„Krone“-Interview

Hinds: „Leben mit dem schönsten Fluch der Welt“

Musik
05.06.2020 06:00

Mit „The Prettiest Curse“ schlägt die spanische Band Hinds einen neuen Kurs ein. Poppige Melodien statt krachende Gitarren, eingängige Momente statt Dissonanz, Mut zum Rhythmus anstatt derbes Punk-Geschrote. Trotz allem bleiben sie ihren Trademarks auf dem dritten Album treu. Wie es dazu kam, erzählte uns Sängerin Ana Perrote im Interview.

(Bild: kmm)

Ihr Debütalbum „Leave Me Alone“ war so unwiderstehlich kompromisslos, frisch und - ja - rotzig, dass die Hinds damit vor vier Jahren direkt in die britischen Albumcharts stießen. „I Don’t Run“ zeigte das Quartett zwei Jahre später etwas aufgeräumter, aber noch immer sehr angriffslustig. Punk, Rock, Rrriot-Girl-Attitüde und Garage waren die gemeinsamen Nenner für beide Werke. Das Besondere an der Band war aber vor allem, dass man weder aus Brooklyn, noch aus London oder Berlin, sondern aus Madrid kommt und schon alleine deswegen kein leichtes Leben auf dem Weg nach oben hat. Mit konstanten Touren, feurigen Liveshows und viel Freude an der Sache haben sich Ana Perrote, Carlotta Cosials, Ade Martin und Amber Grimbergen aber ein respektables Standing in der Rockszene verschafft.

Für das Drittwerk „The Prettiest Curse“ haben die Südeuropäerinnen den Kurs nun neu ausgerichtet. Geschrieben und aufgenommen in den Metropolen Los Angeles, New York und London, von einer Pop-Produzentin veredelt und auch im Gesamtpaket auf Vordermann gebracht und glamouröser umgesetzt. Hinds trauen sich nun Pop zu, ohne zu auf den Mainstream zu schielen. Es gibt aber Platz für ein Keyboard, für spanische Lyrics und für eingängige Rhythmen, wie man sie in der Form bislang noch nicht bei der Band verorten konnte. Damit haben sie aber auch die Gunst der breiten Presse gewonnen und versuchen - trotz Corona-Tücken - den nächsten Schritt zu wagen. Frontfrau und Songwriterin Ana Perrote nahm sich Zeit, für ein ausführliches Video-Gespräch mit der „Krone“.

„Krone“: Ana, wie geht es dir nun knapp drei Monate nach dem Corona-Lockdown im gebeutelten Madrid?
Ana Perrote:
Sehr gut, ich kann mich nicht beklagen. Ende Mai war ich das erste Mal wieder bei meiner Familie, weil wir endlich wieder aus den Wohnungen durften. Ich bin derzeit sehr optimistisch gestimmt. Schlimmer kann es kaum mehr kommen.

Wie hast du diese schlimme Phase in Madrid selbst erlebt? Die Stadt war ja eines der europäischen Epizentren von Tod und Leid.
Wir haben ein ganzes Jahr lang an einem Album gearbeitet, dass dann nicht rauskommen konnte wegen der Corona-Krise. Ich hatte dann auch überhaupt keine Lust, daheim neue Songs zu schreiben, weil ich mich jetzt ziemlich ausgepresst fühlte. Ich habe meine Fähigkeiten am Keyboard erweitert, sodass ich die Parts von den neuen Songs auch live spielen kann. Ich habe viele Bilder gemalt und war mit den anderen Mädels täglich in Kontakt. Wir haben instrumentale Tutorials zu unseren Songs gemacht, viel gestreamt und allgemein möglichst viel gearbeitet. Ich habe auch einen Hund adoptiert und ansonsten einfach versucht, so gut wie möglich zu entspannen.

