Preis der Isolation

Arzt: „So viele Suizide wie sonst in einem Jahr“

Ausland
25.05.2020 12:08

Die psychischen Folgen des Lockdowns und der Isolation sind nach Angaben von Medizinern bereits unübersehbar. Ärzte und Krankenschwestern des John Muir Medical Center in der kalifornischen Stadt Walnut Creek nahe San Francisco berichten nun sogar, dass sie während der Isolation mehr Tote durch Suizid als durch das Coronavirus selbst gezählt hätten.

Innerhalb von nur vier Wochen habe es so viele Suizidversuche wie sonst in einem ganzen Jahr gegeben, berichtet Dr. Mike deBoisblanc, Leiter der Notaufnahme des Krankenhauses in Walnut Creek, im Gespräch mit dem Sender ABC News.

„Soziale Isolation hat einen Preis“
Mit dieser Aussage schaltet sich das medizinische Personal in die Diskussionen über die Lockerungen der Ausgangssperren ein. Sie hätten sich entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen, weil sie die Welle der Selbsttötungen nicht länger ignorieren könnten. DeBoisblancs Kollegin Kacey Hansen arbeitet seit 33 Jahren als Pflegerin in dem Spital und teilt seine Besorgnis: „Soziale Isolation hat einen Preis. Das habe ich von Beginn an gewusst. Aber der Preis ist viel höher, als ich befürchtet hatte.“

„Das sind keine Hilferufe“
„Was ich jetzt gesehen habe, habe ich noch nie zuvor erlebt. Ich habe noch nie so viele absichtlich beigebrachte Verletzungen gesehen.“ Wegen der Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit der Patienten sei es auch nicht möglich, so viele Menschen wie sonst üblich zu retten, klagt Hansen. „Sie wollen einfach sterben“, so die Krankenpflegerin. „Manchmal machen Menschen das, was wir eine ,Geste‘ nennen. Das ist dann ein Hilferuf. Wir sehen im Moment nur etwas ganz anderes. Es ist erschütternd.“

Folgen von Krisen zeichnen sich ab
Dass infolge einer Krise mehr Menschen psychisch erkranken, legen auch frühere Erfahrungen nahe: So wies das Autorenteam um Sando Galea von der Boston University im „Journal of the American Medical Association“ vor Kurzem darauf hin, dass nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York zehn Prozent aller Erwachsenen Symptome einer Depression entwickelten. Sowohl nach der Spanischen Grippe in den USA als auch nach der SARS-Epidemie in Hongkong brachten sich mehr Menschen um als sonst, wie ein Beitrag britischer Psychiater in „Lancet Psychiatry“ beschreibt.

Für Dr. deBoisblanc kann die Vielzahl an Fällen psychischer Erkrankungen nur eine Konsequenz nach sich ziehen: eine Lockerung der verhängten Ausgangssperre. „Ich persönlich denke, dass es an der Zeit ist.“

Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 142. Weitere Krisentelefone und Notrufnummern finden Sie HIER.

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