Die negativen Effekte der Coronavirus-Krise treffen die steirische Industrie mit einer Zeitverzögerung. Ab Sommer und insbesondere im Herbst könnte die Entwicklung dramatisch sein. Ein Grazer Ökonom hat einen Milliarden-Schaden für die weiß-grüne Wirtschaft errechnet. Die „Krone“ sprach auch mit Industrie-Präsident Georg Knill: Zehn Prozent der Betriebe sehen einen „kritischen Rückgang“ der Auslastung.
Der Tourismus und die Gastronomie - von einem Tag auf den anderen stillgelegt. Vielen Handelsbetrieben und Dienstleistern ging es ähnlich. Die Corona-Krise traf sie mit voller Wucht. Die steirische Industrie hingegen stemmte sich dem Sturm wacker entgegen. Zwar sind Zehntausende Mitarbeiter in Kurzarbeit, es gab einige wenige Produktionspausen, etwa bei Magna - aber im Großen und Ganzen liefen die Werke auch während des „Lockdowns“ weiter.
Doch die wirklich schwierige Phase steht erst bevor, besonders im Herbst. Das prognostiziert Ökonom Eric Kirschner von Joanneum Research. „Ab Juni wird die Industrie deutlich stärker getroffen sein als andere Bereiche, auch wegen der internationalen Verflechtungen.“
Hohe Abhängigkeit von Deutschland und China
Die steirischen Produktionsbetriebe sind stark exportorientiert, die Erwartungen in diesem Bereich nun „dramatisch eingebrochen“. Vor allem zwei Märkte sind laut Kirschner noch wichtiger als weithin vermutet: der deutsche Fahrzeugbau und China. Probleme dort könnten mittel- und langfristig starke Auswirkungen auf die Steiermark haben. In Deutschland planen bereits 39 Prozent der Unternehmen im Automotive-Bereich, Beschäftigte abzubauen. Kein gutes Zeichen.
Die Pandemie stört auch die (globalen) Lieferketten, dazu kommen Produktivitätsverluste durch die Heimarbeit und - trotz stark steigender Arbeitslosigkeit - ein Fachkräftemangel. So meldeten in einer aktuellen Umfrage der Wirtschaftskammer-Sparte Industrie 52 steirische Betriebe noch 256 offene Lehrplätze.
Bereits Schaden von zwei Milliarden Euro
Ökonom Kirschner hat in seinen Forschungen auch die steirische Gesamtwirtschaft im Blick. Und die steckt in einer tiefen Rezession. Wann der Tiefpunkt erreicht ist und der Aufschwung beginnt? Das lässt sich nur schwer abschätzen, die Rahmenbedingungen ändern sich täglich. „Die ursprüngliche Hoffnung, dass sich die Wirtschaft rasch erholen wird, ist jedenfalls eine Illusion.“
Ein Schaden von zwei Milliarden Euro und ein Rückgang der steirischen Wirtschaftsleistung von vier Prozent seien bereits eingetreten. In einem optimistischen Szenario mit stufenweisen Lockerungen und einer Erholung ab September rechnet Joanneum Research mit einem Schaden von vier Milliarden Euro und einem Wirtschaftseinbruch um mehr als acht Prozent. „Das haben wir noch nie erlebt“, sagt Kirschner. Wie gesagt, das ist das optimistisches Szenario.
„Situation wird sich verschärfen“
Die „Krone“ sprach mit Georg Knill, Präsident der steirischen Industriellenvereinigung, über die dramatische Situation seiner Branche.
Herr Knill, wie ist die Lage in der Industrie?
Die Situation ist angespannt und wird sich über den Sommer weiter verschärfen. Der hohe Auftragsbestand, den wir zu Beginn der Krise hatten, schmilzt ab. Wir haben in der Vorwoche eine Blitzumfrage unter 80 Unternehmen gemacht. Die Hälfte erwartet, dass die Auslastung in den nächsten drei Monaten deutlich bis drastisch zurückgeht, zehn Prozent erwarten sogar einen kritischen Rückgang.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen?
Zentral ist die Einschränkung der Reisefreiheit. Es sind keine Vertriebsaktivitäten möglich, wir bieten ja keine Katalogprodukte, sondern müssen direkt mit den Kunden vor Ort reden. Baustellen können nicht abgeschlossen werden. Die steirische Industrie ist global aktiv, drei Viertel der Güter gehen in den Export. Derzeit sind 42 Prozent der Mitarbeiter in Kurzarbeit. Mit Reisefreiheit in Europa würde dieser Wert um etwa zehn Prozent sinken.
Sind Lieferengpässe ein großes Problem?
Nur am Anfang der Krise. Das hat sich mittlerweile verbessert. Der Warenverkehr war ja fast immer möglich.
Was gibt Hoffnung?
Was mich positiv stimmt: Die steirischen Unternehmen haben 2019 so viel investiert wie noch nie, mehr als 3,2 Milliarden Euro. Sobald die Märkte wieder aufmachen, ist unsere Industrie wieder vorne dabei. Eine Trendwende ist aber frühestens Ende dieses Jahres in Sicht. Eine Verlängerung der Kurzarbeit über die derzeit möglichen sechs Monate ist sicherlich notwendig.
Wird sich an der globalen Ausrichtung der Industrie etwas ändern?
Nein, die Krise hat gezeigt, wie wichtig Globalisierung ist. Sie wird die Antwort sein. Wir leben von einer vernetzten, arbeitsteiligen Welt. Natürlich können wir Abhängigkeiten reduzieren, das wird aber mit Kosten verbunden sein.
Viele haben Sorgen vor einer zweiten Corona-Welle. Ist ein zweiter „Lockdown“ verkraftbar?
Es herrscht Klarheit: Einen zweiten „Lockdwon“ wird es nicht geben können, das würden wir wirtschaftlich nicht packen. Wichtig ist daher auch Disziplin. In den steirischen Industriebetrieben sind die Hygiene-Maßnahmen mittlerweile eine Selbstverständlichkeit.
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