Historische Funde

Awarengräber nahe Sigleß bezeugen Ende einer Kultur

Burgenland
05.08.2010 13:35
Einblicke in die Kultur der Awaren, die vor rund 1.200 Jahren im Raum des heutigen Nordburgenlandes ansässig waren, sind in Sigleß (Bezirk Mattersburg) möglich. In einem Waldstück führt die Archäologin Dorothea Talaa dort seit 2007 Grabungen durch, im Mittelpunkt steht dabei ein Gräberfeld mit rund 50 Hügeln. Als stumme Zeugen der Vergangenheit liefern sie wertvolle Hinweise über das Verschwinden der awarischen Population im neunten nachchristlichen Jahrhundert.

Die Awaren, ein in Zentralasien beheimatetes Steppenvolk, zogen im 6. Jahrhundert gegen Westen und ließen sich dabei auch in Pannonien nieder. Die in Sigleß gefundenen Gräber beinhalten zum Teil außergewöhnliche Funde, wie das Skelett eines groß gewachsenen Schwertträgers und eine Silbermünze christlicher Prägung, die als Grabbeigabe diente, bezeugen. Als Stelle mit einer fast mystischen Atmosphäre beschrieb die Archäologin nun das Gebiet des Kloaschitzwaldes, in dem die Grabungen durchgeführt werden. Österreichweit gebe es nur zwei weitere derartige Hügelgräberfelder – nämlich in Gars am Kamp und bei Maria Taferl. "Wir haben bis jetzt an die 50 Grabhügel ausmachen können, davon ist auch der Großteil vermessen", schilderte die Wissenschaftlerin.

Gräber verschiedener Epochen entdeckt
27 Hügel wurden bereits dokumentiert, dabei stellte sich heraus, dass die frühmittelalterlichen Gräber zumindest ein urgeschichtliches Gräberfeld aus der Eisenzeit und ein römisches Brandgräberfeld aus dem ersten Jahrhundert nach Christus überlagern. Es gebe aber auch Funde aus der Bronzezeit, der Spätantike und der Steinzeit. "Der Kloaschitzwald gibt nur Stück für Stück seine Geheimnisse preis", meinte Talaa. Ein Handicap sei, dass für die Grabungen nur ein verhältnismäßig geringer finanzieller Betrag zur Verfügung stehe, mit dem sie etwa sechs Wochen pro Jahr arbeiten könne. Bei ihrer Tätigkeit wird sie von einem Helfer sowie bei der Vermessung und der grafischen Dokumentation von ihrem Mann unterstützt.

Aus Erfahrung wisse man, dass die über den Gräbern aufgeschütteten Hügel aus archäologischer Sicht "steril" seien. Deshalb könne man sie vorsichtig abtragen, ohne jedoch das Erdreich händisch abgraben zu müssen. Neben Hügeln mit einer Grabstelle fanden sich auch Familiengräber. Außerdem habe man viele Babys und Kleinkinder gefunden. Deren Skelette seien teilweise so unterentwickelt, dass man den Eindruck habe, als wären sie verhungert. Die Bestattung unter Hügeln war in karolingischer Zeit von der fränkischen Administration als heidnisch verboten worden. Die Funde in Sigleß machten den Eindruck, "als ob die Leute in einer Art Synkretismus gelebt haben: Es ist eine Art Mischreligion mit vielen heidnischen Elementen", so Talaa.

Rückschlüsse auf "Multi-Kulti-Situation"
Das Christianisierte trete dabei sehr in den Hintergrund. Insgesamt gebe es "eine Multi-Kulti-Situation" – Elemente der Weltreligionen seien mit heidnischen Religionsvorstellungen vermengt. In den Gräbern fanden sich neben sehr großen Menschen eher nordeuropäischen Typs auch viele kleine Leute, die offensichtlich asiatischer Abstammung seien. Von den Funden im Kloaschitzwald gibt es auch eine Verbindung zu Resten einer in Mattersburg freigelegten, zerstörten Siedlung aus derselben Zeit. Die dort ansässigen Bauern hatten die in den Gräbern von Sigleß bestattete Aristokratie im siebenten und achten Jahrhundert ernährt.

