„Krone“-Interview

Catastrophe & Cure: Mitten im Leben gelandet

Musik
18.04.2020 06:00

Seit mehr als zehn Jahren zählen Catastrophe & Cure zu den stärksten und verlässlichsten Indie-Bands des Landes. Auf ihrem brandneuen Album „Somewhere Down The Line“ kommen die Gitarren trotz der Elektronik mehr in den Vordergrund. Frontmann Johannes Eder sprach mit uns detaillierter über das „Coming-Of-Age“-Werk des Quintetts.

(Bild: kmm)

„Krone“:Johannes, wie geht es dir? Was macht die aktuelle Corona-Situation für dich und deine Band? Wie gehst du damit um und was hat sich verändert?
Johannes Eder:
Wir sitzen alle im selben Boot: Wir können nicht proben, Konzerte müssen verschoben werden, die Momente, auf die man hingearbeitet hat, wie zum Beispiel die Veröffentlichung eines Albums, können nicht gebührend gefeiert werden. Das ist schade, aber geht derzeit eben nicht anders. Innerhalb der Band trifft uns die Krise unterschiedlich hart. Unser Schlagzeuger lebt ausschließlich von der Musik, er spielt in mehreren Bands und unterrichtet. Ich habe hingegen das große Glück, dass ich im Home Office arbeiten kann. Vielen Menschen da draußen geht es derzeit leider viel schlechter; sie müssen sich tagtäglich für einen oftmals viel zu geringen Lohn einem Ansteckungsrisiko aussetzen, verlieren ihre Jobs und haben mit massiven Existenzängsten zu kämpfen.

„Somewhere Down The Line“ heißt euer heiß ersehntes viertes Album, das diese Woche veröffentlicht wird. Nämlich mitten in der Corona-Krise - habt ihr nicht auch überlegt, den Release nach hinten zu schieben?
Nicht wirklich. Die Veröffentlichung war ja schon länger geplant und für uns als Band ist damit auch ein gewisser Abnabelungsprozess verbunden. Hätten wir die Veröffentlichung verschoben, hätten wir möglicherweise noch weiter daran herumgetüftelt und ich glaube, das wäre eher kontraproduktiv gewesen. Erst wenn die Platte veröffentlicht ist, können wir so richtig loslassen und uns darüber freuen.

Jetzt müssen natürlich auch die Konzerte voraussichtlich im Herbst stattfinden, was sich nicht anders lösen lässt. Hast du Angst, dass dadurch dem Ganzen etwas Wind aus den Segeln genommen wird?
Ich befürchte schon, dass die größere zeitliche Distanz zwischen Veröffentlichung und Tour dem Ganzen etwas Wind aus den Segeln nehmen wird, aber das können wir nicht ändern, deshalb bringt es auch nichts, sich darüber zu ärgern. Wer weiß, vielleicht sind die Menschen im Herbst dann ja dafür umso hungriger auf Live-Konzerte - so sie denn stattfinden können - und womöglich können wir sogar noch neueres Songmaterial mit auf Tour nehmen.

Kommen wir zum Album - „Somewhere Down The Line“. Worauf sprecht ihr da überhaupt an? Was steckt in erster Linie hinter dem Titel?
Im Unterschied zu den vorherigen Alben sind die Songs für diese Platte zu einer Zeit entstanden, in der die meisten von uns mit dem Studium bereits fertig waren und zu arbeiten begonnen hatten. Das verändert sowohl den Alltag als auch die Perspektive stark. Man hat plötzlich nicht mehr das ganze Leben vor sich, sondern maßgebliche Entscheidungen bereits getroffen; Profi-Fußballer wird wohl keiner mehr von uns. Einerseits fühlt man sich zwar weniger rastlos, andererseits kommt man ab und an auch ins Grübeln, was nicht hätte sein können, wenn man gewisse Entscheidungen anders getroffen hätte. Irgendwann - somewhere down the line - ist es also passiert und wir sind an dem Punkt angelangt, an dem wir uns jetzt befinden. Unsere erste EP hieß „Somewhere In Between“, zehn Jahre später schien uns „Somewhere Down the Line“ passend.

