Streit um Kontrolle

Coronavirus – Wettlauf um die schützende Spritze

Wissenschaft
15.05.2020 02:44

Ein wirksamer und sicherer Impfstoff gegen Covid-19 gilt als die entscheidende Waffe im Kampf gegen die Pandemie. Weltweit forschen zahlreiche Pharmaunternehmen und Institutionen mit Hochdruck an einer Vakzine gegen das neuartige Coronavirus. Gleichzeitig wird der Wettstreit um die Kontrolle über das geeignetste Mittel immer aggressiver. Staats- und Regierungschefs aus aller Welt haben sich zuletzt für kostenlose Corona-Therapien und -Impfstoffe für alle Menschen weltweit ausgesprochen, sobald die Behandlungsmethoden verfügbar sind. Die EU-Kommission fordert einen „gerechten und allgemeinen“ Zugang.

Die London School of Hygiene & Tropical Medicine (LSHTM) listet weltweit fast 160 Projekte auf, bei denen an einem Impfstoff geforscht wird. Elf der möglichen Impfstoffe werden bereits in klinischen Studien am Menschen getestet, die meisten davon befinden sich in der Phase I: Das bedeutet, dass eine kleine Anzahl gesunder Freiwilliger geimpft wird, um in erster Linie die Sicherheit und Verträglichkeit und nur in geringerem Ausmaß die Wirksamkeit zu prüfen.

Forschung bei CanSino am weitesten fortgeschritten
Am weitesten fortgeschritten ist die Forschung beim in Hongkong börsennotierten Unternehmen CanSino, dessen Impfstoff bereits in der klinischen Studienphase II erprobt wird. Das heißt, es wird erstmals an einer größeren Versuchsgruppe ausprobiert, ob die Impfung wirkt. Vor einer eventuellen Marktzulassung müssen noch groß angelegte Studien der Phase III erfolgreich sein.

In Deutschland hat vor Kurzem die erste Testphase mit dem Impfstoffkandidaten des Mainzer Biotechnologieunternehmens BioNTech an 200 Probanden begonnen. Bis spätestens Anfang Juli werden erste Erkenntnisse zur Verträglichkeit erwartet. BioNTech arbeitet mit dem US-Pharmakonzern Pfizer zusammen und hofft, seinen Corona-Impfstoff auch in den USA testen zu können. Das Paul-Ehrlich-Institut, das bundeseigene Institut für Impfstoffe, hat die Prüfung des Impfstoffs genehmigt. Sein Präsident Klaus Cichutek rechnet zudem mit drei weiteren klinischen Tests von Impfstoffkandidaten.

Cichutek hält konkretere Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung gegen das neue Coronavirus bis zum Jahreswechsel für möglich. Falls klinische Prüfungen positiv ausfielen, „unterhalten wir uns gegen Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres darüber, wie man in Richtung einer Zulassung kommt“.

Mehrere chinesische Impfstoffe werden bereits erprobt
Auch drei chinesische Projekte befinden sich laut LSHTM in Phase I der klinischen Tests: das des Pharmariesens Sinovac sowie zwei des medizinischen Instituts in Shenzhen. Nach Informationen der Weltgesundheitsorganisation WHO werden auch der Impfstoff vom Institut für biologische Produkte in Peking und der des Virologischen Instituts in Wuhan bereits erprobt.

In Großbritannien hat das Impfstoffprojekt der Universität Oxford die erste Testphase erreicht. Im gleichen Stadium befinden sich zwei Entwicklungen aus den USA: der Impfstoffkandidat des Biotechnologieunternehmens Inovio Pharmaceuticals sowie jener, den das Unternehmen Moderna zusammen mit der Gesundheitsbehörde NIH entwickelt hat. In Frankreich will das Institut Pasteur im Juli mit klinischen Tests bei seinem erfolgversprechendsten Projekt beginnen.

Impfstoff muss massenhaft verabreicht werden
Um mit Impfungen die Pandemie zum Stillstand zu bringen und damit auch dauerhaft auf Sicherheitsvorkehrungen wie Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen verzichten zu können, muss der Impfstoff in riesigen Mengen produziert und massenhaft verabreicht werden. Sinovac hat bereits angekündigt, im Falle eines Erfolgs 100 Millionen Impfdosen pro Jahr herstellen zu wollen. Der US-Pharmakonzern Pfizer plant nach eigenen Angaben bis zum Jahresende die Herstellung von zehn bis 20 Millionen Dosen eines experimentellen Impfstoffs.

