Das große Interview

Kommt eine zweite Welle, Herr Nehammer?

Politik
19.04.2020 06:02

Die Infektionskette mit der Flex durchtrennen - mit diesem Bild hält der Innenminister (im Video oben Pressekonferenz vom 16.4.) die Bedrohung durch Corona aufrecht. Mit Conny Bischofberger spricht Karl Nehammer (47) über Disziplin, Grundrechte, Umfragewerte und - Babyelefanten.

Samstagvormittag, die Herrengasse ist gespenstisch leer, ab und zu fährt eine Streife Patrouille. Das Bundesministerium für Inneres ist verschlossen. Ein Polizist, der gleichzeitig Portier ist, sperrt die Tür auf und misst Körpertemperatur. Im ersten Stock warten Karl Nehammer und „Fanny“, die erst einjährige bayrische Gebirgsschweißhündin der Familie - Ehefrau Kathi wird sie gleich abholen.

Der Minister hat ein Frühstück decken lassen: Käse, Trauben, Himbeeren, Schinken, Gurken, Salzstangerl. Auf dem Tisch liegt seine Gesichtsmaske, sie ist aus türkiser Baumwolle mit den Initialen K.N., produziert vom Traditionshaus „Schwäbische Jungfrau“. „Für mich ist immer wieder unglaublich, wie diese Malerei damals entstanden ist“, sagt Nehammer und wirft einen Blick auf die Fresken an der Decke. „Alles wirkt dreidimensional, als könnte man es angreifen, ist aber in Wahrheit nur gemalt.“ Für das „Krone“-Interview hat sein Team - Stichwort Sicherheitsabstand - das Sitzungszimmer mit dem extra breiten Tisch gewählt.

„Krone“: Herr Minister, wie viele Babyelefanten passen zwischen uns?
Karl Nehammer: Exakt einer. Unser Abstand beträgt 1,30 Meter.

Wem ist der Babyelefant eingefallen?
Das waren die Werbeagenturen des Roten Kreuzes. Wenn die kreativ sind, kommt ein Babyelefant raus. (lacht)

Wäre für Österreich ein Kalb nicht besser gewesen?
Ich glaube nicht. Der Babyelefant war für alle überraschend und hat deshalb auch die nötige Aufmerksamkeit erregt. Die Botschaft ist klar: Der Sicherheitsabstand ist die einfachste Maßnahme, um die Infizierungen zu reduzieren. Und den merkt man sich mit dem Babyelefanten garantiert.

Die Corona-Pandemie hat alles verändert. Was ist in Ihren Augen die größte Veränderung?
Für mich persönlich war die einschneidendste Veränderung, dass ich meine Eltern nicht mehr umarmen durfte. Meine Mutter ist gerade 80 geworden und fragt mich oft, wie lange das noch dauern wird, dass wir uns nicht sehen können. Ich kann es ihr leider nicht sagen. Bis zum 30. April bleiben die Einschränkungen jedenfalls aufrecht, dann werden wir evaluieren.

Die Sehnsucht nach „Normalität“ ist bei den Menschen schon sehr groß. Besteht da nicht die Gefahr, dass eine zweite Welle kommt?
Das können wir nicht ausschließen. Gerade in Singapur hat sich gezeigt, wie dramatisch eine zweite Welle sein kann. Deshalb sind wir ja mit der schrittweisen Rückkehr zum normalen Leben so vorsichtig.

Die Einschränkungen sind auch ein massiver Eingriff in unsere Grundrechte. Man darf sich nicht mehr frei bewegen, man muss Gesichtsmaske tragen, man soll sich eine App runterladen. Verstehen Sie, dass sich da gerade viel Wachsamkeit und Widerstand aufbaut?
Wachsamkeit verstehe ich, das ist auch für mich als Innenminister eine ganz sensible Situation. Die Polizei hat mehr Kompetenzen bekommen, und die Menschen verstehen diese Maßnahmen nur, wenn wir mit Besonnenheit vorgehen. Dabei gibt es auch gefährliche Einsätze. Gerade beim Auflösen von Corona-Partys ist es am Anfang immer wieder zu Übergriffen gekommen. In 46 Fällen gab es Körperverletzungen bei Kolleginnen und Kollegen. Widerstand verstehe ich nicht, weil alle Maßnahmen zeitlich begrenzt und dem Umstand geschuldet sind, dass wir eine Krise bewältigen müssen.