Ich habe auf eurem Facebook-Account gelesen, dass Songwriting- und Albumprozess nicht immer so ganz einfach waren. Inwiefern ist das gemeint und wie sehr befruchten Diskussionen schlussendlich den musikalischen Prozess?
Bis zu einem gewissen Grad ist eine Albumproduktion immer mühsam, da man sehr viele Stunden einsam im Kämmerchen sitzt und irgendwelche Regler rauf und runter schiebt. Dieses Mal kam hinzu, dass es nicht immer leicht war, gemeinsame Termine zu finden. Wir mussten etwas flexibler an die Sache herangehen, es gab Recording-Sessions bei denen wir vollzählig waren, aber auch solche, bei denen wir nur zu zweit oder zu dritt waren. Das musste sich erst einpendeln.Zur richtigen Zeit die richtigen Diskussionen zu führen finde ich übrigens enorm wichtig und zielführend. Es zeigt, dass man sich mit einer Sache auseinandergesetzt und sich eine Meinung gebildet hat; das bringt musikalische Prozesse weiter. Man darf mit der Diskussion aber nicht zu früh beginnen, sonst läuft man Gefahr, dass eine Idee zerpflügt wird, bevor sie überhaupt Zeit hatte zu reifen.

Indie Rock mit elektronischen Einflüssen kann man bei euch ja schon länger verorten, die Liebe zu New Wave, 80ern und Synthie-Sounds ist hier aber noch weniger abzustreiten als je zuvor. Was hat euch dazu inspiriert?
Soundästhetische Entscheidungen treffen wir eher intuitiv. Ich höre zwar nur wenig Musik aus den 80ern, es hat sich in letzter Zeit aber tatsächlich ein gewisses Faible für Modulationseffekte, in Chorus getauchte Gitarren, leiernde Delay-Fahnen und wabernde Synthies entwickelt. Ich mag es, wenn gewisse Elemente im Mix ein bisschen verstimmt klingen und aus dem Rahmen fallen.

Wohin wolltet ihr klangmäßig im Direktvergleich zu den letzten Outputs? Was waren die wichtigsten Stellschrauben im Catastrophe-&-Cure-Sound, an denen ihr in erster Linie drehen wolltet?
Das lässt sich nicht wirklich sagen, wie gesagt geschieht das eher intuitiv. Dadurch, dass wir schon so lange dabei sind, hat sich eine gewisse Lockerheit entwickelt. Ich weiß, es klingt etwas abgedroschen, aber wir machen einfach das, worauf wir Lust haben.Nachdem ich gänzlich untalentiert bin was Tasteninstrumente betrifft, schreibe ich die meisten unserer Songs auf der Gitarre. Bei unseren letzten beiden Platten ist von der Gitarre oft nicht mehr viel übriggeblieben, da es deutlich elektronischer wurde. Dieses Mal bildet die Gitarre aber oft das Herzstück, sei es bei „Another Wave“, „I Never Answer“ oder „Hearts Of Glass“. Das Album klingt dadurch stärker nach Band und rückt das Songwriting statt der Soundtüftelei in den Mittelpunkt. Als kleines Kind in den 90ern wurde ich durch meine großen Brüder früh mit Bands wie Pavement, Nirvana, R.E.M, Pixies und Radiohead konfrontiert. Ich glaube, dieser Einfluss ist auf dem aktuellen Album zum Teil deutlicher zu spüren als auf unseren bisherigen Platten.

Ein besonders starkes Stück etwa ist „Seven Nights A Week“. Worauf spielst du da an? Hat das mit deiner Leidenschaft für Musik zu tun oder trägst du da etwas anders nach außen?
Das freut mich, das ist einer meiner Lieblingssongs auf der Platte. „Seven Nights A Week“ behandelt die klassischen Coming-Of-Age Themen. Es geht darum aufzubrechen, sich über elterlichen Rat hinwegzusetzen, Unbedachtes zu tun und eigene Erfahrungen zu machen. Am Ende des Songs wollten wir allerdings einen Kontrapunkt setzen und das klassische Happy End rausnehmen. Es kommt zum musikalischen Chaos, es ist nicht klar, ob der Aufbruch geglückt ist, oder, ob irgendetwas entsetzlich schief gegangen ist.