Wie fühlt es sich an, wenn man eigentlich Teil einer permanent tourenden Liveband mit dichten Freundschaften untereinander ist, und plötzlich alleine in der Wohnung sitzt und nur mehr online Kontakt halten kann? Hat das eure Beziehung gar verändert?
Seit ich etwa meine Freundin Carlotta vor acht Jahren das erste Mal getroffen habe, ist garantiert noch nie so viel Zeit vergangen, in der wir uns überhaupt nie getroffen haben. Ich bin stolz darauf, wie wir diese Zeit runtergebracht haben. Wir haben das Beste daraus gemacht, aber ich habe mittlerweile wirklich die Nase voll davon, mein blödes Gesicht die ganze Zeit im Laptop zu sehen. (lacht) Ich war lange sehr entspannt, aber viel länger hätte ich es zuhause nicht mehr ausgehalten.

Sind dir in dieser Zeit besondere Erkenntnisse gekommen? Hast du auch die Zeit genutzt, um Band, Karriere und Leben zu reflektieren?
Ich bin grundsätzlich eine sehr ängstliche und besorgte Person, die sich privat als auch in meiner Funktion bei Hinds sehr schnell sehr viel Stress macht. Ein Album zu veröffentlichen ist dann auch immer sehr zeitintensiv und ich habe auf jeden Fall gelernt, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen und mich mehr zu entspannen. Ich bin der klassische Mensch, der sich immer darüber Sorgen macht, was alles danebengehen könnte. Nachdem jetzt aber der Worst Case eingetreten ist, wir den Album-Release verschoben haben, alle Konzerte absagen mussten und die ganze Musikindustrie voller Ungewissheit am Boden liebt, bin ich überraschend entspannt. Das ist wohl eine Art von apokalyptischer Einstellung, die ich mir auferlegt habe. Es gibt auch so viele Dinge, die wir als Band einfach nicht ändern können. Wir haben ein starkes neues Album, das wir jetzt rausbringen und das sehe ich nun einfach positiv. Ich war auch immer jemand, der 100 Dinge machen wollte und jetzt war die Zeit dafür. Ich habe gelernt, wie man malt oder online Dinge animiert. Ich bin in der zweiten Generation, die wirklich mit dem Internet aufgewachsen ist und ich habe jetzt wohl zu den Jüngeren aufgeschlossen. (lacht) Zumindest hoffe ich das.

Auch wenn du eher sorgenvoll bist - glaubst du, dass die Menschheit von dieser globalen Pandemie insofern lernt, als dass sie diverse Dinge im Alltagsleben anders und vernünftiger angehen wird?
Unglücklicherweise glaube ich, dass wir all das schnell vergessen haben werden. Ende Mai bin ich das erste Mal wieder in ein Lokal in Madrid gegangen. Schon jetzt merke ich, dass die Leute mit Dingen wie der Maskenpflicht unglaublich locker umgehen. Es ist so, als wäre es mit dem ersten Tag in Freiheit wie ausradiert, was alles gesagt wurde. Ich selbst habe anfangs meine Maske in der Wohnung vergessen. Der Mensch vergisst schnell und ich kann persönlich hoffen, dass sich Dinge verbessern. Vor allem in punkto Zusammenhalt und Klimawandel, aber ehrlicherweise glaube ich nicht, dass das passieren wird.

„The Prettiest Curse“, euer tolles neues Album, habt ihr dann von April auf Juni verschoben. Mit Livekonzerten ist aber noch lange nicht zu rechnen, hättet ihr das Album daher noch weiter nach hinter verschieben sollen?
Um ehrlich zu sein, war es dann einfach zu spät, um es nochmal zu verschieben. Wir haben schon so viele Singles veröffentlicht und auch unzählige Interviews gegeben. Viele Monatsmagazine hatten uns jetzt schon zu früh drinnen und noch einmal hätten wir das nicht machen können. Wir hatten auch schon Musikvideos veröffentlicht. Man kann das nicht ewig rausziehen. Außerdem weiß kein Mensch, wann die Restriktionen wirklich enden. Jetzt veröffentlichen wir es einfach und haben Spaß.