Verleiten mehr Befugnisse nicht auch zu Willkür?
Das habe ich nicht erlebt. Und das wird auch genau beobachtet. Die Polizei schützt umgekehrt ja auch die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Polizistinnen und Polizisten, und wenn sich jemand ungerecht behandelt fühlt, kann er Beschwerde einlegen. Die Anzeigen zeigen einen deutlichen Rückgang, man merkt, dass die Menschen sich einfach an die Regeln halten.

Wer garantiert uns, dass all diese Eingriffe nicht irgendwann zur „Normalität“ gehören?
Das Gesetz. Alle Gesetze und Verordnungen haben eine zeitliche Befristung, wurden vom Parlament beschlossen und auch vom Bundespräsidenten abgesegnet. Daher bin ich da ganz vertrauensvoll.

Seit dieser Woche darf die Polizei auch Corona-Kranke einvernehmen …
Nicht einvernehmen. Befragen!

Sind wir auf dem Weg zum Überwachungsstaat?
Dieses Angebot der Exekutive an die Gesundheitsbehörden gibt es schon seit Beginn der Krise. Da passiert nichts anderes, als dass Spezialisten, die viel Erfahrung in der Fragetechnik haben, infizierte Personen befragen und deren Kontakten auf die Spur kommen. Das geschieht in der Regel telefonisch. Wenn eine persönliche Befragung notwendig ist, dann kommen unsere Leute in Schutzanzügen, die Daten bleiben aber bei den Gesundheitsbehördern. Mehr ist das nicht. Ich sehe deshalb keine Überwachung.

Nun ist eine Diskussion losgebrochen, ob all diese Verordnungen verfassungskonform sind. Halten Sie diese Diskussion für wichtig?
Lassen Sie es mich so beantworten: Wir leben in einem gut entwickelten Rechtsstaat. Wir waren in der Krise gezwungen, Maßnahmen zu setzen, Legisten haben diese in Gesetztestexte übersetzt. Die Verfassung ist nach wie vor in Kraft und wenn es Zweifel gibt, kann man die Höchstgerichte anrufen.

Sebastian Kurz wurde sehr dafür kritisiert, dass er meinte, der Verfassungsgerichtshof könne sich das gerne anschauen, aber im Moment bitte er um Nachsicht, wenn das vielleicht nicht alles verfassungskonform sei. War das nicht fahrlässig?
Nein. Was hat Sebastian Kurz gemeint? Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen agiert. Wir haben die Aufgabe, die Krise zu meistern und zu managen - alle in der Bundesregierung. Und zwar rasch, damit wir das Virus eindämmen können. Es ist immer heikel, wenn uns jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird.

Aber sogar der ehemalige Justizminister hat die Aussage des Bundeskanzlers kritisiert.
Viele Experten, viele Meinungen.

Sie haben diese Woche bei der täglichen Pressekonferenz ein Bild verwendet, das wohl ewig bleiben wird. „Wir sind die Flex, die Trennscheibe für die Gesundheitsbehörden, um die Infektionskette rasch zu unterbrechen.“ Die Flex ist ja ein sehr martialisches Instrument. Warum haben Sie dieses Bild gewählt?
Die Flex ist vor allem ein effizientes Instrument. Mein Vater ist ein begnadeter Heimwerker, er hat mir den Umgang mit der Flex gezeigt. Sie trennt alles durch, was ganz mühsam ist. Und so ist dieses Bild in mir entstanden. Wir müssen alles tun, um die Corona-Infektionskette, die sehr bedrohlich ist, zu durchtrennen. Deswegen auch das starke Wortbild: Um das Bewusstsein zu schaffen, dass wir die Krise noch nicht überwunden haben. Die Zahlen gehen runter, aber trotzdem müssen wir uns weiter bemühen.

Der Babyelefant hätte Angst, wenn die Flex kommt ...
Aber er wäre auch geschützt.

