Rektor von St. Virgil

Max: „Diese Krise enthüllt vieles an Wahrheit“

Salzburg
13.04.2020 07:28

Wie begehen wir Ostern in der Zeit des Virus? Wie bewältigen wir die Herausforderungen? Wie ist das jetzt mit der Apokalypse genau? Der Rektor von St. Virgil, Michael Max, über Glauben und Zweifel im Bann der Epidemie.

Wie ist die Bedeutung von Ostern in dieser besonderen Zeit zu verstehen?

Es gibt kein Leben ohne Hingabe. Im Loslassen ist Ankommen. Ostern als Kulturfest ist in seinen tiefsten Schichten stark mit der Erfahrung des Frühlings verbunden. Erde lässt sich aufbrechen, Saat wird ausgebracht. Nicht Stillstand prägt den Menschen, sondern das Hinausgehen. So entsteht Neues und wendet sich die Lebensnot, in der keiner sich das Leben selber bewahren kann. Wir sind aufeinander angewiesen, und das ist gut so.

Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Was tat Gott danach?

Um das zu beantworten braucht es eine grundsätzliche Unterscheidung: „Schöpfen“ ist nicht „machen“. „Schöpfung“ im Sinn von geschehen lassen, etwas lebendig sein lassen, liegt nicht einfach hinter uns, sie ist das Ereignis jedes Augenblicks; oder als Antwort auf die Frage: Er bleibt kreativ.

Wie haben wir den weisen Schöpfungsplan zu verstehen? Was könnte an den Vorgängen, die wir gerade weltweit erleben, für ein weiser Plan zu entdecken sein?

Ich wäre immer vorsichtig, solche Dinge allgemein zu postulieren. Also zu sagen, dass hinter all dem ein weiser Plan stecke, aber man ihn halt nur noch nicht verstehe. Das wäre für mich eine Pädagogik mit einem schalen Beigeschmack. Mag sein, dass es so etwas wie einen Plan gibt, aber er lässt sich nicht vorschreiben. Etwas anderes ist es, wenn jemand auf gewisse Ereignisse blickt und für seinen oder ihren Lebenszusammenhang erkennt, dass es da eine Art weiser Führung gibt.

Es gab die zehn Plagen, die in den Exodus führten. Haben wir jetzt eine elfte Plage und wohin soll sie uns führen?

Die Botschaft der zehn Plagen ist, dass es Dinge gibt, die du nicht kontrollieren kannst. Es geht nicht darum, dass du alles im Griff hast. Es geht darum, dass du lernst, andere in deinen Händen zu halten und umgekehrt auch gehalten zu sein. Das ist und bleibt ein zeitloses Thema.

Welche Funktion hat Religion und kann Religion eine Funktion haben?

Ein wichtiger Dienst der Religion ist die Bewältigung von Grenzerfahrungen, vor allem die Überwindung von Angst. Oder positiv gesagt: Sie schenkt Sinn.

Glücklicherweise hat sich bis jetzt noch keiner gefunden, der Corona als „Strafe Gottes“ bezeichnet, wie das etwa bei HIV oder beim Tsunami passiert ist. Aber können wir aus der Pandemie irgendwelche Lehren ziehen?

So etwas wie eine „Strafe Gottes“ geht gar nicht. Zentral sind für mich andere Fragen. Etwa: Welche Erfahrungen habe ich gemacht? Auf wen konnte ich mich verlassen? Wer war für mich da? Wenn mir der „kleine“ Bäcker ums Eck täglich frisches Brot vor die Tür gestellt hat, dann gehe ich auch in Zukunft bei ihm einkaufen und nicht dort, wo es zehn Cent billiger ist.

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Religion dient immer der Bewältigung von Grenzerfahrungen und vor allem der Überwindung von Angst. Sie schenkt Sinn.

Michael Max

Mitmenschlichkeit kippt oft in die Wolfsphase. Hamsterkäufe sind da nur der harmloseste Aspekt. Aber wie bleiben wir Menschen, wie bleiben wir menschlich?

Naja, Menschlichkeit ist ein dünnes Eis, das ist nichts Neues. Wenn man sich auf dünnem Eis bewegt, ist das Wichtigste, dass einem das bewusst ist. Man muss mit sich und anderen Menschen sehr behutsam sein. Auch im Umgang mit den Institutionen, die uns die Humanität bewahren. Andernfalls breche ich auf dünnem Eis ein.