Was steckt denn prinzipiell hinter dem Albumtitel?
Der Titel kommt auch in einem Song vor und wir haben in der Band immer intern gescherzt, dass wir verdammt sind, weil der Job auch ziemlich hart sein kann. Auf eine paradoxe Art und Weise haben wir, wenn es sehr stressig oder anstrengend ist, genau dieses Gefühl, obwohl wir natürlich wissen, dass wir den besten Job der Welt haben und quasi „auserwählt“ sind, das tun zu dürfen. Dieser Job ist so magisch, er funktioniert nach keiner Formel. Du kannst das nicht studieren oder üben, du musst in gewisser Weise gewählt werden. Einerseits weiß man oft nicht, warum man nicht weiterkommt oder auch nicht, warum man doch so berühmt wird. Andererseits muss man für diesen Job so viel opfern. Du siehst deinen Freund nicht, deine Familie oder deinen geliebten Hund, weil du immer nur unterwegs bist. Geburtstagsfeiern, Familienfest, Hochzeiten - das verpasst man alles. Heute muss man auch permanent auf Tour sein, um damit überleben zu können. In gewisser Weise sind wir also verflucht, aber es ist auch der schönste Fluch, den man sich vorstellen kann.

Das Foto von euch am Cover sieht aus wie ein Gemälde. Da hat sich jemand auf jeden Fall viele Gedanken gemacht…
Ein Freund von uns, der auch Fotograf ist, hat während unseres Songwritingprozesses im Sommer 2019 in Los Angeles ein ähnliches Foto wie dieses von uns gemacht und uns haben die Posen einfach gut gefallen. Dort war alles voll mit unseren Instrumenten und all dem Zeug, das einfach so herumlag. Wir haben dann gedacht, wir könnten diese Position auch so einnehmen, dass das Umfeld herum einfach gut und aufgeräumt aussieht. Ouka Leele hat sich dieses Projekts angenommen und tatsächlich dieses Foto zuerst abgezeichnet. Im Prinzip sollte das Bild auch etwas Magisches und Märchenhaftes widerspiegeln. Wir haben ihr detaillierte Anweisungen gegeben und anfangs wollten wir gar kein Foto, sondern mehr. Im Endeffekt ist von jedem einzelnen Song ein Element auf dem Cover zu sehen und wir wollten auch, dass man nicht weiß, wo wir sind. Backstage oder in einem Hotel oder auch in einem Haus? Etwas Mystisches muss immer erhalten bleiben.

Ihr habt für das Album in LA und London geschrieben und es in London und New York produziert. Noch nie waren die Hinds so international. Was das für euch der logische nächste Schritt?
Wir haben nicht wirklich an Internationalität gedacht, denn internationaler können wir gar nicht mehr werden. (lacht) Wir haben schon überall gespielt und das war schon immer so. Es war aber eine Intention aus der Komfortzone auszubrechen und einmal etwas ganz anderes zu machen. Wir wollten etwas zugänglicher und wärmer klingen und wenn du „The Prettiest Curse“ mit unseren zwei alten Alben vergleichst wirst du merken, dass das neue nicht mehr die Wohnzimmerfenster zerschmettert. (lacht) Wir wollten mehr Instrumente und eine andere Produktion. Ob es mehr nach Rock’n’Roll oder R&B klingt, das wussten wir nicht, das ergab sich erst im Songwritingprozess. Wir haben einfach dahingespielt und dann den Sound gefunden, denn ihr jetzt alle hören könnt.

Ihr habt wesentlich poppigere, eingängigere Momente auf diesem Album. War es das große Ziel, zugänglicher zu werden?
Absolut, das ist zu einer Million Prozent richtig. Wir wollten schon immer klangliche Radioqualität haben, ohne aber unsere Trademarks über Bord zu werfen. Das Debüt war sehr pur und DIY-mäßig gemacht. Das zweite Album war ein Rockalbum mit drei Instrumenten und jetzt wollten mehr experimentieren, poppiger werden und uns einfach entwickeln. Es hat keinen Sinn, immer dasselbe Album aufzunehmen und deshalb haben wir uns weniger zensiert. Wir hatten in den letzten Jahren sicher noch etwas mehr Angst vor dem Pop, aber diese Bedenken haben wir über Bord geworfen.

