Pakistan entsetzt

Polizei schaut bei Lynchmord tatenlos zu

Ausland
22.08.2010 19:01
Ein Lynchmord an zwei Jugendlichen hat im seit Jahren von Gewalt überzogenen Pakistan Entsetzen ausgelöst. Die Brüder wurden offenbar mit Räubern verwechselt, von einer wütenden Menge mit Stöcken zu Tode geprügelt und ihre Leichen anschließend zur Schau aufgehängt. Dutzende Menschen sahen dem Gewaltexzess teilnahmslos zu, selbst Polizisten griffen nicht ein. Der öffentliche Mord wurde von Zeugen auf Video festgehalten und auf mehreren Fernsehkanälen ausgestrahlt.

"Ist es das, was wir sind? Wilde?", schrieb die englischsprachige Zeitung "The News" in einem Leitartikel. Vielfach wurde die Frage laut, ob die pakistanische Gesellschaft immer brutaler werde und ob Versäumnisse der - unter anderem wegen ihrer Reaktion auf die Hochwasserkatastrophe bereits unter Druck geratenen - Regierung dafür verantwortlich seien.

Die unglaubliche Tat ereignete sich bereits am 15. August in Sialkot in der östlichen Provinz Punjab. Die Brüder im Alter von 15 und 17 Jahren waren nach Behördenangaben auf dem Weg zum Cricket-Spielen, kurz zuvor wurde in der Gegend ein Raubüberfall verübt. Polizisten waren im Einsatz, die Leute nervös. Mit ihrer großen Sporttasche seien die Jugendlichen offenbar für die Täter gehalten worden, sagte Behördensprecher Mujahid Sherdil der Nachrichtenagentur AP.

Rätselraten um Identität des Kameramanns
Von wem die Videoaufnahmen der Lynchjustiz stammen, ist nicht bekannt. Berichten zufolge hatten mehrere umstehende Männer ihre Mobiltelefone gezückt. Im Fernsehen wurden die schlimmsten Szenen unkenntlich gemacht, verschiedene Gesichter sind allerdings klar erkennbar, darunter die von Polizisten in Uniform.

Ganz neu sind solche Bilder nicht: In den vergangenen zwei Jahren wurden mehrfach Polizisten und Soldaten dabei aufgenommen, wie sie auf Verdächtige einprügeln. Im Jahr 2008 wurden in der Stadt Karachi zweimal mutmaßliche Räuber von einem aufgebrachten Mob verbrannt. Das Bild eines Mannes inmitten der Flammen war damals auf den Titelseiten der Zeitungen zu sehen.

Bürgerrechtler verurteilten den jüngsten Mord in Sialkot, und die Medien schielen vor allem darauf, wie die Regierung auf die Bluttat reagiert. Viele Verdächtige werden aber niemals gefasst - was wiederum Mobs ermutigt, das Recht selbst in die Hand zu nehmen.

Innenminister besucht Familie der Getöteten
Der pakistanische Innenminister Rehman Malik besuchte die Familie der ermordeten Brüder am Sonntag und rief die Bevölkerung auf, die Ermittlungen zu unterstützen. Mindestens zehn Verdächtige seien bereits festgenommen worden, darunter vier Polizisten. Die Sicherheitskräfte hätten wenigstens in die Luft schießen sollen, um die Menge aufzulösen, sagte Malik. Niemand dürfe zu Lynchjustiz greifen: "Solche Zwischenfälle kann sich keine zivilisierte Gesellschaft leisten", betonte der Minister. Ganz Pakistan wolle die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen, "und es werden Forderungen aus dem Volk laut, dass sie genau da gehängt werden sollten, wo sie die beiden Brüder ermordet haben".

In einem Zeitungskommentar hieß es am Sonntag, Ursache für den öffentlichen Mord in Sialkot - und der Verzweiflung der Armen angesichts der verheerenden Überschwemmungen - sei die "potenzielle Unfähigkeit des Staates, seine Bürger zu schützen und für sie zu sorgen". Die erfolgreichen Eliten "lieben Pakistan nicht", schrieb Ghazi Salahuddin. "Sie haben dieses Land nie geliebt."

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