12.05.2020 11:40

Ex-Teamkicker warnt

Flögel: Geisterspiele? Da stirbt der Fußballsport!

Er hat als Fußballer mehr als 400 Pflichtspiele auf Klubebene und 37 A-Länderspiele für Österreich absolviert, er hat viel gesehen und erlebt - was er als Trainer allerdings gerade jetzt in den vergangenen Wochen miterlebt, das ist völliges Neuland. Thomas Flögel steht wie sein 1. Wiener Neustädter SC und die ganze Ostliga im Bannstrahl der Coronavirus-Pandemie - ob, wann und wie es weitergeht, steht in den Sternen. Im sportkrone.at-Interview gewährt der 48-Jährige Einblicke in die Gefühlswelt eines Fußball-Trainers ohne Fußball ...

krone.at: Zwei Pflichtspiele hatte der 1. Wiener Neustädter SC im Frühjahr noch absolvieren können, ehe der Coronavirus-Hammer zugeschlagen und die Saison der Regionalliga Ost zum Abbruch verdammt hat. Wie geht es Ihnen als Fußball-Trainer so ganz ohne Fußball, Thomas Flögel?
Thomas Flögel: In erster Linie muss ich sagen, dass meine Familie und ich gesund sind - das ist das Wichtigste, denke ich einmal (lacht). In Sachen Fußball - also das, was wir lieben - ist natürlich mit einem Schlag alles unter den Füßen weggerissen worden. Am Anfang hat man ja noch nicht so richtig gewusst, wo oder wann und wie wir wieder weiterspielen würden. „Das wird wahrscheinlich eh nicht so lange dauern“, hat es immer geheißen. Aber es dauert bis heute an - und es wird sich wahrscheinlich noch länger hinziehen. Das ist für alle Beteiligten extrem zäh, auch für mich als Trainer, wenn man da auf so einem grünen Rasen steht, der sich prächtig erholt hat. Und dann kann man nicht darauf Fußball spielen, kann man die Mannschaft nicht darauf trainieren. Das tut schon weh ...

krone.at: Was kann man als Amateurklub und als Amateurfußballer bzw. als Amateurfußballtrainer im Moment überhaupt machen? An geregelte Trainings ist ja seit Mitte März nicht zu denken gewesen …
Flögel: Es ist sehr, sehr schwierig! Wir haben zwar auch unsere Homesessions und auch unsere Art und Weise, wie wir versuchen, die Jungs fit zu halten. Aber ich glaube, gerade im Amateurbereich sind die Spieler ohnehin so weit, dass sie auf sich selbst schauen, wenn sie noch weiterkommen möchten. Es ist schon schwierig, wenn man nur in Kleingruppen trainiert. Das gleicht einem Individualtraining, was gut ist für den einzelnen Spieler, aber für die Mannschaft natürlich nicht. Das unterschätzen viele, wenn sie glauben: „Na ja, man trainiert halt ein bisschen, die halten sich eh alleine fit.“

krone.at: Aber das spielt‘s halt nicht …
Flögel: Wenn du nicht auch im Training zum Zweikämpfen kommst, dann wird es ganz, ganz schwierig, ein Match oder eine Meisterschaft zu spielen. Und als Trainer muss ich halt ehrlich sagen, dass du nicht all zu viel machen kannst. Du kannst nur versuchen, dich fit zu halten - körperlich und auch im Kopf: dass du dich weiterentwickelst und versuchst, das eine oder andere zu lernen. Und genau das ist es auch, was ich mache …

krone.at: Sportlich gesehen würde die Statistik für Ihre erste Saison als WNSC-Trainer 23 Punkte aus 18 Spielen und damit Platz 10 ausweisen. Durch den Abbruch ist jetzt alles mehr oder weniger Makulatur. Wie gehen Sie damit um?
Flögel: Das kann ich sowieso nicht mehr beeinflussen - es ist halt schade, dass wir es nicht zu Ende spielen haben können! In Wiener Neustadt haben wir vorigen Sommer einen richtigen Neuaufbau gehabt, haben wir wirklich bei null angefangen, und ich glaube, wir haben sehr, sehr gut gearbeitet, alle im Verein. Dann haben wir im Winter schon damit begonnen, neue Strukturen reinzubringen und sehr, sehr viele junge Spieler dazugenommen. Von daher hätten wir uns eigentlich schon richtig gut vorbereitet, um gut durch die Saison zu kommen mit dem vorrangigen Ziel, im Mittelfeld zu bleiben und dann im Jahr 2020 den nächsten Schritt gehen. Das fällt jetzt natürlich flach, man muss sich wieder neu formieren, man muss wieder neu schauen, wie man den Verein aufstellt, sportlich und auch wirtschaftlich. Und dann muss erst einmal die Regierung grünes Licht geben für den Amateurfußball - man wird sehen, wie viele Vereine da überhaupt am Ende in der Regionalliga übriggeblieben sein werden. Das sind alles Dinge, die wir nicht beeinflussen können, wo wir ganz einfach abwarten müssen - um uns dann danach zu richten.

