Der neue EU-Machtkampf

Wie viel ist die europäische Solidarität wert?

Ausland
26.05.2020 06:00

Angela Merkel, Emmanuel Macron, Sebastian Kurz und die „Sparsamen“ führen anhand des „Wiederaufbaufonds“ einen Machtkampf um den Führungsanspruch in der EU. Der Preis könnte das Ende der europäischen Solidarität sein.

Der politische Schwenk der deutschen Kanzlerin Merkel war riskant. Stand sie bislang an der Seite der „Sparsamen Vier“ - was eine Schuldenpolitik betrifft -, so ist sie nun bereit, zur Rettung des Europa-Gedankens Schulden aufzunehmen. Gefallen tut ihr das nicht, befürchtet sie doch auch die Hauptlast der 75 Milliarden Euro, die durch den Brexit im EU-Budget fehlen werden, auffangen zu müssen. Aber Deutschland und Österreich haben lange vom Euro-Raum profitiert. Merkel jedoch scheint das nun anzuerkennen.

„Österreich erwirtschaftet seit Jahren einen Leistungsbilanz-Überschuss, zuletzt von etwa zwei Prozent. Deutschland hat acht, die Niederlande sogar mehr als zehn Prozent“, sagt Philipp Heimberger vom Institut für Internationale Wirtschaftsforschung. Experten wie Markus Marterbauer, Professor für politische Ökonomie an der Uni Wien, warnen seit Jahren vor einem Importdefizit Österreichs. Was das ist? Sehr vereinfacht gesagt lebt Österreich unter dem Wohlstandsniveau. Ganz simpel müsste sich der Überschuss in höhere Löhne oder höhere Investitionen (Infrastruktur etc.) und dadurch in höheren Konsum und damit in höhere Importe ausgleichen. Da aber höhere Löhne beispielsweise nicht verordnet werden können, liegt es an Gewerkschaften, sie kollektivvertraglich auszuverhandeln. Im Umkehrschluss könnte das auch bedeuten, dass wir nicht zu viele Exporte haben, sondern uns zu wenige Importe leisten können.

Was aber bedeutet der Überschuss der „Sparsamen Vier“ auf internationalem Parkett? Wenn irgendwo Überschuss da ist, muss anderswo etwas fehlen. Wenn also Österreich weniger importiert, wird woanders weniger exportiert, ergo fallen Schulden an.

„Wer Europa hilft, hilft Österreich“
Durch die gegenseitige Abhängigkeit im europäischen Wirtschaftsraum ist die Wirtschaftskrise des einen bald die Wirtschaftskrise aller. Ex-Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny warnte zudem, „aus dieser Diskussion einen Disput zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern zu machen. Schließlich ist Italien ebenfalls Nettozahler.“ SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner stellte klar: „Wer Europa hilft, hilft Österreich.“ Es sei „nicht nur ein Akt der europäischen Solidarität, sondern ein Akt der wirtschaftlichen Vernunft“.

Am Mittwoch soll in Brüssel ein Kompromiss gefunden werden. Die „Sparsamen Vier“ haben ihre Maximalposition abgesteckt, ebenso Frankreich und Deutschland. Das gehört zu den Spielregeln europäischer Verhandlungen, diese sind auch in Zeiten der Pandemie nicht außer Kraft gesetzt. Merkels und Macrons Plan muss man nicht folgen, ganz im Gegenteil. Und man darf auch den Führungsanspruch der beiden ablehnen, wie es Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande tun.

Kurz treibt den politischen Preis in die Höhe
Kanzler Kurz treibt jedoch mit seiner Vorgehensweise den politischen Preis in die Höhe. Damit riskiert er größere Risse im europäischen Zusammenhalt und einen Kollaps des Euro-Raums. Vor der CDU-Fraktionssitzung hört man deswegen Missmut aus der deutschen Kanzler- und ÖVP-Schwesterpartei. 2012 konnte die EZB den Zusammenbruch des Euro-Systems verhindern. Legendär der Ausspruch ihres damaligen Präsidenten Mario Draghi: „Was immer es kostet.“ Ob die EZB das ein zweites Mal schafft, ist zu bezweifeln, heißt es aus deutschen Regierungskreisen.

Wie kann aber der Kompromiss aussehen? Es könne nur sinnvoll funktionieren, „wenn er eine substanzielle Komponente an Zuschüssen enthält, sodass das Geld in die besonders stark von der Pandemie betroffenen Sektoren und Regionen fließen kann. Es besteht natürlich die Gefahr, dass ein Kompromiss erzielt wird, der nicht ausreicht, um Ländern wie Italien und Spanien wirklich Erleichterung und Erholung zu verschaffen“, lautet die Analyse des Instituts für Internationale Wirtschaftsforschung.

Ländern wie Portugal, das eine Schuldenquote von 122 Prozent hat, droht, nur mit Krediten auf eine Quote von 145 Prozent zurückzufallen, wie am Höhepunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Kompromiss zum „Wiederaufbaufonds“ ausgerechnet an Österreich und drei anderen Staaten scheitern wird, die zu den größten Gewinnern der europäischen Einigung gehören.

Clemens Zavarsky, Kronen Zeitung

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