Frauen in der Krise

„Es gibt keine mächtige Lobby, die aufschreit“

Tirol
25.05.2020 17:00

Die Politik hat sich darauf verlassen, dass Frauen in der Krise die Mehrarbeit leisten. Das hat geklappt. Denn während Frauenthemen von den politischen Agenden verschwanden, zogen traditionelle Rollenbilder wieder ein. Stehen wir deswegen nun wieder am Anfang?

Man stelle sich vor, Frauen würden ein, zwei, drei oder sieben Tage nicht arbeiten. Umsätze würden zurückgehen, Systeme kollabieren, Kinder verwahrlosen – Menschen sterben.

Denn es sind zum Großteil Frauen, die in lebenswichtigen Berufen arbeiten. Es sind zum Großteil Frauen, die die unbezahlte Arbeit Zuhause leisten. Es sind Frauen, die bei geschlossenen Schulen und Betreuungseinrichtungen das „Homeoffice“ überhaupt ermöglichen. Es sind Frauen, die kochen, putzen, erziehen, pflegen, organisieren – und die Wirtschaft damit am Leben erhalten, auch wenn sie selbst wenig bis gar nichts dabei verdienen.

„Frauen sind quasi eine unbegrenzt belastbare Gruppe für den Staat“, sagt Alexandra Weiss, Wissenschaftlerin an der Uni Innsbruck. Sie arbeiten viel, wehren sich wenig.

Es gibt keine mächtigen Interessensvertreter
Im Gegensatz zur Autoindustrie, dem Fußball oder der Luftfahrt haben Frauen keine mächtigen Interessensvertreterinnen, die aufschreien. „Es gibt keine Lobby“, sagt Weiss, „keine politischen Akteure, die ernsthaft die Interessen der Frauen vertreten.“

Dabei habe es schon andere Zeiten gegeben, wie die Wissenschaftlerin weiß: „In den 1980er und 90er Jahren war etwa Johanna Dohnal, Staatssekretärin und später Frauenministerin, eine starke Akteurin für Frauenanliegen auf Regierungsebene. Selbst ÖVP-Frauen verbündeten sich zum Teil mit Feministinnen.“ Heute scheint auch bei SPÖ oder Grünen Frauenpolitik randständig.

Nicht Männer-, sondern Frauenhass ist ein Problem
„Feminismus wurde in den vergangenen Jahren immer stärker als Männerhass dargestellt, was absurd ist“, sagt Weiss. Denn in unserer Gesellschaft sei Männerhass kein Problem - Frauenhass schon. Es reicht ein Blick auf die steigenden Zahlen rund um häusliche Gewalt und Frauenmorde.

Klassisches Rollenbild wird hier zementiert
Eigentlich könne es keine Gründe geben, gegen Gleichberechtigung zu sein – dennoch, genau das sei passiert. „Deshalb wurde es für politische Parteien auch immer uninteressanter, sich dafür zu einzusetzen. Gleichzeitig wird das klassische Rollenbild in Österreich zementiert“, erklärt Weiss.

„Es gab einen Systemwechsel. Der neoliberale Kapitalismus stellt alles in Frage, was mit Solidarität oder Sozialstaat zu tun hat“, schildert die Politologin. „Das trifft alle hart, aber Frauen eben noch mehr, denn sie brauchen den Sozialstaat dringender.“

Pandemie zeigt, wie wichtig Sozialstaat ist
Vor allem eine ausgebaute soziale Infrastruktur in der Pflege, der Kindererziehung und -betreuung, aber auch ausreichende Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, die eine eigenständige Existenzsicherung erlauben. „Die Pandemie führt vor Augen, wie sehr wir einen Sozialstaat brauchen.“

Denn das dieser nur koste, sei nicht wahr – auch wenn das vielleicht nicht in einer Legislaturperiode sichtbar werde, was oft das Problem sei. „Eine ausgebaute Kinderbetreuung bringt Arbeitsplätze, Steuern und spielt andere zum Arbeiten frei“, so Weiss. Dennoch ist man von flächendeckender Kinderbetreuung weit entfernt.

Corona macht die Ungleichheit sichtbar
Es sei nicht die Pandemie, die die Frauen zurück hinter den Herd katapultiert, sondern die soziale und ökonomische Ungerechtigkeit – die Pandemie mache lediglich sichtbar, was schon seit Jahren passiere. Wie geht es nun aber weiter? Die UN erwarten langfristige Einkommensverluste für Frauen und einen Einbruch der Frauenerwerbsquote. Stehen wir also wieder am Anfang?

„Das kommt darauf an, wie sehr es nun thematisiert wird“, sagt Weiss. Nur weil etablierte Parteien sich kaum einsetzen, heiße das nicht, dass es niemand tut. „Es gibt auch politische Akteure jenseits des Parlaments, wie Vereine und soziale Bewegungen.“

Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Journalistinnen – es gebe viele, die laut werden können, sodass Druck entstehe, der bis in die Politik reicht. Die Pandemie legt offen, was Frauen leisten – nebenbei und unbezahlt. Sie bestimmt aber nicht, dass das auch so bleiben muss.

In der Pflege sind 80% Frauen tätig. Im Lebensmittelhandel sind es 71%, in Gesundheitsberufen 62% - sie alle sind „systemrelevant“. Laut einer aktuellen Sora-Studie haben in der Krise in 23% der Haushalten die Väter die Hauptverantwortung für Kinderbetreuung übernommen, allerdings vor allem dort, wo der Mann ohnehin zu Hause, die Frau in einem systemrelevanten Beruf ist. Mütter sind in 42% hauptverantwortlich für die Kinderbetreuung.

Anna Haselwanter
Anna Haselwanter
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