krone.at: Wie sehen Sie die Stimmung bei den Spielern selbst? Denen geht ja mindestens eine Halbsaison verloren ...
Flögel: Die größten Leidtragenden in dem Ganzen sind immer die Spieler. Da rede ich auch von den jungen Spielern, vom Nachwuchs, weil die extrem viel Zeit verlieren - und die sind auch in einem Bereich, wo es schon um ein bisschen Geld geht. Die Stimmung ist trotzdem gut, etwa wenn wir als Mannschaft miteinander unsere Trainings-Homesessions haben. Aber natürlich sind alle Spieler bei sich zu Hause und das ist eine ganz andere Atmosphäre, als wenn sie hier auf dem Platz stehen würden. Dadurch, dass auch die meisten Verträge auslaufen, nicht nur bei uns, auch bei den anderen Vereinen, ist dennoch eine Verunsicherung da, dass die Spieler nicht wissen, wie und wo es für sie in der kommenden Saison - sofern sie beginnt - weitergeht.

krone.at: Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass Sie in Wiener Neustadt am Ende einiger Ihrer älteren Spieler verlustig gehen könnten, wenn die Zwangspause gar zu lange andauern sollte? Euer Kapitän Andreas Gradinger z.B. ist ja schon 37 Jahre alt, wenn auch fit wie ein Turnschuh …
Flögel: Gefährlich kann so etwas immer werden, klar. Beim Gradinger mache ich mir da aber eigentlich keine Sorgen, der ist, glaube ich, schon seit zehn Jahren 37 … (lacht) … Er ist, so wie Sie gesagt haben, sehr, sehr fit, und dem macht das auch richtig Spaß ... (überlegt kurz) Ja, es kommt ganz darauf an. Jeder hat seine eigene Geschichte und jeder will Fußball spielen. Aber im Alter ist es halt so, dass man seine eigenen Rahmen absteckt und dann entscheidet, ob es das noch wert ist oder eben nicht ...

krone.at: Fix verabschiedet hat sich noch keiner?
Flögel: Fix verabschiedet hat sich noch keiner … (lacht) Und wir haben auch noch keinen verabschiedet ...

krone.at: Sehr wohl verabschiedet - bzw. den Abschied angekündigt - hat Vorjahresmeister und Tabellenführer ASK Ebreichsdorf, der sich aus der Regionalliga Ost zurückziehen wird. Und es heißt, dass Ebreichsdorf nicht der letzte Klub gewesen sein könnte, der es künftig eine Nummer kleiner geben wird. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Flögel: Ebreichsdorf hat in den vergangenen Jahren hervorragende Leistungen gezeigt und hervorragend gearbeitet, nun ist man halt zu dem Entschluss gekommen, dass es den Aufwand nicht mehr wert ist. Es ist natürlich gut möglich, dass das auch andere Vereine machen werden. Im Fußball muss man sich entscheiden, was man will: Will man wirklich ganz rauf, will man in der Mitte bleiben, will man nur Amateurlevel spielen oder geht man überhaupt ganz runter in den Breitensport. Und wenn es wirtschaftlich nicht passt, dann ist es gesünder, wenn man weiter unten spielt. Aber ich mache mir um Ebreichsdorf keine Sorgen, ich denke, dass die schnell wieder oben sein werden … (lacht)

krone.at: Der 1. Wiener Neustädter SC hat in den vergangenen Jahren durchaus schwierige Zeiten mitgemacht und macht sie wohl noch immer mit, wenn man an die Altlasten denkt, die der frühere Vorstand hinterlassen hat. Wie stabil steht der WNSC Ihres Wissens nach da? Muss man sich Sorgen machen?
Flögel: Na ja, ich denke, die größeren Sorgen hatten wir schon vor einem Jahr, da hat man die Situation vielleicht erst in letzter Sekunde meistern können - jetzt steht man etwas gefestigter da. Natürlich muss man auch diesen Schuldenberg abbauen, aber ich denke, Wiener Neustadt ist auf einem guten Weg und man wird auch das schaffen.