Die WHO und große Pharmalabore gehen davon aus, dass es allein bis zur Marktreife eines Impfstoffs zwölf bis 18 Monate dauern wird. Sollte aber tatsächlich bis Ende des Jahres oder im Laufe des kommenden Jahres ein Impfstoff einsatzbereit und in großen Mengen zur Verfügung stehen, wäre dies bisher einmalig, sagt der Experte Barney S. Graham von der US-Gesundheitsbehörde.

Wer wird über Verwendung entscheiden?
Angesichts des großen medizinischen und wirtschaftlichen Interesses an einem Impfstoff stellt sich zunehmend die Frage nach seinem Einsatz. „Alle befürchten, dass die Länder, die am schnellsten für Produktionskapazitäten gesorgt haben, über seine Verwendung entscheiden“, sagte die französische Virologin Marie-Paule Kieny dem Radiosender France Info. Frankreich hatte zuletzt empört auf die Erklärung des französischen Pharmariesen Sanofi reagiert, zunächst den US-Markt mit einem möglichen Impfstoff beliefern zu wollen.

Sanofi-Generaldirektor Paul Hudson hatte am Mittwoch mitgeteilt, das Unternehmen werde „als Erstes“ die USA beliefern, da diese bei der Forschung besonders investierten. Nach Kritik rudert der Konzern zurück. Sanofi werde sicherstellen, dass ein solches Mittel in allen Regionen der Welt zur gleichen Zeit verfügbar sei, sagte Verwaltungsrat-Chef Serge Weinberg am Donnerstag dem Sender France 2.

„Gerechter und allgemeiner“ Zugang zu Impfstoff
Die EU-Kommission betonte angesichts der Ansage des Pharmakonzerns, dass es beim Zugang zu einem Coronavirus-Impfstoff keine Unterschiede zwischen einzelnen Ländern geben dürfe. Der Impfstoff gegen Covid-19 sollte ein weltweit öffentliches Gut sein, sagte ein Kommissionssprecher am Donnerstag. Der Zugang müsse „gerecht und allgemein“ sein. Solidarität und eine enge Koordination seien die effektivste und sicherste Antwort auf die Krankheit. Sobald ein Impfstoff entwickelt sei, werde die EU-Kommission darauf hinarbeiten, dass er so schnell wie möglich zugelassen werde. Dann sollte der Zugang gesichert und eine Ausweitung der Produktion in Europa in Betracht gezogen werden, erklärte der Kommissionssprecher.

Staats- und Regierungschefs aus aller Welt haben sich ebenfalls für kostenlose Corona-Therapien und -Impfstoffe für alle Menschen weltweit ausgesprochen, sobald die Behandlungsmethoden verfügbar sind. „Regierungen und internationale Partner müssen sich hinter eine weltweite Garantie stellen, die sicherstellt, dass ein sicherer und effektiver Impfstoff - sobald dieser verfügbar ist - schnell produziert und für alle Menschen in allen Ländern kostenlos zur Verfügung gestellt wird“, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Brief mit mehr als 140 prominenten Unterzeichnern.

Ein künftiger Impfstoff dürfe nicht patentiert werden, zudem müssten Forschungsergebnisse von Staaten geteilt werden, so der Appell, der unter anderem von Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, Pakistans Regierungschef Imran Khan sowie den Staatschefs Senegals und Ghanas, Macky Sall und Nana Akufo-Addo, unterzeichnet wurde.

US-Präsident Donald Trump rechnet übrigens nach eigenen Worten bis Jahresende mit einem Impfstoff und will das Militär für eine Verteilung an die US-Bevölkerung einsetzen. Es sei eine gewaltige Aufgabe, diesen Impfstoff zu verteilen, sagte Trump in einem Interview des Senders Fox Business Network. „Unser Militär wird jetzt mobilisiert, sodass wir am Ende des Jahres in der Lage sein werden, ihn vielen Menschen sehr, sehr schnell zu geben“, so Trump. Dabei werde man sich zunächst auf ältere Amerikaner konzentrieren.

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