Höflichkeit passé

Koalition streitet wieder wie zu Gusenbauer-Zeiten

Österreich
11.08.2010 13:15
Die näher rückenden Wahltermine in Wien und der Steiermark haben bei Vertretern von SPÖ und ÖVP offenbar die gemäßigten Umgangsformen abgeschafft. Seit Beginn der Woche feinden sich die Koalitionspartner derart an, dass sich Beobachter an die besten Streithansel-Zeiten von Alfred Gusenbauer und Wilhelm Molterer erinnert fühlen. SPÖ-Mandatarin Laura Rudas musste am Mittwoch gar aussenden, dass sie mit der Aussage "normalerweise längst rücktrittsreif" nicht direkt den Rücktritt von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner fordern wollte. Aus den Kämpfen heraus halten sich derzeit einzig die Parteichefs.

Für BZÖ und FPÖ, die im Zuge der Enthüllungen um die angebliche Haider-Millionen in ein Glaubwürdigkeits-Debakel gerieten, sind die Streitigkeiten ein gefundenes Fressen. Von einer rot-schwarzen "Daily Soap" zwischen Rudas und Bandion-Ortner und einem "Zickenkrieg" ist die Rede, ein "Sittenbild der Regierung" seien die Streitigkeiten, hieß es am Mittwoch in der Presseaussendungen. Statt dass Rot und Schwarz die Gerüchteküche um das Dritte Lager zum Überhitzen bringen, kommt es nun offenbar genau anders.

Gegenseitige U-Ausschuss-Drohungen
Konfliktthemen in der Koalition gibt es mittlerweile genug. So wirft die SPÖ der Justiz sowie Ministerin Bandion-Ortner nicht nur bei den angeblichen Haider-Konten, sondern auch bei der Aufklärung der Affären um Buwog und Hypo Untätigkeit vor und droht mit einem U-Ausschuss. Die ÖVP bzw. Bandion-Ortner schießt mit dem Vorwurf zurück, die Sozialdemokraten wollten "die Strafjustiz politisieren" und würden mit der steirischen SPÖ-Stiftung und dem "ÖBB-Beraternetzwerk" selbst genug Stoff für einen Ausschuss liefern.

Recht heftig ist auch der Disput über Pensionsprivilegien bei den ÖBB und Nationalbank sowie über die kürzlich bekannt gewordenen üppigen ÖBB-Beraterhonorare. Die ÖVP spricht von einem "Millionensumpf der ÖBB", von dem SPÖ-nahe Berater profitieren. Ein beliebtes Angriffsziel der ÖVP ist Verteidigungsminister Norbert Darabos. Dieser wird aber auch so regelmäßig mit einem Potpourri an Vorwürfen bedacht.

Anschuldigungen bei ORF, Kampfrhetorik bei Budget-Debatte
Hart umkämpft ist derzeit auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Die ÖVP wittert hinter dem Abgang des ORF-Radiodirektors Willy Mitsche, der nach einer schweren Erkrankung erst im Juni in die ORF-Geschäftsführung zurückgekehrt war, einen "Masterplan" des Koalitionspartners. Dessen Wunsch sei es, den bisherigen TV-Chefredakteur Karl Amon ins Direktorium zu hieven. Einen weiteren "roten Postenschacher" orten einige Vertreter der Volkspartei auch bei der Wahl der Verfassungsrichterin Claudia Kahr zur neuen Vorsitzenden des Asfinag-Aufsichtsrats.

Die wohl größte Kontroverse dreht sich um die Budgetsanierung, diese zieht sich schon über Monate, hat dabei aber noch gar nicht richtig begonnen. Zwar ist die Kampfrhetorik - "Jetzt kommen einmal die G'stopften dran" und "die ÖVP wird den Mittelstand daher vor Angriffen auf Grund und Boden schützen" - ausgereift, die eigentlichen Budgetverhandlungen beginnen erst im Herbst, nach den Wahlen in der Steiermark und Wien. Diese zwei wichtigen Urnengänge sind wohl auch mit ein Grund für die immer stürmischer werdenden Wortgefechte zwischen SPÖ und ÖVP. Ob es danach besser wird, hängt nicht zuletzt vom Ausgang dieser Wahlen ab.

Erinnerungen an Gusenbauer-Molterer-Debakel
Wie schnell so ein Koalitionsstreit eine Eigendynamik entwickeln kann, sollten Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll, die sich mit Wortmeldungen derzeit gänzlich zurückhalten, eigentlich aus der gescheiterten Vorgängerregierung wissen, in der sie Koordinatoren waren. Das Kabinett Gusenbauer war von Beginn an von Konflikten und gegenseitigem Misstrauen geprägt und scheiterte nach nicht einmal zwei Jahren ("Es reicht!"), die das 2008 angelobte Kabinett Faymann erst am 8. Dezember 2010 feiern kann.

Erstmals neugestartet war die Große Koalition unter Gusenbauer aber schon ein halbes Jahr nach ihrer Angelobung. Anlass war damals das Ende der vor allem von der ÖVP als Störfaktor empfundenen U-Ausschüsse zu Eurofightern und Banken. "Der Schutt der Vergangenheit ist jetzt weggeräumt", befand im Juli 2007 Molterer. Um den Neubeginn zu demonstrieren, wurden gleich Ergebnisse präsentiert. Konkret gab es bei einer Klausur eine Einigung bei Rezeptgebühr-Deckelung und Kindergartenjahr.

"So stelle ich mir die Arbeit in einer Regierung vor", entließ damals Gusenbauer seine Regierungsmannschaft mit Lob in die Sommerferien. Ähnlich taten es Faymann und Pröll Mitte Juli, als es beim von Streitigkeiten und Blockaden geprägten Sommer-Ministerrat unter Vorlage der bisherigen Gesetzesbeschlüsse dann trotzdem hieß: "Das kann sich wahrlich sehen lassen!"

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