Österreich-Spiel prägt

Sport in „Orbanistan“: Euro-Milliarden für Traum

Fußball International
30.05.2020 08:18

Um den Sport in "Orbanistan" skizzieren zu können, muss man den Stellenwert des Sports in Ungarn verstehen. In einem Land, in dem die 2:3-Niederlage im Fußball-WM-Finale von 1954 mit einer nationalen Tragödie gleichgesetzt wird, sind im Sport die Erwartungen allgemein sehr hoch. Unter Viktor Orbans Ägide sind diese sogar gewachsen, weil nun auch wirtschaftlich für die nationalen Erfolge mobilisiert wird. Orban instrumentalisiert den Sport, vor allem seinen Lieblingssport Fußball, seit langem.

„Wie wichtig Sport für das kollektive Bewusstsein in Ungarn immer noch ist, zeigt die Tatsache, dass nach dem EM-Sieg gegen Österreich auf den ungarischen Autobahnen überall auf Leuchtreklamen das Resultat zu lesen war“, sagt Kalman Kovacs (54, unten im Bild), früherer 56-facher ungarischer Nationalspieler. Orban gilt als größter Fußballfan Ungarns (Zitat Szabados). Seine militanten Slogans hat er größtenteils aus der Welt des Fußballs, wo er sich wohlfühlt. Er war selbst Fußballer, zuerst bei MAV Elöre in Szekesfehervar und dann beim Budapester Viertligist Erdért. Er spielte Rechts-Außen. Orban ernannte schon 1998, bei seiner ersten Regierung, einen Sportminister. Seine guten Kontakte zur Sportwelt sind sprichwörtlich.

Beispielloses Stadion-Aufbau-Programm
2010, als er wieder an die Macht kam, kündigte er ein Stadion-Aufbauprogramm an. Seither wurde eine Milliarde (!) Euro für Stadionrekonstruktionen ausgegeben. Aber auch für andere Ballsportarten und Eishockey ließ der autoritäre ungarische Premier ein Untertstützungskonzept ausarbeiten. Daher belaufen sich diese Ausgaben mittlerweile im Sport insgesamt auf mehr als vier Milliarden Euro (Quelle: Wirtschaftsportal „Mfor“). „Die Regierung beabsichtigt keine Rendite aus diesen Investitionen zu generieren, sondern nur sogenannten“gesellschaflichen Nutzen".. Sie will Gemeinschaften aufbauen. Auf nationaler und regionaler Ebene. Und ein besseres Mittel, als den Sport, gibt es dafür nicht“, meint Gabor Szabados (43, unten im Bild), ungarischer Sportökonom.

Olympia-Bewerbung verhindert
Die Kosten für den Durchschnitts-Ungarn hätten durchaus noch viel höher ausfallen können, hätte eine junge Bewegung in Budapest die Bewerbung für die Olympia 2024 durch eine Unterschrift-Sammel-Aktion nicht verhindert. Einer von Orbans Träumen wurde also vorerst nicht wahr. Sämtliche andere aber schon: So zum Beispiel das Stadion-Schmuckkästchen vor seinem eigenen Garten in Felcsut, inklusive einer (ständig leeren) Eisenbahn als Zubringer. Und dass Ungarn als Veranstaltungsland wieder hoch im Kurs ist: Fußball-EM-Austragungsort 2021, Schwimm-WM 2017, Formel-1, Handball EM 2022 und 2024, Leichtathletik-WM 2023, Europa League Finale 2022 sind nur die Highlights des ungarischen Sportkalenders.

Allerdings konnte das Sportland Ungarn trotz der Investitionen keinen signifikanten Erfolgszuwachs aufweisen. Einzige Ausnahme: Die Fußball-EM 2016 in Frankreich, wo man es ins Viertelfinale schaffte (auch dank des Sieges gegen Österreich in der Vorrunde, nach dem, wie Sportökönom Szabados erzählt, die erste spontane Massenreaktion der Bevölkerung seit der Revolution 1956 zu registrieren war). Auch die Zuschauerzahlen sind bei den Meisterschaften konstant niedrig geblieben, im Schnitt in der ersten ungarischen Fußball-Liga sind das 3100 Zuschauer pro Spiel.

Obwohl Orban in den Breitensport investieren wollte, sind die Ungarn nicht sportlicher geworden, als zuvor., 53 Prozent der Magyaren machen überhaupt keinen Sport (Quelle Portal „Index.hu“). Das meiste Geld wird für die ohnehin vollgestopften Erstliga-Teams ausgegeben, der Nachwuchs bekommt nur kleinere Brocken. Positiv: Trotzdem sei ein Zulauf beim Nachwuchsfußball zu registrieren und auch in den anderen herausgehobenen Sportarten sollen um 20-30 Prozent mehr Kinder und Jugendliche anfangen, sagt Ex-Fußballer Kovacs.