Gab es trotzdem Grenzen, die ihr musikalisch nicht übertreten wolltet, weil ansonsten die DNA der Hinds möglicherweise verloren gegangen wäre?
Nicht wirklich. Als wir über die Songs gesprochen haben, wussten wir, dass man die Hinds und unsere Identitäten immer heraushören müsste. Als wir unsere Produzentin Jenn Decilveo getroffen habe, haben wir auch viele Ängste verloren. Sie hat die Punk-Attitüde von uns verstanden und wollte sie uns nicht nehmen. Es ist ihr wichtig, die Künstler so klingen zu lassen, wie sie klingen. Es war total natürlich mit ihr zu arbeiten und obwohl sie aus der Pop-Welt kommt und viele Nummer-eins-Hits produzierte, wollte sie uns nie aus unseren Identitäten reißen. Sie hat uns einfach interessanter gemacht.

Ihr hattet auch erstmals mehr Zeit zum Schreiben der Songs. Bislang ging das immer zwischen Tür und Angel vor sich, für „The Prettiest Curse“ habt ihr euch aber wirklich hingesetzt und reflektiert.
Das hat sicher auch die Farbe unseres Sounds verändert. Wir schreiben immer darüber, was wir fühlen und was uns passiert ist. Wir hatten jetzt ein ganzes Jahr, um über diese Dinge zu reden und zu wählen, worüber wir schreiben. Früher ging das oft im Tourbus vor sich, ohne sich Gedanken zu machen. Ich will nie wieder zurückkehren in diese Zeiten, wo wir uns selbst so gestresst haben. Es war so viel besser, viele Songs zu schreiben, Songs zu verwerfen und wirklich nur das Beste zu verwenden. Einfach Zeit zu haben, war ungemein gesund für uns.

Würdest du auch sagen, dass ihr vier euch dadurch noch ein Stückchen nähergekommen seid?
Das würde ich so nicht sagen, denn noch näher als wir uns sind, kann man sich kaum kommen. Carlotta und ich, die Songwriter, haben einfach an Selbstsicherheit gewonnen, weil wir dieses Mal auch von außen Einflüsse zuließen und nicht nur zu zweit alles stemmten. Es gab nicht mehr diese Art von Tunnelblick, wir hatten dieses Mal ein Umfeld mit Profis, die auch mal was veränderten oder Tipps gaben. Uns selbst mit anderen Augen zu sehen war wichtig und manchmal auch überraschend. Wir glauben sehr stark an uns selbst, aber diese Art des Arbeitens hat mir noch einmal einen Boost an Selbstsicherheit beschert. Wir haben immer noch ein spezielles Band zwischen uns, unverändert.

Es gibt auch viel mehr Lokalkolorit mit spanischer Musik und sogar spanischen Texten. Das muss auch ein großer Schritt für euch gewesen sein. Gerade in der Muttersprache lassen sich gewisse Themen ja nicht so leicht singen, weil es unverfälschter und purer wirkt.
(lacht) Da ist was dran. Wir wollten das schon länger so machen, aber hatten einerseits keine Zeit und andererseits auch nicht die Schneid, aus unseren Routinen auszubrechen, Stopp zu sagen und dann wirklich konzentriert daran zu arbeiten. Wir mussten Dinge verändern und das mussten wir jetzt machen. Auf Spanisch zu schreiben ist etwas ganz anderes und da mussten wir auch viel probieren und Zeit investieren. Auch das muss schließlich Hand und Fuß haben. Es war für uns ein großer Schritt und ich bin glücklich, dass wir ihn gemacht haben. Man ist einfach privater, wenn man so singt und für uns war das in gewisser Weise auch etwas intimer. Ich mag den Kontrast, dass wir einerseits poppiger, andererseits aber auch persönlicher und romantischer geworden sind.

