Das große Interview

Was würden Sie anders machen, Frau Rendi-Wagner?

Politik
26.04.2020 06:00

Fünf Tage vor dem 1. Mai spricht SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner über den Zustand der Partei, ihre Rolle als Gesundheitsexpertin in der Coronavirus-Krise, Schutzmasken mit Flamingos und das erste Eis mit ihren Töchtern.

Der Wiener Heldenplatz ist menschenleer am Samstagmorgen um 9 Uhr, vor den Parlaments-Pavillons steht ein einsames Polizeiauto. Im SPÖ-Klub im zweiten Stock bereitet Pamela Rendi-Wagner höchstpersönlich Kaffee zu. Melange mit Schaum, wie im Kaffeehaus. Dazu gibt es Semmerl vom Bäcker mit Butter und Marillenmarmelade. Die SPÖ-Vorsitzende trägt ein fliederfarbenes Sakko, schwarze Jeans, weiße Sneakers.

Der Sicherheitsabstand zwischen uns wurde genau bemessen, „ein, zwei Babyelefanten sollten da schon Platz haben“, scherzt sie, als wir Platz nehmen, ein Sessel zwischen uns bleibt frei. Vor ihr auf dem Tisch liegt eine Schutzmaske mit Flamingos. „Die hat eine Freundin genäht, meine zehnjährige Tochter hat dieselbe“, erzählt sie. Nach unserem Interview wird sie mit ihren beiden Mädchen auf das erste Eis nach langer Zeit gehen.

Krone: Frau Rendi-Wagner, weil hier Ihre Maske liegt: Im Parlament tragen einige Abgeordnete wie Sie Gesichtsschutz, andere nicht. Wie soll man das verstehen?
Pamela Rendi-Wagner: Wichtig ist, dass die Sicherheitsabstände zwischen den Parlamentariern eingehalten werden. Es wurden auch Plexiglasscheiben für die Sprecherinnen und Sprecher und für die Regierungsbank installiert. Das Tragen von Masken ist eine reine Empfehlung seitens des Parlamentspräsidenten. Ich persönlich empfinde es als notwendig, weil ich dadurch meine Umgebung schütze. Obwohl das schon eine sehr lange Zeit ist, wir sitzen ja mitunter zehn bis zwölf Stunden durchgehend im Parlament und nehmen die Maske nur ab, wenn wir eine Rede halten.

Man sieht ja auch Leute, die Maske tragen, wenn sie allein im Auto fahren.
Ja, da gibt es niemanden, den sie schützen könnten. Aber vielleicht ist es gar nicht so dumm, denn jedes Hantieren mit der Maske im Gesicht mit den Händen ist eine weitere Gefahr der Infektion. Warum nicht gleich oben lassen, wenn man einen kurzen Weg hat?

Der 1. Mai steht vor der Tür. Sind Sie traurig oder erleichtert, dass der traditionelle Maiaufmarsch der SPÖ heuer nicht stattfindet?
Ich bin wirklich traurig. Aber Corona hat unser Leben auf den Kopf gestellt und deshalb müssen wir andere Wege finden, um diesen wichtigen Feiertag für Österreich zu begehen. Der 1. Mai steht für Solidarität, Zusammenhalt, soziale Gerechtigkeit, und gerade in der Corona-Krise haben diese Werte eine neue Aktualität bekommen.

Werner Faymann wurde an diesem Feiertag vor vier Jahren ausgepfiffen. Haben Sie sich vielleicht auch ein Pfeifkonzert erspart?
Erstens sind es in Zeiten von Corona, der größten Gesundheitskrise seit 100 Jahren, ganz andere Dinge, an die ich denke. Und zweitens hätte ich auch ohne Corona keine Sekunde daran gedacht, dass sich dieser Tiefpunkt der Sozialdemokratie je wiederholen könnte.

Hat Ihnen die Regierung den 1. Mai weggeschnappt? Er wurde ja von Türkis-Grün wiederholt als Tag der Wiederauferstehung, des Wiedersehens bezeichnet.
Wir lassen uns den 1. Mai bestimmt nicht wegnehmen. Er ist und bleibt unser wichtigster Feiertag, und dieses Jahr feiern wir zudem noch das 130-jährige Jubiläum der ersten Kundgebungen. Für mich beginnen die Lockerungen nach dem siebenwöchigen Shutdown jedenfalls am 2. Mai. Das kann auch diese Bundesregierung nicht umdeuten.