War Ihnen bewusst, dass „Flex“ noch andere Sachen bedeutet? In der Rappersprache steht es für Koks und „flexen“ für „Sex haben“.
Nein, das habe ich nicht gewusst. Ich bin noch so aufgewachsen, dass eine Trennscheibe eine Trennscheibe ist. (Lacht)

Sie erwähnen bei diesen Auftritten seit Kurzem nach „Österreicherinnen und Österreicher“ auch „die Menschen, die in unserem Land leben“. Was ist da passiert?
Mir ist einfach wichtig, dass wir als Polizei, wenn wir Maßnahmen umsetzen, auch Breitenwirkung entfalten müssen. Wir haben unsere Maßnahmen auch immer in mehreren Sprachen dargestellt. Unsere Zusammenarbeit mit der Integrations- und Frauenministerin, Susanne Raab, die uns mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern unterstützt, ist erstklassig. Wir haben zum Beispiel gesehen, dass sich die häusliche Gewalt verstärken kann, wenn die Einschränkungen länger andauern. Mit unserer Info-Kampagne geben wir Frauen zu verstehen, dass ihnen nachhaltig geholfen wird, wenn sie von Gewalt bedroht sind. Das sind alles verzahnte Maßnahmen, da ist es wichtig, dass sich alle Menschen in diesem Land angesprochen fühlen.

Die Vertrauenswerte der Regierung sind auf einem historischen Hoch. Sie haben es als Innenminister sogar geschafft, von Minus 4 um 33 Punkte in das satte Plus zu kommen. Hat Corona Ihr Image gedreht?
Was Corona auf jeden Fall gemacht hat: Es hat den Menschen gezeigt, dass diese Bundesregierung intensiv zusammenarbeitet, auch über Parteigrenzen hinweg, dass wir ein ganz starkes Team sind, der Kanzler, der Gesundheitsminister, der Vizekanzler und ich.

Das „virologische Quartett“ (das Copyright hat „Heute“-Chefredakteur Christian Nusser) ...
Ja, auch die „Musketiere“ haben mir gut gefallen.

Sie haben jetzt kein Wort über sich und Ihre Umfragewerte gesagt ...
Weil ich glaube, dass Herausforderungen nur gemeinsam zu lösen sind. Es gibt einfach so unglaublich viel abzustimmen. Das sind ja ganz schwere Entscheidungen, die wir hier zu treffen haben. Und ich muss sagen, der Bundeskanzler hat dabei sehr stark den Takt vorgegeben, weil er auch die internationalen Kontakte hatte, zu Israel, in die asiatischen Länder, die uns ganz viele Informationen zur Verfügung gestellt haben, wie sich die Krise bei ihnen entwickelt hat, welche Maßnahmen sie setzen, das ist bis jetzt so. Wir stehen international unter Beobachtung.

Kann man sich über hohe Umfragewerte, die eigentlich nur dieser Krise zu verdanken sind, überhaupt freuen?
Ich sehe sie als Momentaufnahme, als Beweis dafür, dass wir alle unser Bestes geben und die Menschen das auch sehen. Das kann sich auch wieder ändern, und es wird sich ändern. Entscheidend ist, dass für die Menschen spürbar ist, dass es richtig ist, was wir tun. Daran wird man uns am Ende des Tages messen.

Nach Ihrer Angelobung Anfang des Jahres hat die „Krone“ Sie als „Mann fürs Grobe“ vorgestellt, als jenen Minister, der die harte Linie der ÖVP bei Sicherheit, Migration und dem politischen Islam durchsetzen muss - sind Sie froh, dass es anders gekommen ist?
Ich habe für mich immer den Anspruch gehabt, als Innenminister konsequent und klar in meinem Handeln zu sein, das bin ich auch den Polizistinnen und Polizisten schuldig. Ich werde das auch weiterhin so halten. Wichtig bleibt mir, die Demut und Sensibilität zu haben, dass dieses Haus mit seinen Aufgaben einen besonderen Umgang mit der großen Verantwortung braucht.

