Jurist zur „Krone“:

Deutsches Höchsturteil „lächerlich und gefährlich“

Ausland
11.05.2020 16:02

„Wenn man sich Europa als Haus mit vielen Zimmern vorstellt, in dem es eine gemeinsame Hausordnung gibt, in dem aber auch jedes Zimmer eine Zimmerordnung hat - dann hat der deutsche VfGH gerade die deutsche Zimmerordnung zur Hausordnung erklärt.“ Treffend erläuterte der Autor und „SZ“-Journalist Heribert Prantl, was die Aufhebung des EuGH-Urteils zu den Staatsanleihenkäufen der EZB aus dem Jahr 2017 durch den deutschen Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe zu bedeuten hat.

Das EU-Recht steht seit den Verträgen von Lissabon über dem nationalen Recht, auch in der Währungspolitik - was immer wieder für Zentralismus-Kritik sorgt. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte am Dienstag die milliardenschweren Staatsanleihenkäufe der EZB beanstandet und sich damit erstmals gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs gestellt. Anders als der EuGH entschieden die Karlsruher Richter, die Notenbank habe ihr Mandat überspannt. Die Mitglieder müssten Herr über ihren Haushalt bleiben. Der EZB wurde vorgeworfen, die Risiken nicht abgewogen zu haben. Der Vorgang sei intransparent gewesen. Mehr noch. Die deutschen Richter warfen ihren Kollegen in Luxemburg methodische und juristische Mängel vor. Also simple Schlampigkeit.

Vorwürfe, die der österreichische Verfassungsjurist und Europarechts-Experte Theo Öhlinger so nicht nachvollziehen kann: „Die Urteilsbegründung des deutschen Verfassungsgerichtshofs ist lächerlich. Natürlich wurden Risiken abgewogen. Aber intern, und nicht öffentlich. Wie es gang und gebe ist.“ Dass die EZB eine Politik verfolgt, über „die man streiten könne, ist nur legitim“, so Öhlinger. Sie wollen den Euro retten, koste es, was es wolle. „Das haben aber die Mitgliedsstaaten zu regeln und diese Kritik zu üben. Und nicht der deutsche Verfassungsgerichtshof“, so Öhlinger im Gespräch mit der „Krone“.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz ist ein Verfechter verstärkter Subsidiarität (also Selbstbestimmung) der EU-Länder. Man sei für eine „starke Rolle der Mitgliedsstaaten, die in gewissen Graubereichen wie Gesundheit, Soziales oder Recht selbst entscheiden sollen“, heißt es zu der aktuellen Causa aus Regierungskreisen gegenüber der „Krone“.

Es ist ein Machtkampf zwischen dem größten EU-Mitglied und dem Gerichtshof in Luxemburg. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen prüft nun ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Ein solches läuft bereits gegen Polen.

Urteil für Verfassungsjuristen „eine absolute Gefahr“
Apropos Polen: Für Verfassungsjurist Öhlinger beinhaltet das Urteil sehr wohl „eine absolute Gefahr, ein Präzedenzfall zu werden“. Man könne über viele Gerichtsurteile streiten, „auch in Österreich“. Aber letztendlich sind VfGH-Urteile oder EuGH-Urteile zu akzeptieren. „Es ist eine Gefahr, wenn ein Staat oder eine Regierung sagt, er befolgt die Rechtsprechung nicht mehr.“

In Polen wurde die umstrittene Justizreform vom EuGH als EU-rechtswidrig erklärt, es läuft ein Vertragsverletzungsverfahren. Wenn die Polen die Urteile für nichtig erklären, könnten sie sich auf den deutschen VfGH berufen. Dieses Urteil kann die Zukunft des Rechts als Fundament der EU stark beeinflussen.

Clemens Zavarsky, Kronen Zeitung

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