Romantik ist ein gutes Stichwort. Einen Song wie „Come And Love Me <3“ hätte sich kein Hinds-Fan der letzten Jahre jemals ausrechnen können.
(lacht) Ich weiß. Ich bin selbst überrascht davon und dann wurde es auch noch eine Single! Das ist auch der Song, der sich am klarsten von den anderen abgrenzt. Wir werden wahrscheinlich auch nie wieder einen solchen Song schreiben, aber in dem Moment, in dem er entstand, war er einfach komplett natürlich. Er spricht irgendwie für sich selbst und steht auch für sich selbst. So eine Nummer musste einfach eine Single werden, schließlich klingt er mehr nach den Beatles als nach den Hinds. (lacht)

Mehr Pop, mehr eingängige Momente, erstmals spanische Texte und erstmals auch Keyboards auf einem Album - ist „The Prettiest Curse“ der erste große Schritt in den Mainstream für euch?
Wenn ich mir das Album jetzt so anhöre mit den Songs und dem Sound, dann wird mir wieder klar, dass wir anfangs keine Ahnung hatten, wohin die Reise gehen würde. Ich habe auch keine Idee, wohin es mit uns gehen wird. Wir sind als Menschen keine Mainstream-Persönlichkeiten. Zur gleichen Zeit bewegen wir uns vielleicht auch etwas näher dahin. Wenn ich uns so sehe, dann sind wir eher die Internet-Weirdos, die in irgendeiner Art und Weise von der Öffentlichkeit in Richtung des Mainstreams befördert werden. Es geht nicht darum, dass wir da nicht hinwollen, aber möglicherweise passt uns der Anzug in dieser Liga nicht so gut.

Haben sich euch persönlichen Inspirationen und Hörgewohnheiten über die letzten Jahre hinweg stark verändert, weil sich eben auch euer Sound stark verändert hat?
Ich glaube gar nicht. Beim Debüt haben wir nur Garage Rock und kalifornische Bands gehört, aber danach haben wir uns immer schon Richtung Beyoncé oder auch Tame Impala bewegt. Wir haben immer schon sehr viel gehört, das aber niemals mit unserer Musik gleichgesetzt. „The Prettiest Curse“ klingt weder wie etwas, das wir zuvor gemacht haben, noch wie etwas, das am Markt ist. Ich habe das Gefühl, dass wir jetzt gerade wirklich unsere wahre Persönlichkeit gefunden haben oder zumindest kurz davorstehen. Wir haben uns den Punk bewahrt, die Gitarren sind präsent und der Gesang kann noch immer offensiv sein. Wir schreien noch gerne und die Gitarren sind oft bestimmt verstimmt, aber wir haben auch die Selbstsicherheit, zum Pop und zu glatten Melodien zu stehen. Wir haben einen guten Pfad gefunden, auf dem wir uns entwickeln können, ohne die Spuren zu verlieren.

Ein wichtiger Song auf dem Album ist „Just Like Kids (Miau)“, der sich mitunter auch mit dem immer noch grassierenden Sexismus in der Musikbranche befasst, den auch ihr schon seit Jahren hautnah erlebt. Hat sich dahingehend über die Jahre etwas verbessert oder nicht?
In der Theorie wird immer alles besser, denn als wir die ersten Schritte mit den Hinds gingen, wurde in der Branche weder über Sexismus geredet, noch war das jemals Thema in Interviews. Jetzt ist es fast selbstverständlich, sich darüber neu zu informieren und zu diskutieren. Ich hoffe einfach, dass sich die Theorie mehr Richtung Praxis bewegt. Wir werden jeden einzelnen Tag mit Kommentaren im Internet bedacht und dabei sind wir noch nicht einmal eine große Band. Auch in der Praxis geht vieles langsam. Selbst wenn wir das Glastonbury headlinen würden, würde man wohl zuerst zum Typen gehen, der den Sound macht und ihn fragen, was zu tun ist und nicht zu uns. Das sind die Dinge, die in der Realität einfach immer passieren, auch wenn es nicht immer böse gemeint ist. Die Richtung stimmt, aber es ist noch lange nicht alles gut oder leicht für Frauen in der Musikwelt.