Ein Song wie „I Never Answer“ dagegen ist dann wieder ziemlich rumpelig und sehr stark auf den Beat gebaut. Wie viel Abwechslungsreichtum lässt ihr euch beim Komponieren? Bzw. wo sind die musikalischen Grenzen verortet?
Wir setzen uns keine strikten Grenzen. Unsere „Blank Spots“ Mini-LP hatte ein sehr einheitliches Klangbild, auf Albumlänge wollten wir aber wieder etwas mehr Abwechslung reinbringen und - wenn man so will - sowohl der elektronischen als auch der gitarrenlastigen Seite unseres bisherigen Schaffens ihren Platz einräumen. Die Instrumentaltracks haben wir ganz bewusst gesetzt, damit man beim Hören auch mal durchatmen und abdriften kann. Es ist uns aber sehr wichtig, dass ein Album einen roten Faden hat, insbesondere was den Sound betrifft. Ich hoffe und denke, dass uns dieser Spagat auch geglückt ist.

„Hearts Of Glass“ ist vielleicht mein Favorit nach den ersten paar Mal durchhören. Allein schon wegen der Verbindung aus der wuchtigen Instrumentierung und deiner doch eher sanften, aber bestimmenden Stimme. Hat die Nummer auch für dich eine Art verschrobenen Hymnencharakter?
Ja, total. Der Song war relativ schnell geschrieben und eingespielt; für den Refrain bin ich einfach Stop-and-Go mäßig auf das Verzerrer-Pedal gestiegen. Textlich wollten wir diesem wuchtigen Refrain etwas Fragiles entgegenzusetzen - nämlich „Hearts Of Glass“. Man kann versuchen, diese hearts of glass zu schützen, letztlich muss man sich aber rauswagen und verletzbar machen. Man wird nicht umhinkommen, das zerbrochene heart of glass immer wieder aufs Neue zusammenzusetzen.

Mit „Distant Siren“ gibt es am Ende sogar einen ziemlich verschrobenen Song, der ein bisschen Jam-Charakter widerspiegelt. Ist das euer erster Schritt in eine jazzige Zukunft?
Haha, ob es eine jazzige Zukunft geben wird traue ich mich noch nicht zu sagen. Bei den meisten Songs ist es so, dass ich mit einem Grundgerüst - Akkordfolge, Gesang, grober Ablauf - in die Bandprobe komme und wir dann gemeinsam daran feilen. Bei „Distant Siren“ haben wir einen anderen Zugang gewählt, ich wollte mich bewusst etwas rausnehmen und den Instrumenten ihren Platz lassen. Wir haben uns in den Proberaum gestellt, die Aufnahme gestartet und einfach drauflos gespielt.

Gibt es allgemein einen thematischen Bogen, der sich über die einzelnen Songs spannt? Eine zusammenhängende Geschichte etwa?
Nein, eine zusammenhängende Geschichte gibt es nicht, zumindest hätte ich sie noch nicht für mich entdeckt. Es gibt aber gewisse Bilder und Stimmungen, die sich wiederholen.Mir war es wichtig, dass die Texte nicht immer ganz eindeutig sind, sondern mehrere Deutungsmöglichkeiten bieten. Nehmen wir den Song „What’s Your Sin“: Man kann den Text aus einer zweipersonalen Perspektive betrachten, quasi als Beziehungssong - zwei Menschen, die in einer Beziehung gefangen sind, wissend, dass es nicht funktioniert, unfähig oder nicht Willens sich zu ändern. Textzeilen wie „You grew up to fit right in / Count your blessings / What’s your sin? / Everything will stay the same / And I know who takes the blame / Everything will stay the same / We don’t ever dare to change“ sind aber auch einer Deutung auf gesellschaftlicher Ebene zugänglich - in einem System gefangen zu sein, das Gefühl der Ohnmacht, nichts verändern zu können und letztlich die Einsicht, dass man manches möglicherweise doch selbst in der Hand gehabt hätte, aber sich nicht drüber getraut hat.