Vor allem für das Jahr 822 seien klimatische Verschlechterungen belegt, die zum Ende der awarischen Aristokratie und der Kriegerkaste beigetragen haben dürften, so Talaa. Danach höre man eigentlich nichts mehr von den Awaren. Die Forscherin will sich nun des Unterganges der awarischen Population besonders annehmen. Es gebe Indizien, dass die Leute teilweise verhungert und teilweise bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen seien. Darauf deuteten Skelette von aus dem asiatischen Raum abstammenden Kriegern mit eingeschlagenem Schädel hin.

Aufsehenerregende Waffenfunde
"Highlight" bei den heurigen Ausgrabungen in Sigleß sei der Fund eines sehr groß gewachsenen Mannes, der mit seinem Schwert bestattet worden war, gewesen. 2010 sei überhaupt "ein Jahr der Waffen", so Talaa. Neben dem Schwertträger wurden auch Gräber von zwei Lanzenträgern freigelegt. Die gefundenen Waffen – eine karolingische Flügellanze und eine fränkische Spatha, ein zweischneidiges Schwert – durften einst nur von Aristokraten getragen werden. Außerdem bestand für sie ein Ausfuhrverbot. Ein Spathaträger im awarischen Gebiet sei deshalb ungewöhnlich, die Waffe sei für damalige Verhältnisse "ungeheuer wertvoll" gewesen.

Sie überlege deshalb, ob es sich beim Träger nicht um einen emigrierten Angehörigen der bayerischen Aristokratie gehandelt haben könnte, der sich – aus welchen Gründen auch immer – dem Einfluss Karls des Großen entzogen habe. Dies sei jedoch derzeit nur Theorie. Die Spatha wird nun konserviert und muss danach restauriert werden, was etwa ein Dreivierteljahr dauern dürfte, meinte Talaa. Historisch sei für die damalige Zeit in den fränkischen Annalen ein Vasallenkaganat (vergleichbar mit einem Fürstentum, Anm.) überliefert, Karl der Große hatte dem letzten awarischen Kagan gestattet, ein solches zwischen Carnuntum und Savaria – dem heutigen Gebiet von Petronell bis Szombathely – zu errichten.

Datierung des Gräberfeldes durch Silbermünze
Ein Forschungsziel sei nun, möglichst genau die Ausdehnung dieses Vasallenkaganats zu erfassen und den kulturellen Ablauf zu dokumentieren.  Das eigenständige Kaganat unter karolingischer Patronanz habe nämlich nur sehr kurz bestanden – etwa von 805 bis 828/830. Danach übernahmen bereits fränkische Grafen die Verwaltung des Gebietes. "Genau in diesen Zeitraum fallen kulturelle Umwälzungen, die sehr interessant sind und den Grundstein legen quasi für unsere europäische Entwicklung, für das Mittelalter und die nachfolgenden Perioden. "Eine relativ genaue Datierung des Gräberfeldes in Sigleß ermöglicht eine bereits im Vorjahr gefundene Silbermünze aus der Zeit Ludwigs des Frommen.

"Es ist die bisher einzige Prägung dieser Art, die in einem solchen Gräberfeld gefunden wurde", so die Archäologin. Auf der Münze, einem Christiana Religio Denar, der im Zeitraum von 822 bis 840 geprägt wurde, ist ein Kreuz dargestellt. Sehr interessant sei die Fundsituation: Ein bestatteter 17- bis 18-jähriger Krieger hatte das Geldstück im Mund - "als Obulus nach der römischen Sitte für den toten Fährmann". Über die Ausgrabungen in Sigleß gerät Talaa, die seit 20 Jahren vor allem im Raum des Wiener Beckens arbeitet, ins Schwärmen: "Die Fundstelle ist extraordinär", es sei "wahrscheinlich die beste Grabung, die ich je hatte und haben werde."

 
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