehen irrsinnig drauf. Wer nicht nur aus der Retorte Musik macht, sondern ein Instrument spielt, wo er fünf Jahre braucht, bis überhaupt ein gerader Ton rauskommt, der liebt diese Art von Musik. Man muss schließlich dafür auf sich nehmen, Stunden, Tage, Wochen und Jahre zu üben. Erst dann bist du ein Musiker. Ein echter Musiker will nicht Töne erschaffen, sondern Melodien und dafür ist die Wiener Musik perfekt. Ich liebe es, weil ich total auf die jungen Leute baue. Man muss aber den Weg zu ihnen finden oder umgekehrt. Wir haben unser Selbstverständnis verloren, weil uns die USA auffressen. Mir geht es um die Erhaltung der Vielfalt und der Unterschiede. Warum gefällt mir diese eine spezielle Blume so gut und nicht nur die Monokultur der Rosen? Amerika und die EU zwingen uns zur Monokultur und deshalb bin ich darauf nicht so gut zu sprechen. Ich bin ein Mensch der Vielfalt und kämpfe dafür, dass die eigene Kultur zumindest wahrgenommen wird. Am Schönsten wäre es, wenn sie so selbstverständlich werden würde, wie sie schon immer war.

Kultur wird gerade von der heimischen Politik derzeit nicht als selbstverständlich und besonders schützenswert wahrgenommen. Wie verfolgst du dieses Thema aktuell?
Erwin Pröll war einer der letzten Schwarzen, der wirklich viel Geld für die Kultur in die Hand genommen hat. Man kann über ihn sagen, was man will, aber das hat er mit einer unvergleichlichen Handschlagqualität durchgezogen. Ihm war das wichtig und er hat begriffen, dass Kultur die Gesellschaft ausmacht. Das unterscheidet uns Wiener auch von anderen Städten. Wir haben eine bestimmte, unverwechselbare Kultur. Ganz Österreich besteht aus Regionen mit ganz einzigartigen Kulturen. Wenn man aber die Monokultur, die daherschwappt, drüberfahren lässt, ist man ein Verbrecher. Ich finde nicht, dass die jetzige Politik allzu viel mit Kultur am Hut hat. Das ist eines der allergrößten Versäumnisse überhaupt, denn unser Land lebt von der Kultur im künstlerischen Sinne. Wenn das nicht erkannt wird, dann kann man sich vorstellen, wie sich das entwickeln wird. Aber Jahrtausende hin ist das gewachsen, die Kultur ist unser europäischer Boden. Die Regierung macht sehr viel richtig, teilweise bin ich sogar stolz darauf. Aber ich kann nicht stolz auf eine Politik sein, die kühl lächelnd an der Kultur vorbeigeht. Es herrscht fast Gleichgültigkeit.

Befürchtest du einen nachhaltigen, jetzt noch gar nicht annähernd messbaren Schaden für die Kultur in Österreich, so wie die Politik momentan damit umgeht?
Es kommt auf die verschiedenen Bereiche der Kultur an. Die Theater tragen sicher einen Schaden davon, die Oper wird subventioniert, der Musikverein wahrscheinlich auch. Da habe ich wenig Sorgen, aber ich hoffe vor allem, dass die freischaffenden Künstler stark genug sind. Sie müssen eigentlich stärker sein als die Politik, weil sie sonst nichts wert sind. Die Kunst ist ein Lebewesen, wie auch die Transzendenz der Religion. Beides ist unsichtbar, aber eindeutig da und man kann es nicht wegleugnen. Die Kunst hat eine Stärke und sie hat schon viel schlechtere Zeiten überlebt. Es ist aber eine Schweinerei, dass die Künstler derzeit nicht mehr Unterstützung kriegen.

Live-Termine
Die Vorstellung von „Erd‘“ durch Roland Neuwirth und das Radio.String.Quartet. soll am 29. August im Wiener Konzerthaus über die Bühne gehen. Neuwirth selbst wird seinen 70. Geburtstag am 10. November feiern - ebenfalls im Wiener Konzerthaus. Am 12. Dezember sind schließlich aller guten Konzerthaus-Dinge drei - da spielt er mit Florian Krumpöck die „Wiener Winterreise“ im Schubert-Saal.

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