Euch war es auch hörbar wieder wichtig, einen träumerischen Indie-Sound mit Tanzbarkeit und dem gewissen Träumerischen zu verbinden. Ist das eure oberste Prämisse oder der kleinste gemeinsame Nenner, der immer vorhanden sein muss?
Schwer zu sagen, ich glaube, dieser Hang zur Melancholie und zum Verträumten wohnt den Songs einfach inne. Zu einem großen Teil ist Songwriting ja ein Ventil, scheinbar muss das Verträumt-Melancholische einfach aus uns raus.

Als ihr euch in Steyr formiert habt, war es 2009. Also gibt es die Band jetzt schon etwas mehr als eine Dekade. Inwiefern seid ihr in dieser Zeit als Gespann, Kollegen, Freunde gereift und habt euch zusammengerauft? Wo liegen die größten Unterschiede zu den frühen Tagen?
Eine so lange und zum Glück überwiegend positiv geprägte Geschichte zu haben empfinde ich als große Stärke, da wir auf unsere bisherigen Erfahrungen zurückgreifen können; uns wirft nichts mehr so leicht aus der Bahn. Ab und zu kann diese lange gemeinsame Geschichte aber auch Ballast sein, da wir einander teilweise fast schon zu gut kennen und genau wissen, wie wir uns gegenseitig zur Weißglut treiben können.
Was sich verändert hat, ist unser Workflow im Proberaum. Wir müssen uns besser koordinieren als früher. Es ist nicht immer möglich, dass wir vollzählig im Proberaum stehen, manchmal arbeiten wir daher auch nur zu zweit oder zu dritt an den Songs weiter. Es hat ein bisschen gedauert, bis sich das eingependelt hat.

In diesen mehr als zehn Jahren hat sich auch die Musikwelt gewaltig verändert. Ich finde ja, man hört eurer Musik immer ein bisschen Nostalgie und Retrospektive an - gilt das auch für euch als Musiker und Personen dahinter?
Das kann gut sein. Vermutlich hängt das mit dem zusammen, was ich vorhin bereits erwähnt habe, nämlich, dass man ins Grübeln gerät, was nicht hätte sein können, wenn man gewisse Entscheidungen anders getroffen hätte. Da spielen Nostalgie und Retrospektive wohl eine Rolle.

Musikalisch habt ihr mit euren ganz frühen Tagen, wo auch Mandolinen oder ein Cello am Start waren, wenig zu tun. Wie steht ihr dieser Zeit heute gegenüber?
Ich würde jetzt wohl vieles anders machen. Ehrlich gesagt, würde ich mir auch Sorgen machen, wenn dem nicht so nicht so wäre, immerhin sind diese Songs zum Teil schon über zehn Jahre alt. Aber auch das gehört zu unserer Geschichte, die hat viele Facetten, Ecken und Kanten - das ist auch gut so.

Wie geht es jetzt allgemein bei euch weiter? Was ist mittelfristig geplant und wie sehen die Planungen für 2021 aus?
2021 planen wir ehrlich gesagt noch nicht. Wir hoffen, dass wir die Tour wie geplant im Herbst 2020 nachholen können und freuen uns schon sehr darauf, wieder auf der Bühne zu stehen!

Geplante Live-Shows
Die offizielle Release-Show für „Somewhere Down The Line“ im Wiener Fluc ist Corona-bedingt vorerst auf 22. Oktober verschoben. Ebenfalls am Plan stehen: 23. Oktober Stadtwerkstatt Linz, 27. Oktober Orpheum Graz und 19. Dezember OKH Vöcklabruck.

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