#blacklivesmatter

Run The Jewels: Gegen die Krankheit Rassismus

Musik
03.06.2020 06:00

Aufgrund der Aufständen in den USA veröffentlichen Run The Jewels ihr lang ersehntes neues Album „RTJ4“ bereits ein paar Tage vor und verschenken es an die Fans. Killer Mike und El-P haben einmal mehr die aktuelle Seele Amerikas abgebildet und dabei nichts beschönigt. Ein klangliches Statement für Gleichheit, Friede und Vereinigung.

(Bild: kmm)

Amerika brennt - wegen einer angeblich falschen 20-Dollar-Note. Mit einer solchen wollte George Floyd am 25. Mai in Minneapolis seine Einkäufe bezahlen, bevor sich Polizist Derek Chauvin für acht Minuten und 46 Sekunden auf seinen Hals/sein Genick kniete und ihm damit - trotz mehrmaligem Flehen - jede Chance auf ein Überleben nahm. Festgehalten auf Handykameras, die den entscheidenden Unterschied ausmachen. Rassismus ist in den USA schon seit jeher ein Problem, Polizeibrutalität ebenso. Was früher noch relativ locker vertuscht werden konnte, ist anhand der modernen Technologie und aufmerksamer Passanten nicht mehr so leicht möglich. Diese acht Minuten und 46 Sekunden haben die USA umfassend in ihren Grundfesten erschüttert. Straßenkämpfe, Plünderungen, Gewalt als die hässliche Seite des Seins. Aufbegehren, Stellung beziehen und für eine Welt ohne Rassismus zu kämpfen als die gute.

Protest vs. Zerstörungswut
Selbst die Musikindustrie hat sich (fast) flächendeckend dazu entschieden, am vergangenen #blackouttuesday die Arbeit niederzulegen, um ein Zeichen zu setzen. Spotify hat in speziellen Playlists eine Pause von acht Minuten und 46 Sekunden eingebaut und Künstler, Sportler und Prominente aus allen Bereichen erheben ihre Stimme, um einerseits dem Rassismus endlich einen Riegel vorzuschieben und andererseits an die Vernunft der Protestierenden zu appellieren - trotz der prekären Situation. Einer davon ist Run The Jewels-Rapper Killer Mike, der in seiner Heimat Atlanta eine berührende, schon jetzt in die Annalen der Thematik eingehende Rede hielt und als Sohn eines schwarzen Police Officers mit tränenerstickter Stimme dazu aufrief, berechtigen Protest nicht mit blinder Zerstörungswut zu verwechseln.

Run The Jewels, das kongeniale Duo bestehend aus Killer Mike und dem New Yorker Beat-Bastler El-P, haben ein beeindruckendes Talent für das korrekte Timing. Ihr Zweitwerk „RTJ2“ erschien während der Ferguson-Proteste nach dem Mord an dem schwarzen Bürger Michael Brown, „RTJ3“ direkt nach der Präsidenteninauguration Trumps im Herbst 2016 und das lang ersehnte „RTJ4“ nun genau zum brutalen Floyd-Mord. Ob kosmische Fügung oder wundersames Schicksal - die Schlagzeilen sind Run The Jewels gewiss. Ob sie wollen oder nicht. Lieber wäre es dem Duo freilich, könnte man sich auf die Musik konzentrieren. Doch natürlich ist auch die niemals von federnder Leichtigkeit durchzogen. Mit den global wichtigen Themen Kapitalismuskritik, Gesellschaftsbeobachtung und Rassismus treffen Run The Jewels seit jeher ins Schwarze. Dass die Themenpalette von einer derartigen Zeitlosigkeit ist, zeigt vielmehr wie erbärmlich der Zustand der Welt ist, als wie thematisch eingeschränkt die beiden sich im Allgemeinen bewegen. Mit dem Song „Early“ hatten sie schon 2014 eine explizite Kritik an Polizeibrutalität gegenüber Schwarzen angebracht.