Ist die Idee von Sünde und Beichte noch zeitgemäß? Ist die Idee vom Leiden noch zeitgemäß? Ist die Idee von der Scham noch zeitgemäß? Gibt uns die Bibel Antworten? Hat die Kirche die richtigen Antworten, die richtige Sprache?

Ich würde sogar sagen, dass die Auseinandersetzung mit den Fragen von Schuld und Vergebung genauso wie die Frage nach einem „Warum?“ zum Menschen dazugehören. Genauso wie der Blick zu den Sternen und die Frage, was hinter dem Horizont liegt. Grenzen zu überschreiten ist etwas, das den Menschen erst zum Menschen macht. Das ist groß und tragisch zugleich. Wenn Sie diese Ideen entsorgen, können Sie auch jedes Theater und jedes Opernhaus und wahrscheinlich die Kunst insgesamt zusperren. In die biblischen Geschichten ist diesbezüglich viel Menschheitserfahrung geronnen. Es geht dabei nicht unmittelbar um Antworten, sondern eher darum, einen Weg der gelungenen Auseinandersetzung mit diesen Fragen aufzuzeigen. Die richtige Sprache dafür muss die Kirche sicherlich vielfach erst lernen.

Hilft beten?

Ja, sonst würden es ja nicht immer noch viele tun. Mir ist klar, dass das ein weites Feld ist. Das reicht vom Aberglauben bis hin zur Magie. Aber es geht auch um die ehrliche Hingabe an etwas oder jemand Höheren, die entlasten kann.

Wir leben im Zeitalter der Nützlichkeit, im Zeitalter des Neoliberalismus. Ist der Gesellschaft der moralische Kompass, der Sinn für Ethik abhanden gekommen?

So einfach ist das nicht. Vergessen wir nicht, auf welch hohem Standard sich unsere westlichen Demokratien bewegen. Rechtsstaatlichkeit, soziale Absicherungen, Gesundheitswesen, im Großteil Europas inzwischen eine Generation, die keinen Krieg kennt. Das ist ja alles ohne einen „ethischen Kompass“, wie er ja in den Verfassungen und Grundgesetzen festgelegt ist, nicht möglich. Wichtig wäre die Erkenntnis, dass das alles nicht selbstverständlich in Stein gemeißelt ist. Jede Generation steht vor der Aufgabe, sich neu zu bekennen. Und mit neu meine ich tatsächlich neu.

Zur Eindämmung des Virus sind wir offenbar bereit, wesentliche Einschränkungen unserer Freiheit in Kauf zu nehmen – wo beginnt und endet die persönliche Freiheit des Einzelnen?

Gerade während dieser Krise wird da einiges sichtbar. Einerseits ist die Eigenverantwortung ganz zentral. Wenn ich positiv einsehe, dass ich auf gewohnte Freiheiten verzichten muss, dann stellt das ja streng genommen keinen Verlust an Freiheit dar, denn das Gefühl, wie viel Freiheit ich brauche, ist letztlich etwas Subjektives wie der fiktive Dialog zwischen Jägerstätter und Freisler im Malick-Film, wo er sagt, dass er schon frei sei. „Andererseits braucht es daneben auch die objektiven Vorgaben für die Uneinsichtigen. Aber ist eine Corona-Party wirklich „Freiheit“ oder nur ein eher bescheidener Triumph über das sogenannte System?

In Frankreich und Italien gibt es bereits die Triage. Nach welchen Kriterien kann über Leben und Tod entschieden werden?

Unter der humanistischen Grundprämisse, dass jeder Mensch die gleiche Würde hat, gehört das zum Schwierigsten überhaupt! Menschen, die in solchen Entscheidungen stehen, tragen das Risiko, dabei entweder ihre Menschlichkeit zu verlieren oder zu zerbrechen. Deshalb ist es das Wichtigste überhaupt, niemanden in eine solche Situation kommen zu lassen und wenn es sich nicht vermeiden lässt, die Betreffenden nicht alleine zu lassen. Einerseits soweit es geht durch klare, gesetzliche Regelungen; andererseits durch therapeutische Begleitung; was bleibt ist allerdings, dass jeder und jede vor seinem oder ihrem Gewissen immer alleine die letzte Verantwortung trägt.

