Fastenzeit-Gespräche

„Warum soll Gott jetzt Nein sagen?“

Vorarlberg
05.04.2020 11:00

Auch in der Corona-Krise spricht Bischof Benno Elbs zu den Menschen, etwa in den Radio-Gottesdiensten. In Robert Schneiders Interview-Serie „Gespräche zur Fastenzeit“ erzählt er von Mathe-Nachhilfe und überbordenden Egos.

Bischof Benno, was ist das erste Bild in Ihrem Leben, das Ihnen noch präsent ist?

Es ist mehr ein Geruch. Ich komme aus einer Bauernfamilie in Langen bei Bregenz. Meine Eltern waren sehr arm. Wenn im Stall eine Kuh gekalbt hat, hat man zur Desinfektion die Nabelschnur mit Holzteer bestrichen. Das war eine schwarze, klebrige Salbe mit einem intensiven, sehr eigentümlichen Geruch. Uns Kindern wurde dann gesagt: „Der Nikolaus hat wieder ein Kälbchen gebracht.“ Darum ist der Geruch von Holzteer für mich bis heute mit dem Nikolausfest verbunden.

Erinnern Sie sich an eine Kränkung aus Kindertagen? Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich habe als Internatsschüler das Marianum in Bregenz besucht. Ich war kein guter Sportler. Wenn eine Fußballmannschaft zusammengestellt wurde, wurde ich von den Mitschülern stets als Zweit-oder Drittletzter gewählt. Das hat mich verletzt. Mein Glück war, dass ich in Mathematik - das Angstfach überhaupt - sehr gut war. Dadurch sind viele Mitschüler zu mir gekommen. Ich habe viel Nachhilfe gegeben und manchem das Leben gerettet, sozusagen. Dadurch konnte ich jene Wertschätzung kompensieren, die mir im Sport verweht geblieben ist.

In jedem Leben gibt es Wege und Irrwege. Haben Sie einen Weg in Erinnerung, der sich später als Irrweg herausgestellt hat?

Ich verlasse mich manchmal zu sehr auf Beschreibungen von Personen über andere Personen. Dann begegne ich zum Beispiel einem bestimmten Menschen mit einem vorgefertigten Bild, behandle ihn vielleicht ungerecht und muss feststellen, dass die Person ganz anders ist. Das ist für mich ein Irrweg. Seitdem ich das an mir beobachtet habe, bemühe ich mich sehr, vor solchen Vorurteilen auf der Hut zu sein. Du sollst dir kein Bild von Gott machen. Man könnte aber genau so gut sagen, du sollst dir kein Bild von Menschen machen, sondern dir den Zugang zu diesem Menschen erarbeiten.

Gibt es eine Situation, eine dunkle Stunde, in der Sie sich tief verlassen fühlten?

Es gibt keine Stunde, in der ich das Gefühl hatte, ich bin absolut verlassen. Ich war immer davon getragen, dass Gott bei mir ist. Beim Nachdenken darüber erlebe ich das als ganz großes Geschenk. Freilich gab es Situationen, die schwer waren. Wenn ich an mein Extern-Jahr in Paris denke, wo es mir phasenweise nicht gut gegangen ist, oder an die Entscheidungsfindung, Priester zu werden, was ein langer innerer Dialog war. Und es gab natürlich Stunden, in denen ich mir ohnmächtig vorkam. Ich war sieben Jahre lang bei der Rettung in Innsbruck. Ein totes Kind auf den Armen zu halten oder das Hineinfühlen in das Leid junger Eltern, die ihr neugeborenes Kind verloren haben, die Warum-Frage - das waren für mich die schwersten Stunden.

Was würden Sie einem Menschen raten, der das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels nicht mehr sehen kann?

Mein großer Gedanke in so einer Situation ist meistens eine Frage: Schau jetzt bitte in dein eigenes Leben zurück. Was ist bisher passiert? Ich habe noch keinen Menschen getroffen - ob jung oder alt -, der nicht irgendwann eine Phase erlebt hat, in der er getragen war, wertgeschätzt, in der das Leben einen Sinn hatte. Dann frage ich weiter: Gott hat dich bis hierher getragen, durch Höhen und Tiefen, warum soll er dich jetzt nicht mehr tragen? So denke ich auch über mich, wenn ich in einer schwierigen Situation bin: Benno, schau dir deine letzten 60 Jahre an. Warum soll Gott gerade jetzt Nein sagen?

Wofür haben Sie sich in Ihrem Leben am meisten geschämt?

Ich war einmal zu einer Diskussion in Bregenz eingeladen, in der es um es um den Umgang der Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen ging. Da war ich noch Pastoralamtsleiter. Ich habe auf diesem Podium die damalige offizielle Position der Kirche heftig verteidigt, obwohl ich schon damals ahnte, dass die Frage komplex ist. Nach der Diskussion war ich so fertig, dass ich mich gefragt habe: Was war das jetzt? Ich bin an den Bodensee gegangen und habe geweint. Nicht weil ich unredlich gewesen war - damals war der Standpunkt der Kirche auch irgendwo mein Standpunkt -, sondern weil ich innerlich spürte: Benno, das stimmt einfach nicht. Hinzu kam, dass ich mich überdies in einem Loyalitätskonflikt befand. Vor vier Jahren durfte ich als Vertreter Österreichs bei der Familiensynode mithelfen, dass sich in dieser Frage viel bewegt hat. Wenn es also einen Auftritt in meinem Leben gab, den ich streichen dürfte, dann bitte den.

„Der Schmerz rettet das Leben“, sagt Nietzsche. Wie würden Sie diesen Satz interpretieren?

Der Schmerz ist ein Hinweis darauf, dass es eine Gefahr oder Bedrohung für meine Seele oder meinen Körper gibt. Ähnlich verhält es sich mit dem Schuldgefühl. Wenn ein Mensch sagt, er kennt keine Schuldgefühle, dann kennt er auch keine Beziehungen. Wenn es also den Schmerz nicht gäbe, wäre mein Körper oder meine Seele oft in höchster Lebensgefahr. Der Schmerz, um es positiv auszudrücken, ist eine Energie für einen Neuanfang. Eine Art Dynamik, die mein Leben immer wieder zum Guten hinbewegt hat.

Wenn Sie in die Welt blicken, Bischof Benno, was bereitet Ihnen gegenwärtig die größte Sorge?

Was mich bedrückt, ist, wie das Ich für viele Menschen zum wichtigsten Inhalt geworden ist, und dass die Egoismen zu einer „Häresie der Angst“ führen, wie es der Theologe Cesare Zucconi ausgedrückt hat. Wenn man nach der Krankheit der Zukunft fragt, sagen alle Psychologen einstimmig: die Einsamkeit. Die biblische Logik des „Umsonst“ wird zunehmend von der Logik des „um zu“ überlagert. Es braucht einen gesunden Egoismus, keine Frage. Wenn ich mir die Flüchtlingssituation an den EU-Außengrenzen vergegenwärtige, wird das Ich, ob staatlich oder persönlich, deutlich hörbar: Wir müssen uns abschotten, wir müssen uns retten. Wie es den Familien ergeht, den Kindern und Frauen, wird ausgeblendet.

Mit welchem Bild vor Augen möchten Sie sterben, wenn Sie wählen dürften?

Das Bild, wie Jesus mich ansieht und mir zulächelt.

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