Folgen einmalig

Filzmaier-Analyse: Ein Jahr nach dem Ibiza-Video

Politik
17.05.2020 06:00

Am 17. Mai 2019 führt ein Videoauftritt Heinz-Christian Straches zum Mega-Skandal. Die Folgen - Koalitionsende, Neuwahlen, Abberufung der Regierung mittels Misstrauensantrag und Bildung eines Expertenkabinetts - waren einmalig in der Geschichte der Zweiten Republik.

1. Zur Erinnerung: Strache - Parteichef der FPÖ und später Vizekanzler - offenbarte seine Wunschträume, mit ausländischer Hilfe die „Krone“ als größte Tageszeitung des Landes zu kapern. Er wollte unabhängige Journalisten hinauswerfen und Parteischreiberlinge anstellen. Im Video gebärdete Strache sich als Antidemokrat, der Staatsgeschäfte wie einen Kuhhandel handhabt. Als könne er in Österreich einem Unternehmen Aufträge entziehen, um sie einer russischen Geldgeberin wie Gratisgetränke im Bierzelt zu geben.

2. Parteispenden sollten am Rechnungshof vorbeigeschwindelt werden und so weiter und so fort. Strache handelte peinlich, verantwortungslos und dumm. Das sagte der Ex-FPÖ-Chef selbst in einem seiner wenigen Reuemomente. Egal, ob Straches Fantasien rechtswidrig waren: Wenn ein derartiges Gerede jemand nicht moralisch für öffentliche Ämter disqualifiziert, was sonst? Zudem hat Strache sogar in seiner Rücktrittsrede minutenlang alle und jeden beschuldigt, bevor er sich entschuldigte. Bei seiner Frau, niemals jedoch bei den Österreichern oder seinen enttäuschten Wählern.

3. Herr Strache hat kein Amt mehr und scheint jenseits der Politik arbeitslos zu sein. Hatte Ibiza also große Folgen? Der Ex-Vizekanzler und seine Ex-Partei haben sich mit dem Videoauftritt plus den Skandalen danach - Stichwort Spesenaffäre mit dem Strache’schen Mietkostenzuschuss von 2500 Euro im Monat - ins Knie geschossen. Die FPÖ hat in der Nationalratswahl und in drei Landtagswahlen - in Vorarlberg, der Steiermark und dem Burgenland - überall bis zu rund zehn Prozentpunkte der Stimmen verloren.

4. Ein Großteil dieser Stimmen ist zur ÖVP oder ins Nichtwählerlager gewandert. Allein bei der Nationalratswahl gingen knapp 260.000 Wähler von den Blauen zu den Türkisen mit Sebastian Kurz. Rund 230.000 Ex-FPÖler blieben am Wahltag zu Hause. Umgekehrt bekam die ÖVP ein paar Flankentreffer des Strache-Skandals ab. Doch verlor sie im Vergleich mit den Zuwächsen von der FPÖ nur rund halb so viele Stimmen aus dem bürgerlich-liberalen Lager an Grüne und NEOS. Die ÖVP ist somit unter dem Strich ein Ibiza-Gewinner.

5. Weniger klar ist, ob es seit Ibiza Veränderungen in der politischen Kultur gibt. Eher nein. Das Vertrauen in Politiker war schon vorher gering. Strache hat das „nur“ verstärkt. Das Gefühl mangelnder Transparenz bei der als schmutzig empfundenen Politik ist höchstens größer geworden. Als indirekte Konsequenz des Strache-Skandals gab es ein neues Gesetz für Parteispenden, eine echte Transparenzoffensive ist aber bestenfalls im ewigen Ankündigungsstadium.

6. Nun startet im Parlament ein Untersuchungsausschuss zum Thema Ibiza. Es geht um politisch fragwürdiges Verhalten, nicht um Rechtstatbestände. Strache hat ja über Spenden von Waffenhändlern und aus der Glücksspielbranche an Parteien oder seltsame Postenbesetzungen schwadroniert. In Wahlkämpfen darf jeder lügen, im Ausschuss müssen die Auskunftspersonen unter Wahrheitspflicht etwas dazu sagen. Auch Journalisten werden als Kenner des ganzen Videos erzählen, was Strache in den restlichen Stunden der versteckten Aufnahme daherredete. Ansonsten umfasst die Ladungsliste von Strache über Bundeskanzler Kurz bis zu den angeblichen Parteispendern eine Art Prominentenschau.

7. Apropos Wahrheit: Es gibt einen harten Kern von Anhängern Straches, die ihm unbedingt glauben wollen. Sogar dass ihm vielleicht Drogen verabreicht wurden und er bloß hereingelegt wurde. Diese Gruppe stimmt ohne irgendeinen Beleg jeder Verschwörungstheorie zu. Sei es jener eines manipulativ geschnittenen Videos oder dass anstatt eines rachsüchtigen oder geldgeilen Grüppchens sich halb Österreich abgesprochen habe, um Strache auf Ibiza zu schaden.

8. Für derart denkende Wähler ist unerheblich, ob gegen Strache ein Gerichtsverfahren eröffnet wird oder nicht. Sie würden das entweder als fortgesetzte Verschwörung sehen, oder das Ausbleiben einer Anklage gilt als Reinwaschung. Die Zahl der Strache-Fans genügt daher so oder so, dass ihm in Wien der Einzug in den Landtag und Gemeinderat gelingen kann. Zu Recht, denn einen Mandatsverlust gibt es nur bei einer unbedingten Haftstrafe von mehr als sechs Monaten oder einer bedingten Haftstrafe von über einem Jahr.

9. Die FPÖ und das neue Team Strache schaden sich dabei - im Wiener Wahlkampf - weiterhin gegenseitig. Man streitet um dieselben Wählergruppen. Wenn zudem jeder den Medien erzählt, ob in den gemeinsamen Jahren der jeweils andere unsaubere Dinge gemacht hat, dreht sich die Selbstbeschädigungsspirale endlos weiter.

Peter Filzmaier, Kronen Zeitung

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