AK-Direktor fordert:

„Faire Gehälter für Systemerhalter“

Vorarlberg
12.04.2020 16:00

Sie arbeiten im Supermarkt, sie pflegen unsere kranken und alten Mitmenschen, sie bringen uns die Post: die „Helden des Alltags“. Die Vorarlberger Arbeiterkammer (AK) kämpft nun dafür, dass diese Systemerhalter für ihren Einsatz auch nachhaltig belohnt werden. Warum dies ein Gebot der Stunde sei, erklärt AK-Direktor Rainer Keckeis im großen Interview.

Herr Keckeis, warum sollten Supermarktmitarbeiter und Beschäftigte im Gesundheitsbereich eine Belohnung für ihren Einsatz in der Coronakrise bekommen?

Die Erfahrung der letzten Wochen hat uns gezeigt, dass wir in Krisenzeiten Menschen brauchen, die das System am Laufen halten. Die auch dann arbeiten, wenn es für andere nicht mehr zumutbar ist - trotz aller damit verbundenen Ängste. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Pflege und im Handel sind für das System einfach unglaublich wichtig. Doch wenn wir auf diese Branchen ein genaueres Auge werfen, fällt auf: Es sind überwiegend Frauen, die dort ihren Dienst versehen - und das Lohnniveau in diesen Jobs ist niedrig. Es wäre daher zynisch, würde man diesen Menschen jetzt nur applaudieren - es ist vielmehr an der Zeit, Geld in die Hand zu nehmen und sie ordentlich zu bezahlen.

Eine Einzelhandelskauffrau bekommt im Schnitt ein Einstiegsgehalt von 1600 Euro brutto. Das war doch schon vor der Krise viel zu wenig.

Allerdings. Für jeden Beruf muss gelten: Wer wertvolle Arbeit leistet, sollte zumindest von seinem Einkommen leben können. In Vorarlberg kann ich mit einem Lohn von unter 1700 Euro netto nicht gut leben. Wenn ich eine Familie habe, wird die Situation dramatisch. Paradoxerweise halte jetzt viele, die nur schwer über die Runden kommen, unser System am Laufen.

Es gibt noch etliche andere Berufsgruppen, die zu den sogenannten „SystemerhalterInnen“ zählen. Welche sind ihrer Meinung nach ebenfalls unterbezahlt?

Das sind Postler, Busfahrer, Reinigungskräfte und viele mehr. Ich frage mich auch, warum die Beschäftigten bei den mobilen Hilfsdiensten nicht endlich im Landesdienst angestellt werden und immer noch über Vereine organisiert sind. Fast alle, die dort arbeiten, sind zudem geringfügig angestellt, weil die Vereine nicht genügend Mittel von der öffentlichen Hand bekommen. Fakt ist: Wenn wir diese Leute nicht hätten, stünden wir vor einem enormen Problem. Sie ordentlich zu bezahlen, ist letztlich auch eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Im übrigen reden wir nicht von Luxusgagen, sondern von einer Mindestabsicherung.

Es ließe sich aber argumentieren, dass auch in anderen Bereichen - etwa der Produktion oder dem Bau - tausende Beschäftigte trotz Corona die Wirtschaft am Laufen halten. Ist eine Bevorzugung bestimmter Gruppen also nicht ein wenig unfair?

Da eine Abgrenzung zu finden, ist natürlich immer schwer. Allerdings müssen jene Berufsgruppen, von welchen wir jetzt sprechen, arbeiten gehen - denen bleibt gar nichts anderes übrig. Und vor allem stehen sie im Kundenkontakt. Es ist schon ein Unterschied, ob ich im Supermarkt an der Kassa sitze und jeden Tag hundert Leute an mir vorbeigehen, oder ob ich in einem Industriebetrieb allein an einer Maschine stehe. Generell vertrete ich die Meinung, dass all jene, die ein Infektionsrisiko auf sich nehmen, eine Belohnung verdienen.

Nicht wenige der von ihnen angesprochenen Arbeitnehmer stehen im Landesdienst. Das Einstiegsgehalt einer Pflegeassistenz im Krankenhaus beträgt 2075 Euro brutto. Muss man also auch dem Land den Vorwurf machen, dass im eigenen Verantwortungsbereich zu wenig für eine gerechte Entlohnung getan wurde?

Ich mache niemanden einen Vorwurf. Aber man kann sehr wohl aus den Erfahrungen lernen und es künftig besser machen. Gerade das Land hätte auch eine Vorbildfunktion inne. Was ebenfalls nicht vergessen werden sollte: Pflegehelfer ist ein Job am Patienten und somit äußerst anspruchsvoll. Das soll auch ordentlich entlohnt sein. Es hilft nicht, permanent darüber zu jammern, dass es zu wenig Pflegekräfte gibt - vielmehr muss das Berufsbild attraktiver gestaltet werden.

Was fordert die AK-Vorarlberg nun? Wie hoch sollte die „Belohnung“ ausfallen?

Als Grundlage für unsere Forderung dient uns das Burgenland. Im Burgenland gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn für Landesbedienstete - zu diesen zählen auch viele Pflegekräfte -, der sich auf 2400 Euro brutto beläuft, das sind 1700 Euro netto. Die Lebenshaltungskosten in Vorarlberg sind deutlich höher, dennoch ist bei uns der Mindestlohn niedriger. Daher fordern wir vom Land, diesen auf zumindest 2400 Euro anzuheben.

Der Freistaat Bayern hat seinen Pflegekräften 500 Euro als Corona-Bonus versprochen. Wäre eine Einmalzahlung von Landesseite ein entsprechender Akt der Wertschätzung?

Das kann man machen. Diese Boni sind in Österreich ja jetzt auch steuerfrei gestellt worden. Dafür haben wir lange gekämpft. Wir fordern aber zudem eine langfristige Lösung. Es darf nicht sein, dass man die Arbeitnehmer mit ein paar hundert Euro abspeist und nachher läuft alles wieder wie gehabt weiter. Es geht darum, das Lohnsystem an die Wertigkeit des Arbeitsplatzes anzupassen.

SPÖ und FPÖ fordern ein 15. Gehalt für alle, die gerade unser System aufrecht erhalten. Das geht in eine ähnliche Richtung, oder?

Es ist im Prinzip egal, wie man diese Boni nennt. Langfristig geht es um eine ordentliche Gehaltserhöhung im Kollektivvertrag und höhere Mindestlöhne. Im Herbst gehen die Kollektivvertragsverhandlungen wieder los. Wenn die Krise vorbei ist, kann sich wahrscheinlich wieder keiner mehr daran erinnern. Darum weisen wir jetzt schon darauf hin, dass man die Leistungen, die in der Krise erbracht wurden, bei der künftigen Gestaltung der Lohnsysteme mitberücksichtigen muss.

Sie werden dazu auch eine Umfrage starten, was erwarten Sie sich davon?

Wir möchten mit unseren Mitgliedern in Kontakt treten und das Thema empirisch stützen. Es geht darum, wie das die Gesellschaft sieht. Ist die Bezahlung angemessen? Wie hoch sollte der Mindestlohn sein? Diese Dinge wollen wir abfragen. Die Umfrage startet am heutigen Ostersonntag. Ziel ist es, eine Grundlage für unsere Arbeit zu finden und das Ergebnis als Argument für unsere Forderungen zu nutzen.

Philipp Vondrak

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