krone.at: Abgesehen davon, dass es vonseiten der Regierung für die Amateurklubs bis jetzt kein wie auch immer geartetes Exit-Szenario aus dem Lockdown gibt - was würden Sie zu einer Wiederaufnahme des Liga-Betriebs sagen, wenn dies NUR unter Ausschluss der Öffentlichkeit möglich wäre?
Flögel: In erster Linie wäre man auf der einen Seite froh, wenn man wieder spielen dürfte. Aber auf der anderen Seite ist man gerade im Amateurbereich sehr angewiesen auf die Zuschauer. Man ist sehr angewiesen auf die Sponsoren, die man ja auch in unserem Stadion sieht. Und wenn man die nicht sehen kann, weil keine Leute hereinkommen dürfen, dann wird es für die Sponsoren auch uninteressant. Also …

krone.at: … Fernseh-Präsenz hat man auch nicht so wie in der Bundesliga …
Flögel: Genau, die Medienpräsenz ist generell nicht wirklich gut. Gerade in kleineren Städten und Orten, wo wir spielen, ist es ganz, ganz wichtig für die Vereine, dass Zuschauer kommen - von denen hängt meistens der ganze Verein ab. Und da sollte man es sich wirklich gut überlegen und sich zusammensetzen, ob es Sinn macht, eine Saison zu starten, ohne dass man Zuschauer auf den Rängen hat, ohne dass man Einnahmen lukrieren kann.

krone.at: Ihr Boss, WNSC-Vorstand Rainer Spenger, hat sich dafür ausgesprochen, dass für die nächste Spielzeit ein Bonuspunktesystem zum Tragen kommen sollte. Also, dass Klubs, je nach ihrer Platzierung in der Rumpfrunde 2019/20 mit einem größeren oder kleineren Polster ins Ostliga-Jahr gehen dürfen. Wie sehen Sie diese Idee?
Flögel: Die Idee an und für sich ist gut, nur glaube ich nicht, dass man sie umsetzen wird können, weil einfach eine ganz andere Zusammenstellung der Ligen da sein wird. Und dann muss man zuwarten, was oben passiert. Wird aufgestockt? Wie schaut die 2. Liga aus? Gehen von der Regionalliga Ost Vereine nach oben? Gehen welche nach unten? Gibt es überhaupt noch welche? Man muss wieder bei null anfangen und darüber nachdenken, wie man die drei, vier obersten Ligen gestalten soll, etwa ob es überhaupt noch eine 2. Profi-Liga geben kann. Wie kann man das wirtschaftlich so regeln, dass es nicht jedes Jahr Probleme mit Vereinen gibt, die wirtschaftlich nicht gesund sind.

krone.at: Ziemlich sicher ohne Bonuspunktesystem wird es Ende Mai, Anfang Juni im Profi-Fußball weitergehen. Unter strengen Hygienebedingungen und ohne Publikum. Ist das für Sie noch der Fußball, wie wir ihn alle lieben?
Flögel:(lacht) Nein, der kann es nicht sein, das ist ganz klar! Fußball war immer auch ein Entertainment-Sport. Die Leute sind ja auch deswegen gerne auf den Platz gekommen, weil sie dort Unterhaltung hatten. Und ohne Zuschauer ist es auch für den Spieler am Platz ein ganz anderes Spiel. Es muss nicht immer ausverkauft sein, es muss nicht immer voll sein - aber es ist extrem wichtig, dass auch die Leute da sind. Ich war schon mit meinem Vater als kleiner Bub am Sonntagvormittag am Fußball-Platz, weil mir die Atmosphäre getaugt hat, weil man ganz einfach etwas sehen will, weil man mitreden will - und das ganz zu unterbinden? Da stirbt der Fußballsport!

krone.at: Zum Abschluss noch zu etwas Persönlichem: Sie haben gleich zu Beginn angemerkt, dass gerade in den jetzigen Zeiten die Gesundheit der Familie sehr wichtig ist. Jetzt gehört Ihr Vater, Fußball-Legende Rudi Flögel, mit 80 Jahren zur sogenannten Risikogruppe in Sachen Coronavirus. Wie geht man in der Familie Flögel abseits des Stillstands im Fußball mit der Herausforderung durch dieses lästige Virus um. Wie geht es dem Herrn Papa?
Flögel: Erst einmal Danke der Nachfrage - es geht ihm hervorragend! Natürlich ist auch er ein bisschen dem Virus zum „Opfer“ gefallen, weil auch er sich zu Hause unter Quarantäne stellen musste. Jetzt, da das ein bisschen „geöffnet“ wurde und er wieder hinaus darf, geht es ihm noch ein bisschen besser. Natürlich ist es für ihn ein Schlag ins Gesicht gewesen, dass er seinen geliebten Sport jetzt nicht mehr schauen kann - und vor allem seine geliebte Mannschaft nicht mehr beobachten kann …

krone.at: Weißrussland wäre noch eine Möglichkeit gewesen.
Flögel:(lacht) Ja, genau … Aber er nimmt das im Grunde so an wie wir alle - wir müssen damit leben, wir müssen uns anpassen. Aber natürlich hätte auch er es am liebsten, wenn morgen die Spiele wieder beginnen - und er möchte auch wieder raus auf den Fußball-Platz und auch wieder Spiele sehen …

krone.at: So wie wahrscheinlich viele von unseren Usern …
Flögel: Genau!

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