Das Lachen steckt im Hals
Wie prophetisch Run The Jewels tatsächlich sind, zeigt sich mitunter im Text zum Track „Walking In The Snow“, in dem Killer Mike den dramatischen Tod Floyds fast deckungsgleich vorhersah. Es sind auch für die beiden Bandmitglieder schwierige Zeiten, denn Mike als auch El-P sind grundfröhliche Menschen, die ihre kritischen Texte stets und in vollem Bewusstsein mit einer erklecklichen Dosis Humor durchziehen. Doch das Lachen, das bleibt auch den beiden immer öfter im Hals stecken. Ob die Ansprache in seiner Heimat Atlanta Killer Mike zu einer Art Gallionsfigur in einer neuen Bürgerrechtsbewegung macht, bleibt offen. Der Vollblutrapper aus dem Outkast-Umfeld genießt das Vertrauen seiner Mitbürger und beweist nicht zuletzt musikalisch seit jeher, dass sich pointierte Kritik und vernünftiges Auftreten nicht immer beißen müssen. Nach Killer Mikes beeindruckender Ansprache gab El-P bekannt, den fast siebenminütigen Album-Closer „A Few Words For The Firing Squad“, der sich gegen den nicht enden wollenden Rassismus in den USA lehnt, vorab zu veröffentlichen.

Mit dem Zusatz #blacklivesmatter kommentierte er auf Instagram: „Das hier geht raus an die Leute, die aussehen wie ich. Ohne potenzielle Diskussion und ohne Kommentarfunktion. Auch wenn es eine Tatsache und richtig und die unbestreitbare Wahrheit ist, müssen wir es (tragischerweise offensichtlich) immer und immer wieder sagen, bis die Machtstrukturen dieser Welt und die von Hass zersetzten Herzen es nicht mehr hören müssen.“ Aufgrund der angespannten Situation haben Run The Jewels die Veröffentlichung von „RTJ4“ auf digitalem Wege spontan auf heute (Mittwoch) vorverlegt und stellen Fans und Hörern das gesamte Album kostenfrei zur Verfügung. Es soll für alle zur Verfügung stehen, die „etwas Musik haben wollen“, denn nur so könnten sie sich „wirklich an dem menschlichen Kampf beteiligen.“ Dass die einmal mehr grandiose Musik des Duos in diesen Tagen in den Hintergrund rückt, ist man anhand des zuvor beschriebenen Timings gewohnt. Viel wichtiger ist aber ohnehin die permanente Relevanz, die Statements, Songs und das Album an sich ausdrücken.

Drittes Bandmitglied
Dabei gibt der Inhalt der beiden Freunde erneut viel Stoff zum Nachdenken. Etwa im Song „Pulling The Pin“, wo der von Killer Mike dargestellte Protagonist aufgrund der Ungerechtigkeit des Systems mit einer Waffe in der Hand der Verzweiflung und dem Suizid nahe ist. Das famose Timbre der Soul-Diva Mavis Staples und Queens Of The Stone Age-Chef Josh Homme verfeinern den dunklen Track zu einem besonders intensiven Erlebnis. Auf „Ju$t“ hört man neben dem einstigen Top-Produzenten Pharrell Williams auch Bandbuddy Zack de la Rocha, der sich schon seit Jahren im Umfeld von Run The Jewels bewegt und ein Bruder im Geiste ist. El-P sieht ihn nach der dritten Kooperation längst als inoffizielles drittes Bandmitglied, mit den reformierten Rage Against The Machine wären Run The Jewels im Vorprogramm auch auf große Welttournee gegangen. Im Sommer USA, im Herbst Europa - das muss jetzt warten, ebenso wie die gute Position am Billing des Coachella Festivals.

Rage Against The Machine haben ihre Wut gegen Unterdrückung und die oberen Zehntausend vor knapp 30 Jahren in Funk-betonten Rock gegossen, Run The Jewels setzen bei der durchdachten Systemkritik auf Rap und Hip-Hop. Nicht umsonst galt die vorerst auf 2021 verschobene, aber noch nicht überall nachterminisierte Tour vielen als Package des Jahres. Musikalisch mag sich „RTJ4“ vielleicht nicht wirklich eklatant vom grandiosen Vorgänger abheben, inhaltlich haben die beiden Kumpel den gegenwärtigen Gesellschaftsteufel bei den Hörnern gepackt, um aufmerksamen Hörern einen profunden Einblick in das Wesen und die Abscheulichkeit des modernen Amerikas zu geben. Doch wie sagt schon Killer Mike in seiner eingangs erwähnten, emotionalen Rede: „Es ist eure Pflicht, eure eigenen Häuser nicht abzufackeln aus Wut auf den Feind. Es ist eure Pflicht, euer eigenes Haus zu stärken, um darin Zuflucht zu gewähren und zu organisieren.Es ist an der Zeit, sich zu verschwören, zu planen, Strategien zu entwerfen, zu organisieren und mobilisieren“. Manchmal ist Musik einfach wirklich nur nebensächlich. Selbst wenn sie so gut klingt wie auf „RTJ4“. #blacklivesmatter

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