Wie werden Sie ihn persönlich begehen?
Die Solidarität versammelt sich diesmal im Netz, auf unseren Social-Media-Kanälen. Es gibt Videos, aber auch eine eigene TV-Sendung. Dort werden die Reden, die sonst auf dem Rathausplatz gehalten werden, auf gut neudeutsch „gestreamt“. Dazu stecke ich mir natürlich eine rote Nelke an. (lächelt)

In einer Sonntagsumfrage, die „profil“ veröffentlicht hat, kratzt die ÖVP mit 48 Prozent an einer absoluten Mehrheit, die SPÖ liegt mit den Grünen gleichauf bei gerade einmal 16 Prozent - mit Ihnen als Ärztin und ehemaliger Gesundheitsministerin an der Spitze. Was ist da los?
Erstens gibt es auch andere Umfragen. Aber was sich weltweit zeigt: In dieser schweren Krise haben es Oppositionsparteien schwer, weil der Scheinwerfer auf den Regierungen liegt. Davon darf man sich nicht beirren lassen und muss weiter für Gerechtigkeit kämpfen.

Aber Sie hatten doch einen Wettbewerbsvorteil. Haben Sie den genutzt?
Ich habe von Anfang an meine fachlichen Vorschläge und Ideen eingebracht. Anfang Februar habe ich schon Fieberscans für chinesische Direktflüge in Schwechat gefordert, ich habe auch mehr Tests verlangt, mehr Schutzanzüge und Masken für das medizinische Personal. In der Folge wurden viele dieser Ideen aufgenommen und umgesetzt. Und erst vor wenigen Tagen habe ich die schrittweise Öffnung der Schulen thematisiert.

Haben Sie sich nicht oft am falschen Platz gefühlt? Oder anders gefragt: Wären Sie derzeit nicht lieber oberste Krisenmanagerin als Chefin der Oppositionspartei?
Das ist kein Entweder-Oder. Ich habe meine Beiträge als Ärztin geleistet und meine Erfahrung auf dem Gebiet der Seuchenprävention im Rahmen meiner Möglichkeiten und im Rahmen meiner Funktion - mehr als andere Oppositionsparteien - eingebracht.

Haben Kurz und Anschober Sie je gefragt, ob Sie Mitglied im Beratergremium sein möchten?
Nein, dazu gab es nie eine Anfrage.

Wundert Sie das?
Ich habe nicht viel darüber nachgedacht. Wir haben ein-, zweimal pro Woche einen Austausch, den gibt es aber mit allen Parteichefs.

Hätten Sie Ja gesagt?
Das ist schwer zu sagen, aber natürlich habe ich in anderer Form meinen Beitrag geleistet und tue das auch weiterhin.

Was hätte die SPÖ denn anders gemacht in der Corona-Krise?
In der Akutphase war der Shutdown sicher die richtige Entscheidung. Die haben wir als Opposition auch mitgetragen. Durch die gute Unterstützung der Bevölkerung gab es eine positive Entwicklung, die uns Recht gegeben hat. Was mir jetzt, in der zweiten Phase, fehlt, ist Transparenz, Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungen. Immerhin beeinflussen diese Entscheidungen unsere Grund- und Freiheitsrechte, es ist die größte Einschränkung seit 1946, die wir hier erfahren. Warum hat man über Baumärkte und Tennisplätze diskutiert und das Thema Schule erst jetzt thematisiert?

Hätten Sie die Schulen vor den Baumärkten geöffnet?
Ich hätte transparent und nachvollziehbar dargelegt, warum es in dieser Reihenfolge passiert ist.

Geht mehr Transparenz als täglich eine Pressekonferenz?
(Rollt ihre Augen)
Die Anzahl von Pressekonferenz sagt nichts über den Inhalt aus. Ich will wissen, was die wissenschaftlichen Evidenzen sind, welche Expertinnen und Experten an den politischen Entscheidungen beteiligt sind. Hier werden die Menschen im Dunkeln gelassen. Die Transparenz fehlt mir auch beim Verteilen der Hilfsgelder. Immerhin 38 Milliarden. Und dann warten kleine und mittlere Betriebe wochenlang auf ihr Geld! Da braucht es parlamentarische Kontrolle. Und zu guter Letzt: Wir haben über 200.000 zusätzliche Arbeitslose, eine Million Menschen in Kurzarbeit, wir brauchen eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent.

Warum? Die Arbeitslosen hungern jetzt ja auch nicht.
Aber hier handelt es sich um Menschen, die wie vom Blitz von dieser Krise getroffen wurden. Sie werden wahrscheinlich noch lange Zeit keinen neuen Arbeitsplatz finden. Das ist der Unterschied zur Situation vor Corona. Hier wurden Lebensplanungen zunichtegemacht, und es ist ein menschliches, aber auch ein volkswirtschaftliches Gebot der Stunde, das Arbeitslosengeld zu erhöhen. Das vermeidet auch soziale Folgeschäden.