Hundertfache Überzahlung
Weshalb schaut also mancher Österreicher neidisch auf das Nachbarland, wenn es um Sport geht? Weil derzeit Ungarn das Land der unbegrenzten Möglichkeiten in Sachen Sport ist. Koste es, was es wolle. Sportökonom Szabados kritisiert den staatlichen Einfluss innerhalb der Vermarktung des ungarischen Sports. Der Staats-TV-Sender zahle für die Spiele der ungarischen Fußballiga mindestens das Doppelte (3,8 Milliarden HUF - ca. 10,3 Millionen Euro) des eigentlichen Wertes, Verbandhauptsponsor Glücksspiel AG sogar das Hundertfache der tatsächlichen Gegenleistung, sagt der Experte.

Ungarn ist ein Staat, in dem nicht eingesetzte Erstliga-Fußballer ein Vermögen (5-6000 Euro im Monat) verdienen, während das Gehalt der Ärzte, Krankenschwestern und Pflegern so niedrig ist, dass sie praktisch gezwungen sind, das Land in Scharen zu verlassen. Aber vom ungarischen Sport lässt es sich gut leben. Vor allem für die Orban-treuen Oligarchen, die mittlerweile bei fast jedem Verein das Sagen haben: Videoton (Istvan Garancsi), Puskas Akademia (Lörinc Meszaros, rechte Hand Orbans, oben im Tweet), Ferencvaros (Gabor Kubatov), aber die Liste ist noch lang. Aufrechterhalten wird das System von staatlichen Subventionen (sprich Steuergeld) und von einer besonderen Art von Steuer für Unternehmer in Ungarn, der sogenannten TAO (Körperschaftssteuer). Das ist 9 Prozent der Steuerbemessungsgrundlage, mit denen frei Sport und Kulturvereine gefördert werden dürfen. Hauptnutznießer des neuen Systems sind Vereine, die gelinde gesagt keine Zuschauermagneten sind, so zum Beispiel das Fußball-Team Puskas Akademia aus dem Heimatdorf des Premiers mit einem Zuschuss von 71 Millionen Euro in den letzten 9 Jahren. Oder die Frauen-Handballmannschaft von Siofok mit etwa 13 Millionen Euro.

Geldwäsche?
Der Verdacht der Geldwäsche liegt nahe, zumal diese Vereine in den letzten Dekaden aus dem Nichts gegründet wurden, extrem viele teure Legionäre in ihren Kadern haben und auch die Klub-Infastruktur immer wieder neu ausbauen. So, wie die anderen finanzkräftigen ungarischen Klubs. Mit Investitionen in die immer gleichen Orban-nahen Firmen, die irgendwie immer ein paar (Dutzend) Milliarden Forint teurer sind, als geplant. Aber die Geldpumpe des Staats scheint sich durch solche Kleinigkeiten nicht aufhalten zu lassen. Sogar kleine Dörfer bekommen solche Subventionen, auch wenn manche zeigen, dass es wichtigeres als Sport gibt und das Geld zurückschicken. Auch die Vereine der ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern (Sankt Georgen (Rumänien), Dunajska Streda (Slowakei) und Backa Topola (Serbien) kassieren vom ungarischen Staatsgeld. „Um Gemeinschaft zu erzeugen“, sagt Sportökonom Szabados.

Spielball der Politik
Wie die Zusammenarbeit von Politik und Sport in Ungarn funktioniert, belegt die kleine Geschichte um Ex-Hypo-Torhüterin Marianne Racz (im Bild oben). Die Sportdirektorin des mittlerweile aufgelösten dritterfolgreichsten ungarischen Frauen-Handballvereines Erd meinte: „Wir wurden zum Spielball der Politik“. Weil der neugewählte Bürgermeister Laszlo Csözik offenlegte, wieviel die Spielerinnen und Trainer in der Vorstadt von Budapest verdienen. Niemand unter 4.000 Euro. Und wer bezahlte das? Natürlich die Stadt. Bis zu den Regionalwahlen im Herbst ging das auch problemlos. Und in den meisten Städten Ungarns machte das seit zehn Jahren währende Sportsponsoring auch danach nicht halt.

Coronavirus und Fußball
Und auch durch das Coronavirus nicht. Es wurden sogar für die Sportvereine Körperschaftssteuer-Erleichterungen in die Wege geleitet. So kann sich ein Klub jetzt auch ohne Eigenkapital um eine Infrastruktur-Rekonstruktion bewerben. Aber selbst die Epidemie-Steuer kann man sich mit Abgaben an die Sportvereine zum Teil sparen. Die Organisation der Profifußballer stellte ein Hilfspaket für die ärmsten Fußballer zusammen, nachdem bekannt wurde, dass die Löhne der Kicker bei manchen Klubs um 20-50 Prozent gesenkt werden.

Während also Hunderttausende von Ungarn von einem Tag auf den anderen ihre Arbeit verloren und während aus Spitälern schwerstkranke Menschen nach Hause geschickt wurden, weil die Orban-Regierung 33.000 Betten für die Pandemie räumte, während alle auf ein wirtschaftliches Hilfspaket Orbans warteten, wich Ungarn nie auch ein bisschen von seiner bisherigen Sportpolitik ab.

Nur die Resultate, die lassen auf sich warten.

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(Bild: KMM)



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