Ihre erste Amtshandlung war, „grenznahe Zentren für schnellere Asylverfahren“ zu fordern. Sie mussten das zurücknehmen, war es ein Fehler?
Ich habe dadurch gelernt, präziser in meinen Aussagen zu sein. Wir werden unsere Grenzen weiterhin schützen, um Bilder wie 2015 zu vermeiden. Wir brauchen massiven Grenzschutz, aber auch Hilfe vor Ort. Wir haben die Griechen mit einer Spezialeinheit der Cobra plus einem gepanzerten Fahrzeug unterstützt. Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich dran denke, wie türkische Spezialeinheiten versucht haben, unsere Polizisten zu provozieren: „Was macht ihr da? Geht zurück in euer Heimatland, das ist nicht eure Grenze!“ Über die Reaktion unserer Polizisten wurde dann in allen griechischen Medien berichtet. Unsere Cobra-Beamten haben rübergeschrien: „Das stimmt nicht! Das ist auch unsere Grenze und wir beschützen sie gemeinsam!“ Letzte Woche haben wir vereinbart, 180 Container nach Griechenland zu schicken, um neue Unterkünfte zu schaffen und die Situation der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln zu verbessern. Die Zustände dort sind inakzeptabel.

Warum nimmt Österreich dann keine Kinder aus den Flüchtlingslagern auf?
Weil es das falsche Signal wäre, ein paar unbegleitete Minderjährige aufzunehmen und andere bleiben in der horriblen Situation. Wir müssen die Lebensbedingungen vor Ort verbessern.

Herr Nehammer, Sie waren vor nicht allzu vielen Jahren noch relativ unbekannt. Staunen Sie manchmal selber über die rasante Karriere, die Sie in der ÖVP hingelegt haben?
Es ist für mich immer wieder unglaublich. Es ist unglaublich ehrenvoll, Innenminister der Republik sein zu dürfen. Es macht mich total stolz, wenn ich unterwegs bin und Polizisten auf der Straße treffe und sehe, mit welcher Begeisterung die Kolleginnen und Kollegen arbeiten, und ich darf ihr Minister sein. Das ist ein besonderes Privileg.

Sie haben in den sozialen Netzwerken verraten, dass Ihre Frau Ihnen die Haare schneidet. War das schon vor Corona so?
Nein, das macht sie erst jetzt. Ganz früher habe ich mir die Haare selbst geschnitten, beim Militär habe ich sie noch viel kürzer getragen.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie Sebastian Kurz das macht? Seine Frisur sitzt auch nach Wochen der Quarantäne noch tipptopp…
Nein, aber das ist ein interessanter Gedankenanstoß.

Schmeichelt Ihnen eigentlich die Bezeichnung „George Clooney der Herrengasse“?
Wer sagt das? (lacht) Meine Kinder fragen mich trotzdem: Papa, warum bist du schon so grau?

Was antworten Sie?
Ich zitiere die Mama. Sie sagt: „Ich war es nicht, das war die Politik.“

Was ist Ihre Vision für unser Land am Ende dieses denkwürdigen Jahres?
Mein größter Wunsch wäre, dass wir das Virus besiegt haben werden. Oder zumindest so weit reduziert, dass es keine Gefahr mehr für uns Menschen darstellt. Wie viele Arbeitslose es Ende 2020 noch geben wird, ist schwer einzuschätzen. Die Wirtschaft hat auf jeden Fall schweren Schaden genommen.

Glauben Sie nicht, dass wir noch viele Jahre mit Covid-19 leben werden müssen?
Schon, aber entscheidend wird sein, dass wir einen Umgang mit dem Virus gefunden haben, der uns ein Höchstmaß an Normalität zurückgibt. Es wird in absehbarer Zeit auch ein Medikament geben, es wird eine Impfung geben, das werden alles Meilensteine sein.

Was werden Sie 2030 über Corona denken oder sagen?
Dass der Umgang mit diesem Virus die einschneidendste Zeit meines Lebens gewesen ist ... Und dass Corona uns mit Sicherheit alle verändert hat.

VOM BOXER ZUM INNENMINISTER
Geboren am 18. Oktober 1972 in Wien. Ab 2016 Generalsekretär des ÖAAB, seit 2017 Nationalratsabgeordneter und Bezirksparteiobmann der ÖVP Wien-Hietzing. Ab 2018 ÖVP-Generalsekretär und Wahlkampfleiter von Sebastian Kurz. Der passionierte Boxer ist Oberleutnant beim Bundesheer und war, bevor er Innenminister der türkis-grünen Regierung wurde, auch Trainer für strategische Kommunikation. Verheiratet mit Kathi Nehammer, der Tochter von Peter Nidetzky („Aktenzeichen XY“), ein Sohn (11) und eine Tochter (9 Jahre alt).

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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