Inwiefern seht ihr euch als Sprachrohr für junge Frauen und Mädchen, die sich ein Instrument umschnallen und rocken möchten? Die vielleicht eine Karriere als Musikerin anstreben, sich aber aus vielen, u. a. auch den genannten, Gründen nicht trauen?
Ich glaube, das sind wir schon automatisch. Wir sind eine Band, die schon von Anfang an sehr viel Aufmerksamkeit für diese Themen bekam, auch wenn wir selbst nicht viel darüber nachdachten. Als Frau hast du einfach einen anderen Zugang, weil du das schon aus der Schule oder dem Studium kennst und genau weißt, wie es einer anderen Frau eben geht, die belästigt wird. Natürlich wäre eine Gleichheit der Geschlechter schön, aber der größte Unterschied - neben der ungleichen Bezahlung - ist der, dass du als Frau immer kommentiert und bewertet wirst. Bei jedem einzelnen Schritt. Dass wir eine Art Sprachrohr sind, ist irgendwie passiert. Nach der Show kommen oft Mädchen zu uns, die uns sagen, dass sie nur Schlagzeug spielen, weil sie Amber gesehen haben oder die von uns bestärkt wurden, selbst den Verstärker in der Garage einzustöpseln. Uns freuen diese Gespräche auch und wir wollen auch allen helfen, die Fragen haben.

Ich finde schon, dass es wichtig ist, Erlebnisse und Erfahrungen zu teilen. Zumal es auch nicht viele Frauen in dem Business gibt. Würden wir nicht offen sein und die Wahrheit sagen, wären wir vielleicht auch Mitschuld am Unglück anderer. Dieser Zusammenhalt bei Frauen hilft mir auch, über so manch blöden Kommentar hinwegzusehen oder so an mich zu glauben, dass ich mich eben nicht für irgendwen ändern oder adaptieren muss. Selbst ich lerne aus Geschichten von anderen und dann komme ich oft drauf, dass ich mich selbst zu sehr unter den Scheffel stehe. Wir sind eine Band, die aus vier Frauen besteht und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich als Solokünstlerin überhaupt den Sprung an die Öffentlichkeit gewagt hätte. Es war zu Beginn sehr hart für uns, ich hatte anfangs null Selbstvertrauen und alles, was wir heute sind und wie wir heute sind, haben wir uns selbst und der Band zu verdanken. Wenn wir anderen helfen können, dann sind wir sofort zur Stelle.

Ist der Song „Riding Solo“ auch so etwas wie eine Hymne für Emanzipation?
Das war zumindest nicht die Intention, aber ich mag an Songs am meisten, dass sie jeder für sich selbst interpretieren kann. Ich rede auch gar nicht so gerne über Inhalte. Ich habe meinen Teil erledigt, für mich ist das fertig und jetzt liegt es an dir. Und was immer du da für dich rausziehst - es ist okay, denn es ist deine Perspektive.

Habt ihr euch aufgrund der vielen großen Musikstädte, in denen ihr für das Album unterwegs wart auch einmal überlegt, als Band geschlossen umzuziehen? Madrid ist ja doch nicht der Nabel der Musikwelt…
Da wir so viel Reisen und unterwegs sind, wäre es auf jeden Fall billiger, diese Unternehmungen von einem zentralen Standort des Business aus zu starten. Jedes Mal, wenn wir irgendwo spielen müssen wir so viel Geld für den Bus und die Routen ausgeben, aber es herrscht auch wesentlich mehr Wettbewerb in solchen Städten. Wenn du irgendwo auf die Straße gehst, spielt dort ein toller Musiker oder ein außerordentliches Talent. Das würde mich ungemein stressen. Zudem würde ich mich dann nur mehr mit Leuten umgeben, die das gleiche machen. Ich liebe aber die Vielseitigkeit. Einer meiner besten Freunde ist Psychologe und es tut so gut, einmal nicht über die Musik und das Business zu reden. Ein anderer ist Maler. Ich bin mit Herz und Seele Musikerin, aber ich schätze es auch, eine andere Perspektive auf das Leben zu haben. Wir haben für Spanierinnen großen Erfolg und werden dadurch auch anders von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Ich bin aber sehr glücklich über unseren Stand in der Musikwelt und möchte ihn nicht durch einen Umzug eintauschen.

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