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Wichtig wäre die Erkenntnis, dass nicht alles selbstverständlich ist. Jede Generation steht vor der Aufgabe, sich neu zu bekennen.

Michael Max

Wir erleben eine globale zivilisatorische Kränkung und verteidigen diesen Verlust mit dem Kauf von Klopapier. Wie reif ist der Mensch?

Mein erster Erklärungsversuch war ein humorvoller. Wahrscheinlich wird den Menschen angesichts der Hamsterkäufe klar, dass sie das alles ja auch irgendwann verdauen müssen. Aber Spaß beiseite: Ein Mensch ist wohl nie ganz reif, aber auch nie ganz unreif. Solche Verhaltensweisen zeigen, dass es bei jedem auch viele Graustufen dazwischen gibt.

Ist die Flucht in die Religion in der Not das, was wir Glaube nennen – und wenn, woran glaubt man dann? Und inwieweit ist der Glaube dann nur der Versuch, Verantwortung an eine höhere Macht zu delegieren? Und was ist, wenn die Krise vorbei ist? Ich erinnere an den jüdischen Witz auf die Frage, wie die Menschen danach sein werden: Ein Mann versucht verzweifelt einen Parkplatz zu finden. Runde um Runde. Bis er G’tt anfleht: „Lieber G‘tt, bitte schick mir einen Parkplatz, ich komme sonst zu diesem wichtigen Termin zu spät. Ich werde jeden Shabbat in die Synagoge gehen, werde alle Gebote halten.“ In diesem Moment fährt jemand genau vor ihm mit seinem Auto weg, ein Parkplatz wird frei. Er: „Lieber G‘tt, vergiss es, ich hab grad einen gefunden.“

Der Witz zeigt sehr schön, dass der Mann auch dort, wo er sich an G‘tt wendet, doch nur im wahrsten Sinne des Wortes um sich selber kreist. Vernünftige Religion kann nie eine Flucht sein. Auch nicht aus Not. Not lehrt auch nicht beten aus einer Angst heraus. Wenn schon, dann lehrt sie beten, weil deutlich wird, was es braucht und was nicht; dann kann ich auch in der Angst beten, weil das „Du“ im Gebet nicht mehr ich selber bin. Und wenn ich als ein religiöser Mensch dieses „Du“ ernst nehme, dann kann ich mich auch nicht mehr aus der Verantwortung stehlen.

Erleben wir eine Apokalypse oder eine Trivialapokalypse? Und was oder wo wären wir ohne Apokalypse?

Das ist ein schmaler Grat. Man kann die Situation zur Zeit als eine Apokalypse im streng wortwörtlichen Sinn ansehen. Das griechische Wort bedeutet nicht einfach Weltuntergang, sondern Enthüllung. Die Krise enthüllt vieles an Wahrheit – über unsere Gesellschaft, das Wirtschaftssystem, die EU, die Menschen.

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Die Krise enthüllt vieles an Wahrheit. Wahrheit über unsere Gesellschaft, das Wirtschaftssystem, die Europäische Union, die Menschen.

Michael Max

Wie ist es um die Menschenwürde bestellt, wenn Menschen nun primär als Überträger von Viren gesehen werden. Ist der Mensch hinter der Maske ein Symbol?

Ja! In Abwandlung eines lateinischen Zitates könnte man fast sagen: „Homo homini virus est!“ Ich halte es für eine ganz entscheidende Rolle der Medien in Zeiten, in denen Menschen manchmal nur mehr Fallzahlen und exponentielle Wahrscheinlichkeiten auf statistischen Kurven sind, aufzuzeigen, dass hinter jedem Fall eine individuelle Geschichte steht, die es wert ist, erzählt zu werden. Die Aufgabe der Medien ist, zu demaskieren.

Vielen Dank für Ihre Geduld. Und jetzt nur noch einmal die Frage: Was will uns Ostern sagen?

Also jetzt nach dem Gespräch würde ich sagen, Ostern sagt uns, dass das Leben eine Fülle von Fragen ist. Hab keine Angst, dich ihnen und dem Menschen dahinter hinzugeben, und habe Freude daran, dabei ganz neue Horizonte zu entdecken.

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