Und wer soll das bezahlen?
Wir müssen uns die Frage der Verteilungsgerechtigkeit stellen. Da wird die Sozialdemokratie jene politische Kraft sein, die als einzige eine Antwort auf diese Frage gibt. Es können nicht jene dafür bezahlen, die jetzt als Heldinnen und Helden des Alltags beklatscht werden, die jetzt schon 80 Prozent der Steuerbeiträge zahlen. Jeff Bezos, der Amazon-Gründer, hat durch die Krise mehr als 26 Milliarden Dollar an zusätzlichem Vermögen gemacht. Wir wissen, dass diese Milliarden-Online-Konzerne so gut wie keine Steuern in Europa oder in Österreich zahlen. Deshalb gilt: Breitere Schultern müssen schwerere Lasten tragen. Milliarden-Online-Konzerne sollen künftig Steuern zahlen, sollen Solidaritätsbeiträge zum Aufbau nach der Krise leisten. Auch Millionenvermögen sollen besteuert werden, und große Finanztransaktionen. Wir brauchen eine neue Solidarität. Das ist übrigens auch ein wichtiges Thema in unserer Mitgliederbefragung.

Video: Bei Verteilungsgerechtigkeit hat die Sozialdemokratie die Antwort

Gutes Stichwort. Warum wird die unter Verschluss gehalten? Haben Sie Angst vor dem Ergebnis?
Nein, gar nicht. Wir wollten nur nicht am Höhepunkt einer Gesundheitskrise eine Auswertung einer Mitgliederbefragung starten. Deshalb haben wir die Umfrage eingefroren und gestern beschlossen, nächste Woche mit der Auswertung zu beginnen. Das Ergebnis werden wir in der ersten Maiwoche kommunizieren. Das macht eine ausgelagerte, unabhängige Firma.

Sie haben ja auch sich selbst als Parteichefin zur Abstimmung gebracht. Wie viel Prozent reichen Ihnen für eine Bestätigung?
Der Gradmesser ist das Vertrauen. Da sind zwei Zahlen wichtig. Erstens die Beteiligung, alles über 22 Prozent - so viel hatte die letzte Befragung - ist ein Erfolg. Diese Zahl in Kombination mit der Zustimmung zu meiner Person wird ausschlaggebend sein. Ich bin da ganz zuversichtlich.

Ganz ehrlich: War es nicht ein Fehler, diese Befragung überhaupt zu starten?
Es ist nie ein Fehler, 165.000 Mitglieder einzubeziehen und zu beteiligen. Hier geht es um Vertrauen, und Vertrauen ist auch die Basis für die Schlagkraft einer Partei. Weil Vertrauen Glaubwürdigkeit schafft.

Was werden wir aus dieser Krise einmal gelernt haben?
Ich glaube, wir können schon jetzt Lehren aus dieser Krise ziehen. Wir brauchen einen starken Sozialstaat, eine Erneuerung der Solidarität. Diese Solidarität ist Impfung und Therapie zugleich. Impfung, weil Sie uns widerstandsfähig macht gegen die Krise, Therapie, weil sie uns im Kampf gegen Corona schützt. Durch unseren Zusammenhalt, durch unsere Mithilfe haben wir es geschafft, die Todesrate niedrig zu halten. Diese Solidarität werden wir schließlich auch beim Wiederaufbau, beim Weg aus der Krise mit all ihren Folgeschäden, brauchen. Dafür steht die Sozialdemokratie.

Glauben Sie, dass die Menschheit geläutert sein wird oder im Grunde genommen letztlich unbelehrbar ist?
Corona ist eine Wende, eine Erfahrung, die sich tief in unser emotionales Gedächtnis als Menschen eingebrannt hat. Aus dieser können wir schöpfen.

Werden wir je wieder ganz unbekümmert Menschen die Hand geben oder sie herzlich umarmen können?
Das ist nur eine Frage der Zeit. Der Mensch ist ein soziales Wesen … Ich merke, wie mir der Körperkontakt mit vielen Freundinnen und Freunden, mit meiner Mutter fehlt. So geht es Tausenden Menschen in Österreich. Ja, ich bin zuversichtlich, ich bin Optimistin. Die Zeit wird wieder kommen.

Gesundheit ist ihr Metier
Geboren als Joy Pamela Wagner am 7. Mai 1971 in Wien. Medizin-Studium, Facharztausbildung in Wien und London, wissenschaftliche Arbeit und Habilitation am Institut für Tropenmedizin der Med-Uni Wien, Gastprofessorin an der Universität von Tel Aviv. 2011 bis 2017 ist sie Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit, dann Gesundheitsministerin, bevor sie im November 2018 zur ersten weiblichen Vorsitzenden der SPÖ gewählt wird. Verheiratet mit Michael Rendi, Beamter im Außenministerium. Zwei Töchter, zehn und 15 Jahre alt.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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